Kapitel 5

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Victoria
Ich brachte gerade meine leeren Getränkeflaschen aus meinem Zimmer nach unten in die Küche und stellte sie dort in die Kästen.
Es war abends und der Nieselregen heftete sich gegen die Fenster, die das dämmrige Licht von draussen zeigten.
,,Victoria, wir müssen mit dir reden.", seufzte meine Mutter, die am Küchentresen lehnte und in einem Topf rührte.
Mein Vater saß still am Tisch und schaute in sein mit rotem Sirup gefüllten Glas. ,,Holst du auch gleich deinen Bruder?"
Ich nickte langsam.
Irgendwas im mir vermutete bereits, dass sie uns mitteilen wollten, dass sie sich scheiden ließen. Aber mein Kopf glaubte noch nicht wirklich daran.
Vor Sebastians Zimmer blieb ich stehen und klopfte.
,,Es gibt Essen.", sagte ich nur, als ein murrendes ,,Gleich" von der anderen Seite der Tür kam. Ich lief wieder nach unten und gab meinen Eltern Bescheid.

,,Also gut..", fing meine Mutter an, als wir alle vier schon zu Essen angefangen hatten.
,,Wir müssen euch etwas sagen.."
Sie seufzte.
Sebastian musterte unsere Eltern und ich blieb still. Falls sich meine Vermutung bewahrheiten würde, war es eben so.
Vielleicht hatte Ruby ja recht und so schlimm würde es nicht sein. Dann streiten sie vielleicht nichtmehr so viel oder garnicht.
Der eiskalte Blick meines Bruders glitt über uns. ,,Euer Vater und ich werden uns trennen. Wir haben das beschlossen, da es sicher besser für uns ist.. und wie es mit euch weiter geht habe ich auch scho-", weiter kam sie garnicht.
Sebastian schlug auf den Tisch.
,,Was?!", schrie er.
Wir anderen zuckten zusammen. Mit dieser Reaktion hatte niemand gerechnet. Ich schluckte und beschloss, auch etwas zu sagen.
,,Sebi beruhig dich.. sie meinen es doch nur gut.. es wird sicher besser werden."
Sebastian funkelte mich wütend an.
Langsam beruhigte er sich trotzdem und schnaubte. ,,Achja, und was ist der Plan?!"
Mein Vater erhob das Wort.
,,Wir dachten wir schicken euch, beziehungsweise dich Victoria, auf ein Internat."
Ich war wie eingefroren und mein Bruder sagte ebenfalls kein Wort.

,,Das katholische Rosenthal Mädcheninternat. Das ist nicht so weit weg und bei dir Sebastian, dachten wir dass du das mit deiner Ausbildung selbst regelst wie du es am liebsten hast."
Ich biss auf meine Lippe. ,,Ich will nicht. Hier sind meine Freunde und mein Leben! Was ist mit euch?!"
,,Ich fahre mit Martina in den Urlaub.. Ich brauche etwas Ruhe.", erzählte Mama. Martina war ihre Freundin.

,,Ich werde auch hier etwas Zeit für mich alleine brauchen und schaue mich nach etwas Neuem um. Aber nicht weit weg, keine Sorge."
,,Und wie lang?", fragte ich, während mir Tränen in die Augen stiegen.
,,Ich denke für nächstes Schuljahr.", meinte Mama.
,,Ein Jahr?!"
Ich nahm mein Sandwich und lief nach oben. Das war echt etwas viel auf einmal..

-

Ich hatte fertig gegessen und sah aus dem Fenster. Gerade lag ich im Bett und dachte nach, wie ich das finden sollte.

Ich zückte mein Handy und tippte folgendes in Google ein: ,,Rosenthal katholisches Mädcheninternat."

Google suchte und fand sofort den Standort mit einigen Bildern und der Homepage.
Nachdem ich mir einige Daten der Stadt ansah, in der das Internat, ein Kloster übrigens, lag, öffnete ich die Homepage.
Mit strohgelbem Hintergrund und weinroter Schrift wurde auf sie verschiedenen Homepage - Einträge hingewiesen.
Startseite, Infos und Anmeldung, Fotos, Feiern und andere Veranstaltungen, Gottesdienste, Schulzettel, Kontaktdaten, Angebote.
Ich befand mich gerade auf der Startseite, das erkannte ich daran, dass die weinrote Schrift blau unterlegt war.
Sie hatten sogar ein Wappen. Mit einem Kloster darauf und drumherum ein Kranz. Sehr originell..
Ich scrollte etwas und sah dann alle Infos zum Internat.
Zusammengefasst:

-ausschließlich Mädchen
-Gottesdienste jeden Sonntag und Mittwoch
-3 mal am Tag Essen
-2er und 4er Zimmer
-Gemeinschaftsbäder
-Kleiner Park neben dem Klostergelände
-Ausgang nur bei Erlaubung der Aufsichtspersonen und der Eltern
-Besuche in die Stadt sind nur an Wochenenden erlaubt
-Besuche von Freunden und Familien ausschließlich in Ferien (bei Ausnahmsanfragen an die Internatsleitung wenden)
-Ab 21 Uhr Nachtruhe (Ausnahme an Wochenenden: 22 Uhr)
-Unterricht von 7:30 bis 13:00 Uhr

Freizeitmöglichkeiten:
-Park
-Fußball
-Basketball
-Bibliothek
-Kirche
-Garten
-Spielräume

Verbote:
-Handyverbot
-Keine gefärbten Haare
-Lackierte Nägel und kurze/enge Kleidung gilt es zu vermeiden
-Nur dezenten Schmuck

Ich überflog diese Zeilen nur, da wusste ich schon, dass ich da ganz sicher nicht hin wollte! Das hörte sich nach einem ganz schrecklichen Traum an und jede, die auf dieses Internat musste, tat mir wirklich leid.
Ich war weder sehr gläubig, noch konnte ich mir vorstellen, so zu leben! Viel zu wenig Freiheiten..

Ich musste weg. Meine Eltern haben mir vorhin noch einmal bei einem kurzen Gespräch klar gemacht, dass ich auf jeden Fall da hin muss.

Sollte ich abhauen? Ich meine, was wollen sie tun? Klar, vielleicht schnappt mich die Polizei. Dann hab ich wenigstens was erlebt und klar gemacht, wie wenig ich das will.
Aber wohin?

Der erste Gedanke war Ruby.

Und es sollte auch der letzte sein.

Mir fiel auch nichts besseres ein.. Nein, es war das Beste.!
Ich würde möglichst bald hier weg. Ganz schnell. Und da meine Eltern mich in der Schule für ein paar Tage abmeldeten, aus familiären Gründen, würde es dort auch nicht auffallen.

Sollte ich?

Sollte ich?

Ich trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. Es war Freitag.. Ich konnte einfach lügen, dass ich bei jemandem übernachtete und dann ab zu Ruby!
Ich griff schnell nach meinem Handy und informierte Ruby über das Neueste. Vorhin hatte ich ihr schon von der Trennung erzählt, jetzt kam das Nächste.
Nach einer langen Konversation per Sprachnachrichten sagte Ruby, dass es an sich kein Problem gäbe. Aber sie wollte mich ungern ,,heimlich" bei sich haben, verständlicherweise. Ich sagte, dass ich mir schon was einfallen lassen würde. Damit war das und sogar die Einzelheiten geklärt. Ich gab meinen Eltern Bescheid, dass ich bei einer Freundin über das Wochenende bleiben würde, was beide Elternteile gut verstanden und packte eine kleine Handtasche. Klar, bei der würde es nicht bleiben. Aber das mussten meine Eltern ja nicht erfahren..

Und so nahm Alles seinen Lauf..

Summer love kissesWhere stories live. Discover now