1 - Ankunft

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Verdammt, ist das kalt!

Das war das Erste, was mir durch den Kopf schoss, als ich aus dem Zug stieg und meinen Rucksack neben mich auf den Bahnsteig wuchtete.

Als ich am frühen Abend in Berlin losgefahren war, hatten wir angenehme 26°C. In Hamburg, wo ich vor drei Stunden umgestiegen war, hatte mich der Temperaturabstieg in meiner Shorts und dem Top bereits frösteln lassen, doch das hatte mich nicht sonderlich überrascht. Es war schließlich Hamburg.

Jetzt gerade jedoch fühlte es sich so an, als befände ich mich am Nordpol und nicht in Norddeutschland. Zitternd umfasste ich meinen Körper und zuckte zusammen, als ich von hinten angestoßen wurde. Eine Entschuldigung murmelnd setzte ich mich in Bewegung und schob unter Anstrengung mein Gepäck vor mir her, um den wenigen anderen Passagieren Platz zu machen, die hinter mir aus der Regionalbahn stiegen. Ungeduldig gab ich meinem Rucksack einen letzten Schubs. Das riesige Ungetüm war schon auf der gesamten Zugfahrt jedem im Weg gewesen, und ich hatte einige böse Blicke kassiert. Die letzte Strecke von Husum aus hatte ich mich kurzerhand drauf gesetzt, um die anderen Mitfahrenden davor zu bewahren, sich in den Gurten zu verheddern und den Gang hinunter zu stolpern, wie es bereits drei Leuten passiert war.

Ich ließ mich auf eine überdachte Bank am Bahnsteig fallen und beobachtete, wie die anderen Passagiere ihn zielstrebig verließen. Mehrere Laternen erhellten den schmalen Bahnhof, der sage und schreibe ein stolzes Gleis besaß. Hinter mir befand sich ein kleines Backsteingebäude, dessen Inneres dunkel war. Ansonsten teilte ich mir den idyllischen Ortsbahnhof mit einem Fahrkartenautomaten und zwei Autos auf einem Parkplatz hinter dem Haus.

Mein Blick blieb an dem schwach beleuchteten blauen Schild hängen, welches mir zeigte, dass ich hier richtig war.

Bad St. Peter-Ording

»You made it«, wisperte ich mir selbst zu und sah mich im gleichen Moment um, doch ich war alleine. Der Zug war gerade wieder abgefahren, und niemand war mehr hier. Doch. Ich.

Ein undefinierbares Kribbeln machte sich in mir breit. Aufregung, Abenteuerlust und Freude, gemischt mit einer Priese Angst. Ich schob letztere entschlossen beiseite, schloss die Augen und atmete tief ein. Die kühle Nachtluft strömte in meinen Körper. Ich bildete mir ein, den schwachen Geruch von Salz, Meer, Kiefernnadeln und ein bisschen Freiheit zu riechen. Ganz anders als in Berlin, wo vor allem jetzt im Sommer Abgase, Bauschuttstaub und Essensgerüche die Überhand hatten.

Doch jetzt war ich hier, nicht dort. Ich schlug entschlossen die Augen auf, umfasste die Gurte meines Rucksacks und wuchtete ihn mir auf den Rücken. Dann verließ ich den Bahnsteig, überquerte den dahinterliegende Parkplatz und wandte mich ein wenig planlos an der Straße nach links.

Ich folgte dem Weg, der durch einen Wald nach Westen und zum Meer führte. Oder jedenfalls dahin, wo ich Westen vermutete. Wie schon die letzten Stunden wagte ich es nicht, auf mein Handy zu schauen. Noch nicht, jedenfalls.

Der waldige Geruch hüllte mich ein, während die beißende Kälte zwischen den hohen Bäumen mich erneut frösteln ließ. Doch ich hatte keine Lust, meine Jacke aus dem Rucksack zu kramen, da ich mir sicher war, dass ich ihn, einmal geöffnet, nicht wieder schließen könnte.

Also ignorierte ich die Gänsehaut auf meinen Armen und atmete erleichtert auf, als der Wald sich nach einigen Minuten lichtete. Nach einigen weiteren hunderten Metern empfingen mich jedoch nicht, wie erwartet, der Sound lachender Menschen, die kurz vor Mitternacht gemütlich vor den örtlichen Restaurants saßen und sich unterhielten, sondern friedliche Stille.

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