2. Kapitel

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Väter waren anstrengend – besonders wenn man vierzehn Jahre seines Lebens keinen, dann dafür aber gleich drei am Hals hatte. Ich konnte nicht verstehen, weshalb ich mir immer so sehnlich gewünscht hatte, meinen Vater kennenzulernen. Wie hielten andere Leute das nur aus? Selbst wenn es noch so tolle Väter waren, wie zum Beispiel der meiner Kindheitsfreundin Joanne, der immer mit uns zelten war und uns beigebracht hatte, wie man ein Baumhaus baute. Nun ja, die meisten Leute hatten auch nicht drei Väter. Der grosse Vorteil war allerdings, dass man sich mit zwei von ihnen zerstreiten konnte und immer noch einen hatte, mit dem man sich gut verstand. Der Nachteil war allerdings, dass man sich dann gleich doppelt schlecht fühlte, weil man sich mit zweien zerstritten hatte. Nun ja, richtig zerstritten hatte ich mich mit keinem, weder mit Sev, meinem leiblichen Vater, den der Rest der Welt als den kalten Professor Snape kannte, noch mit Gawain, dem Freund meiner Ma. Allerdings hatte ich Sev in meiner Obscurusgestalt angegriffen und verletzt, woraufhin er mich später gefesselt hatte und Gawain hatte ich fast umgebracht, als ich bei einem Ritual die Beherrschung verloren und aus Wut alle Vorsicht hatte fahren lassen. Mein dritter Vater, Jake Coron alias James Potter, war offiziell bereits tot, was ihn jedoch nicht davon abhielt, gemütlich neben mir durch die herausgeputzten Strassen einer kleinen Stadt in Südengland namens Little Whining zu schlendern. Auf einem nicht weit entfernten Parkplatz hatten wir Ma's schwarzen Geländewagen, meinen Paten Remus Lupin und meinen selbsternannten Onkel Sirius Black zurückgelassen.

«'Ligusterweg', ist das richtig?» las ich vom Strassenschild und sah die Strasse hinab, die so sauber und penibel herausgeputzt war, dass einem davon hätte schlecht werden können. Das hier war der krasse Gegensatz zu den bunten, belebten und manchmal auch gefährlichen Strassen von Londinium, einem verborgenen Stadtteil von London, der ungefähr der Stadt im fünften Jahrhundert nach Christus entsprach – und die jetzt seit vier Jahren mein Zuhause war.

«Die Nummer vier», erklärte Jake und machte sich munter auf den Weg. Bereits seit dem Frühstück lag ein Grinsen auf seinen Lippen, das, je näher wir unserem Ziel kamen, umso breiter wurde.

Mr und Mrs Dursley im Ligusterweg Nummer vier waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar – hatte Harry erklärt. Sie waren absolut pedantische Muggel und sie verachteten alles und jeden, das auch nur ein kleines Bisschen von 'Normal' abwich. Zauberei und alles, das auch nur im entferntesten daran erinnerte, hassten sie abgrundtief. Meinen kleinen Bruder eingeschlossen. Und deshalb würden wir Harry auch dort rausholen – und Onkel und Tante einen kleinen Schrecken einjagen, der ihnen bestimmt den Rest ihres Lebens in den Knochen sitzen würde.

«Du klingelst», instruierte Jake mich noch ein letztes Mal, bevor er hinter der feinsäuberlich gestutzten Hecke an der Ecke verborgen stehen blieb und mich weiterschob.

Ich ging die letzten Schritte allein, vorbei an dem dicken Sportwagen in der Auffahrt, der sündhaft teuer und nicht einmal gut aussah und stellte mich auf die Fussmatte. Unter der Klingel stand in feinsäuberlichen Buchstaben Familie Vernun, Petunia & Dudley Dursley. Dass hier noch ein weiterer Junge mit Namen Harry Potter lebte, wurde mit keinem Buchstaben erwähnt.

Es dauerte keine Minute, bis ich im Flur Schritte und eine Stimme hören konnte. «Wenn das wieder der Postbote ist, der mit so einem Brief kommt ...!», röhrte eine Stimme im Flur und gleich darauf wurde die Tür aufgerissen.

«Ja?», fragte der Mann vor mir genervt. Er war vermutlich in den Vierzigern und so dick, dass er kaum aus etwas anderem als Fett zu bestehen schien. Der krasse Gegensatz zu Jake und Gawain, die von ihrer Arbeit beim AZMGUK stark und zäh waren und kein überzähliges Gramm Fett am Körper hatten.

«Sind Sie Mr Dursley?», fragte ich höflich.

«Wer will das wissen?», blaffte der Dicke.

«Ich bin Adrienne. Ich möchte gerne mit Petunia Evans sprechen. Ich habe gehört, dass sie hier lebt?»

Unfriedliche Zeiten - Adrienne Seanorth 5Where stories live. Discover now