IV

4 1 2
                                    

„Rahel?" Marie erschien heftig atmend im Türrahmen. Sie war gerannt. Ihr Haarband musste sich gelöst haben, denn das goldblonde Haar fiel zerzaust auf ihre Schulter herab. Als sie den zusammengesunkenen Leichnam auf dem Stuhl sah, weiteten sich ihre Augen überrascht.

Marie eilte um den Tisch herum und fühlte Ezras Puls. „Er ist tot", stellte sie fest und wich dabei dem Blick ihrer Herrin aus. Ein befriedigtes Lächeln spielte um deren Lippen. „Ich habe es geschafft. Ich habe sie gerächt. Freust du dich nicht für mich?" Marie wandte ihren Kopf ab und schwieg.

Als Rahel die Andere schließlich mit einer Hand an ihrer Wange zwang sie anzusehen, schrak sie zurück. In Maries Augen spiegelte sich grenzenloser Hass. Die Blonde drehte sich wortlos um und machte Anstalten den Raum zu verlassen. Ihre Herrin schaffte es jedoch noch rechtzeitig ihren Rock zu fassen.

„Marie, was ist los?" Rahel war vollkommen verwirrt. „Lauf nicht vor mir weg, bitte..." Kraftvoll schlug Marie ihre Hand beiseite. Mit fahrigen Bewegungen öffnete sie ein Schubfach des Schreibtisches und griff daraus einen Revolver. Zitternd hielt sie seinen Lauf geradewegs auf die Stirn der Anderen.

Diese wich mit beschwichtigend erhobenen Händen zurück, übersah dabei jedoch den Stuhl hinter sich, der sie so zum Fall brachte. Zu den Füßen ihres toten Vaters versuchte sie die Situation zu begreifen. Die Person, der sie am meisten vertraute, stellte sich jetzt, nachdem alles vollbracht war, gegen sie. Jetzt, wenn doch endlich alles gut sein sollte. Ohne den Tyrannen.

Rahel sah Marie verständnislos und enttäuscht an. Diese zitterte immer noch, als sie schließlich zu sprechen begann: „Ich...ich hatte ihn doch gewarnt. Wie konnte das geschehen? Er hatte die Waffe..." Allmählich begann die Brünette zu begreifen. „Du? Du warst es? Du bist der Verräter?"

Eine einzelne Träne löste sich aus dem Augenwinkel der Blonden, als sie zynisch auflachte. „Ja, ich. Die ganze Zeit. Hinter deinem Rücken. Ezra war kein schlechter Mensch, Rahel. Wusstest du das? Natürlich nicht. Willst du wissen, warum er deine Mutter ermordet hat?"

Marie schenkte der Lady einen Blick voller Abscheu. „Du glaubst sie war ein guter Mensch? Zu dir vielleicht. Sie wollte immer das Beste für dich, den Anspruch auf das Erbe. Und wer stand im Weg? Dein älterer, begabterer, intelligenterer Bruder. Elija. Sie nahm ihm im Schlaf mit Säure das Augenlicht. Seine Schreie werde ich nie vergessen."

„Die Narben...", flüsterte Rahel fast unhörbar. Sie hatte nie verstanden, woher sie stammten, aber es auch nie hinterfragt. Langsam beschlich sie ein Hauch von Reue. Hätte sie ihren Vater nur aussprechen lassen...

„Du bist so blind, ignorant. Selbst Elija erkennt mehr als du. Jetzt begreifst du, aber es ist zu spät." Marie zögerte einen Moment bevor sie weitersprach. „So wie du deine Mutter gerächt hast, ist es nun meine Pflicht meinen Herrn, Ezra von Andalyn, zu rächen. Leb wohl, Rahel."

Das Zittern ihrer Hand versiegte und die Blonde sah entschlossen in die tiefschwarzen Augen der Anderen. Dann drückte sie ab und der letzte Schuss dieser Geschichte ertönte.

Mein Beitrag zum Ideenzauber 2022Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang