Kapitel 3.7 - Luke

24 14 0
                                    

Das Dickicht umschlang sie, verdichtete sich und ließ ihre Schritte in der Nacht wie Störenfriede in der Harmonie des Waldes klingen. Eindringlinge in einer Welt von Wald und Nacht, in die sie nicht gehörten und auf Messers Schneide tanzten, weil die Gefahr sie von allen Seiten umgab. Reißzähne und Klauen, dunkle Augen mit vergifteten Pfeilen. Manchmal war es eine Mutprobe oder ein Spiel der Verlorenen, sich nachts in die Wälder zu schleichen und zu sehen, wer sich am weitesten vom Lager fort trauen mochte. Hinter Licht und Glanz verbargen sich lautlose Jäger, die lange den Verlorenen wohlgesinnt waren, als jene noch bei jeder Tag und Nachtzeit in den Wäldern umher huschen mochten. Tief in den Wäldern waren viele verborgene Zugänge, die in den unterirdischen Höhlen letztendlich in das Innere der Insel führten und unter Tage in dem Irrgarten und Labyrinth mit zahlreichen falschen Abzweigungen und Fallen zur Steilküste führten. Dort, wo der Hangman's Tree auf der schwebenden Insel in der Luft umarmt von Wolken auf die Rückkehr seiner Kinder wartete.


Im Moment jedoch war sie sich nicht sicher, was die größere Gefahr für sie darstellen mochte. Die namenlosen Schrecken, die sich hinter jedem Rascheln verbergen konnten und ihre Blicke immer ruckartig in eine entsprechende Richtung zogen, sobald ein Geräusch näher klang... oder der Seeteufel, dessen Finger sich durch den Stoff an ihrem Oberarm drückten.
Sie stemmte sich gegen den Mann der sie zerrte- fort von dem dichten Wald, von den schützenden Fallen und Gruben, von den Mechanismen und geheimen Unterschlupfen, die ihr Sicherheit und Rettung hätten bieten können. Stattdessen zog er sie unerbittlich weiter- nicht den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren, aber sie brauchte keinen Kompass um zu wissen, dass sie in Richtung des Strandes gingen.


Sie wusste nicht, wie Hook sich einfach so orientieren konnte. Sie war zwar nur einen Bruchteil der Zeit hier, aber sie hatte die Insel als unheimlich... verwirrend empfunden. Der Dschungel sah für sie an allen Ecken gleich aus- und Anfangs wäre sie in beinahe jede Falle hineingelaufen, wenn die anderen Verlorenen nicht ein wachsames Auge auf sie gehabt hätten. Sogar Jake – ihr Bruder – hatte sich mit der neuen Situation viel leichter zurechtgefunden. Vielleicht lag es daran, dass Jake sich immer auf das Wichtigste konzentrierte... während ihre Blicke stattdessen groß und bewundernd umher geglitten waren- vollkommen überfordert von all den noch so kleinen Wundern, die sich in dieser neuen Welt fanden. War das ein Leuchten hinter einem der Blätter? Glühwürmchen oder Irrlicht? 


Und nun stolperte sie hinter dem gefürchteten Piratenkapitän der Jolly Roger hinterher, mehr als einmal dem Tod viel zu knapp von der Sense gehüpft... und doch konnte sie nicht aufatmen. Ihre Hände fuhren verzweifelt zu seiner Hand, versuchten den eisernen Griff zu lösen - aber so schlossen sich seine Finger nur noch fester um ihren Arm - fest genug, dass sie keuchend die Hände wieder fortzog, weil sie fürchtete, er könnte fest genug zudrücken, dass ihr der Knochen brach. Nicht ohne einen giftigen Blick unter zusammengepressten Zähnen, den flammenden Wiederstand der ihre Lebensflamme bisher am Leben erhalten hatte, wie klare Worte in ihre Züge gepinselt. Es war Zufall, dass ihr Blick an ihm vorbei ruckelte, weil etwas an einem Baum ihre Aufmerksamkeit wie magisch auf sich zog: eine Kerbe. Unscheinbar mochte man schon sagen, lag die kleine Wunde des Baumes leicht zu übersehen, halb verdeckt von Blättern..., wenn man nicht einen tieferen Blickwinkel besaß - so wie sie.


Scharf zog sie die Luft ein... und hörte schon das raschelnde und knackende Geräusch des dünnen Holzgeflechtes. Ihr Instinkt griff schneller als ihr Verstand. Instinktiv fassten ihre Hände diesmal nach seinem Arm, zogen ihn grob und so stark sie konnte zurück und sie taumelte einen Augenblick von dem eigenen, ruckartigen Kraftaufwand.
Lautes Rascheln zerriss kurz die Nacht- und verklang genauso schnell, während die unzähligen Blätter, Erde und das brüchige Geflecht, dass damit bedeckt gewesen war, herunter auf den Boden der Grube sank. Durchstoßen von Pfählen- in denen sie beinahe gelandet wären. Die Falle war auf Erwachsene ausgelegt, die dürren Äste brachen schon unter kleinem Gewicht waren aber stets gerade so stark genug, dass kleinere Tiere problemlos darüber hinweg huschen konnten. Vielleicht, mit viel Glück, hätte es ihr Gewicht sogar noch halten können, doch schon das wäre kritisch gewesen. Hook oder jeder andere Pirat, Indianer oder Eindringling in das Gebiet wäre zweifellos in die tödliche Falle gestürzt. Geräuschvoll stieß sie die angespannte, angehaltene Luft aus. Ihr Gewissen versuchte bissig nach dem ersten Vorwurf ihr törichtes Handeln zu entschuldigen. Jedoch nur halbliebig und wenig überzeugend, indem sie ihren Frust damit beschwichtigte, dass er sie vielleicht mit hinabgezerrt hätte?! Aber sie wusste, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Nicht nur.

A Neverland Tale - HOOKED (de)Where stories live. Discover now