2 - Strandkorb Nr. 281

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Ich zitterte, als ich mich schließlich in einen der Strandkörbe fallen ließ. Das blau-weiß gestreifte Polster war kalt, doch der Korb bot guten Schutz vor dem zunehmenden Wind. Nun wagte ich es doch meinen Rucksack zu öffnen, zog wahllos eine Jacke heraus und kämpfte ein paar Sekunden mit dem Reißverschluss der Tasche, bis sie sich endlich schließen ließ.

Ich kuschelte mich in die dunkelgrüne oversized Sweatshirtjacke, die nach Waschmittel roch, und zog meine Beine an. Noch immer kam mir alles surreal vor. Erst vor ein paar Stunden hatte ich in Berlin, gegenüber von meinen Eltern in unserer riesigen Küche, gestanden, und jetzt... war ich hier. Alleine. Obwohl es mich beunruhigen sollte, fühlte ich mich seltsam friedlich. Zusätzlich wiegte mich das Schlagen der Wellen auf den Strand, was von dem Wind zu mir herübergetragen wurde, in einen leichten Schlaf.

Als ich aufwachte tat mir alles weh. Schlaftrunken richtete ich mich auf, öffnete die Augen und brauchte einen Moment, um mich zurechtzufinden. Ich saß in einer äußerst unbequemen Position in einem Strandkorb an der Nordsee. Das Kreischen der Möwen, was mich wahrscheinlich geweckt hatte, ließ mich mit steifem Nacken den Kopf drehen und automatisch innehalten. Es wurde langsam hell. Tiefe dunkle Wolken hingen über dem Horizont, und der Himmel war in goldenes Licht getaucht.

Staunend rappelte ich mich auf und stolperte auf das Meer zu. Einige Meter von der Wasserkante entfernt ließ ich mich zu Boden sinken und lehnte mich mit dem Rücken an den Pfahl eines aus Holz erbauten Podestes, auf welchem einige Strandkörbe standen. In vielen hundert Metern Entfernung konnte ich am Horizont Fischkutter, und sogar ihre Netze, ausmachen, die von unzähligen Möwen umschwärmt wurden. In rasantem Tempo zogen die Wolken über mir weiter, und mit jeder Minute wurde der Strand in mehr Licht getaucht. Ehrfürchtig betrachtete ich das Naturschauspiel, während meine Augen immer schwerer und schwerer wurden.

Ich träumte wirres Zeug. Vom Meer, schlagenden Fahnenmasten, aggressiven Möwen und Wellen, die mit jeder Sekunde lauter ans Ufer schlugen und nach mir griffen. Ich drehte mich um, wollte wegrennen, doch so sehr ich es versuchte, ich kam nicht vom Fleck.

»Gleich wird's ungemütlich«, sagte eine fremde Stimme in das Tosen des Meeres hinein und ließ mich erschaudern. Wieso klang sie so verdammt echt?

Schlaftrunken öffnete ich die Augen auf und zuckte zurück, als ich realisierte, wo ich mich befand.

»Wooh, shit, wo kommt das ganze Wasser her?«

»Schon mal was von Flut gehört?«, erklang die männliche Stimme aus meinem Traum erneut, während ich mit rasendem Herzen über den Sand nach hinten rutschte. Nur einen guten Meter vor mir, wo vorhin noch feuchter Sandstrand gewesen war, befand sich nun Wasser, das mit stetiger Geschwindigkeit auf den Strand, und mir entgegen, rollte.

»Gehört schon«, antwortete ich verspätet auf die Frage und richtete mich orientierungslos auf. Prompt knickten meine Beine unter mir weg, und ich stolperte, als ich das Gleichgewicht verlor.

Eine Hand packte mich am Arm und bewahrte mich vor dem Fall. Ich hob den Blick und sah in ein paar eisblauer Augen. Langsam rückte ich zurück, um meinen Gegenüber besser ansehen zu können. Vor mir stand ein Typ, etwa in meinem Alter, mit dunkelblonden Locken, die durch die Sonne ausgebleicht waren und von dem starken Wind durcheinander geweht wurden, sonnengebräunter Haut und einem herzförmigen Gesicht. Er trug ein rotes langärmliges Shirt und eine ebenso knallige Hose und musterte mich mit einer Mischung aus Spott und Belustigung.

Ich kniff die Augen zusammen und senkte blinzelnd den Blick. Das war zu viel blau, und vor allem zu viel rot, auf einmal. »Du blendest.«

Er ließ mich los, und ich sah aus dem Augenwinkel, wie er selbstgefällig grinste. Dabei bildeten sich kleine Grübchen auf seinen Wangen. »Danke für das Kompliment. Höre ich öfter.«

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⏰ Last updated: Aug 26, 2022 ⏰

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