~9~

339 12 6
                                    

Ich saß mit geschlossenen Augen auf dem Bett und dachte nach. Seit meinem kleinen Ausraster vorhin hatten Thomas und ich kein Wort mehr gewechselt, daher zuckte ich auch zusammen, als ich seine Stimme vernahm. „Wollen wir uns jetzt die ganze Zeit anschweigen?", fragte er. Ich öffnete die Augen und sah ihn an. „Worüber möchtest du denn reden?" Er runzelte die Stirn. Irgendwie fand ich es süß, wenn er das tat. „Keine Ahnung, erzähl mir was über dich. Über deine Familie. Wo leben sie?" Ich seufzte. „Mein Vater lebt mit meiner Stiefmutter und meiner Schwester in New York, aber er ist kaum zu Hause, arbeitet viel und ist auf Geschäftsreisen." Ich lehnte mich wieder zurück und schloss die Augen. „Leben deine Eltern geschieden?", wollte er wissen. „Nein. Meine leibliche Mutter ist bei einem Autounfall gestorben, als ich acht gewesen war. Mein Vater hat nach fünf Jahren wieder geheiratet." Thomas schwieg kurz. „Das tut mir leid." „Muss es nicht, ich kann mich kaum an sie erinnern, sie war selten da. Archäologin, sie ist immer von einer Ausgrabungsstätte zur nächsten gereist!" „Und was macht dein Vater beruflich?" „Er ist Geschäftsleiter einer Fernsehfirma." „Was möchtest du denn später mal machen?" Ich dachte nach. Ich wusste es nicht genau, musste ich zugeben. „Seth, ein Freund aus der Akademie, und ich hatten überlegt, zur Polizei zu gehen. Aber genau weiß ich es nicht, vielleicht mache ich auch die Ausbildung zum Bodyguard!" „Weißt du, als ich jünger war, wollte ich auch mal zur Polizei. Ich fand damals die Uniformen total cool und wollte auch so mit Respekt behandelt werden, wie die Beamten. Später war ich dann bei einem Baseballspiel, wo die Polizei wütende Fans zurückhalten musste. Die Fans haben mit Steinen und Feuerwerkskörpern nach den Beamten geworfen, dabei wurden zwei schwer verletzt. Seitdem wollte ich kein Polizist mehr werden. Schreckt dich sowas nicht ab?" Ich schwieg kurz, dachte über seine Frage nach. „Nein, eigentlich nicht. Ich finde es spannend und es ist nicht weniger gefährlich als der Job, den ich derzeit mache." „Das stimmt." Ich spürte, wie Thomas sich neben mich setzte und öffnete die Augen wieder. „Geht es deiner Schusswunde eigentlich gut?" Ich fasste an meine Schulter, wo mich nur zwei Tage zuvor die Kugel getroffen hatte. „Ja. Sie heilt bereits, in ein paar Tagen ist es nur noch ein Kratzer." Er nickte. Ich sah ihn an und er erwiderte meinen Blick. „Wir sollten schlafen, wir müssen morgen Kraft haben!", entschied ich schließlich und sah auf meine Hände. Thomas stand auf und ging zu seinem Bett. „Gute Nacht, Yara!" „Nacht, Thomas." Ich legte mich hin und verschränkte die Arme unter meinem Kopf. Ich war müde aber schlafen ging nicht. Trotzdem fielen mir nach einiger Zeit die Augen zu und ich driftete weg.
Irgendetwas weckte mich und ich wusste nicht, was es war. Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war halb drei morgens. Ich starrte an die Betondecke und lauschte Thomas' regelmäßigem Atem. Nach einiger Zeit veränderte sich sein Atem. Er wurde schneller, unregelmäßiger. Besorgt stand ich auf und lief zu ihm. Sein Brustkorb hob und senkte sich heftig und seine Stirn glänzte. Zu erst dachte ich, dass er einen Albtraum hatte, doch als er nicht aufwachte, als ich an seiner Schulter rüttelte, wurde mir klar, was passierte. „Scheiße!", murmelte ich und setzte mich auf die Bettkante. Thomas hatte eine Panikattacke. Ein häufiges Phänomen bei Geiseln, wie ich im Unterricht gelernt hatte. Ich konnte mich dran erinnern, dass es aufhörte, wenn man die Person dazu bringen konnte, die Luft anzuhalten. Aber wie konnte ich... ich schüttelte den Kopf. Die einzige Möglichkeit, die mir einfiel, war, ihn zu küssen. Aber ich konnte doch nicht einfach... Unentschlossen biss ich mir auf die Lippe. Dann sah ich in sein Gesicht. Er zitterte und Schweiß stand auf seiner Stirn. „Bitte lass mich das nicht bereuen!", sagte ich mehr zu mir selbst, lehnte mich vor und küsste ihn. Tatsächlich verlangsamte sich seine Atmung. Ich fühlte seine Lippen auf meinen, sie waren weich und zart. Langsam löste ich mich von ihm, meine Lippen prickelten. Er öffnete die Augen und blickte mich an. „Hör nicht auf!", wisperte er. „Thomas...", doch er unterbrach mich. „Bitte." Ich wusste, dass es ein fataler Fehler war, doch ich ignorierte es. Ich beugte mich wieder hinunter und wir küssten uns. Seine Hände lagen auf meinem Rücken, meine stützten sich neben seinem Kopf auf dem Bett ab. Ich fühlte seinen Körper und ich genoss es. Ich blendete alles andere aus, es gab nur noch Thomas und mich. Ich hatte das Gefühl, als würde ich brennen, als ich mich langsam wieder von ihm löste. „Du solltest nochmal schlafen!", flüsterte ich. „Du auch, du brauchst deine Kraft genauso!", erwiderte er und sah mir in die Augen. Ich nickte und er rückte ein Stück zur Seite. Ich lächelte und legte mich neben ihn. Er legte seinen Arm um mich und strich meine Haare zur Seite. „Schlaf gut!", flüsterte er mir ins Ohr. „Du auch!", antwortete ich. Und wir schliefen beide schnell ein und glitten in einen traumlosen Schlaf.

Ein Bodyguard mit FolgenWhere stories live. Discover now