Sterne

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,, Und wüssten sie mein Wehe
Die goldnen Sternelein,
Sie kämen aus ihrer Höhe
Und sprächen Trost mir ein."
- Heinrich Heine

Einige Monate später erkrankte Hayleys Vater schwer.

Er wollte es eigentlich vor ihr verheimlichen, doch lange konnte er das nicht.
Spätestens als er vor ihren Augen zusammenbrach, wusste sie, dass etwas nicht stimmte.
Ihr Vater kam ins Krankenhaus, doch Hayley ahnte, dass sie die Kosten niemals bezahlen könnte. Ihr Job und der ihres Vaters spielten nicht genügend ein.
Sie hatten auch noch kaum Erspartes und konnten froh sein, dass sie überhaupt täglich drei Mahlzeiten auf dem Tisch hatten. Die weitere Familie ihres Vaters lebte noch in Deutschland und hatte den Kontakt abgebrochen, als ihr Vater damals desertiert war. Die würden ihnen auch kein Geld geben.

Hades meldete sich nicht und Hayley hätte ihn auch nicht um Geld angebettelt. Sie war eine selbstständige Frau und wollte sich nicht die Blöße geben, ihren Geliebten anzuflehen. Wie stünde sie dann da?

Sie musste sich allerdings schnell etwas überlegen, damit ihr Vater behandelt werden konnte. Sein Leben hing davon ab.
Auf ihre Mutter konnte sie auch nicht zählen. Diese hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen.
Eine Weile dachte sie darüber nach, ob sie die Blumen, die sie von Hades geschenkt bekommen hatte, verkaufen sollte.
Fraglich war aber, ob das erhaltene Geld ausreichen würde.
Wenn nicht, hatte sie diese wertvollen Erinnerungsstücke umsonst verschachert.
Sie brachte es nicht über ihr Herz.
Wenn er wieder die Zeit hatte, würde er zurückkommen, aber sie konnte und wollte ihr Leben nicht nach ihm ausrichten. Zumal sie ihn ja nicht anflehen wollte.

Sie musste eine andere Lösung finden.
Leider konnte sie keinen anderen, besser bezahlten Job finden, da sie keine Ausbildung hatte und jetzt nicht die Zeit war, um eine zu machen. So viel Zeit hatte ihr Vater nicht.
Hätte sie bloß nicht die ganzen Blumen für die Toten gekauft. Wie naiv sie doch gewesen war!
Am liebsten würde sie die Zeit zurückdrehen und ihrem alten Ich eine schallende Backpfeife verpassen. Das Geld hatte sie aus dem Fenster geworfen. Das war ein kindisches Verhalten gewesen.
Hätte sie es doch nur gespart. Das könnte sie jetzt gut gebrauchen.

Hayley brauchte eine schnelle Lösung.

Sie lag eine ganze freie Nacht wach und starrte durch ihr Fenster in den Sternenhimmel. Dabei drehte sie die Juwelenblume. Sie wünschte sich einen ,,Deus-ex-machina"- Moment. Jemand kam vom Himmel, ein Gott oder irgendein anderes Wesen, und präsentierte ihr die perfekte Lösung.
Doch das passierte natürlich nicht. Die Sterne konnten ihr keine Idee liefern. Stattdessen erinnerten sie sie an ihren Vater, der die Sterne liebte wie Kinder. Wenn sie sich vorstellte, dass er nie wieder am Fenster sitzen und seine Sternenkarte zeichnen konnte...
Dass er nicht mehr diesen roten Ring vom Teleskop am Auge hatte, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam.
Ihr drehte sich der Magen um.
Sie konnte ihren Vater nicht sterben lassen.

Am nächsten Morgen wusste Hayley, dass sie rabiatere Maßnahmen ergreifen musste. Es würde niemand kommen, um ihr zu helfen. Jetzt war sie vollkommen auf sich allein gestellt.

Sie war hübsch, im besten Alter und das musste sie nutzen.
Sie brauchte einen Ehemann. Jemanden, der bereitwillig für ihren Vater bezahlen würde. Nicht nur für die anstehenden Behandlungen sondern auch für die Folgenden, die laut den Ärzten auf jeden Fall erforderlich waren, wenn er ein normales Leben führen wollte.

Doch die Menschen mochten sie nicht. Es war ihre Aura, die sie abschreckte, und auch ihre seltsame Art. Dies kam nicht nur von ihrer Erziehung, sondern vor allem von den Genen, die ihre Mutter ihr vererbt hatte.

Hayley traf also eine folgenschwere Entscheidung.
Unter Tränen legte sie ihre Gaben ab.

Es war ein großer Teil von ihr und sie wusste nicht, ob es überhaupt funktionieren würde. Sie schloss diesen Teil ihres Wesens in sich weg. Alles, was sie ausmachte. Ihre Nachtsicht und Nachtheilung, das Gefühl, in der Düsternis und Einsamkeit zu Hause zu sein, alles, was mit ihrer mütterlichen Seite zu tun hatte. So war sie hoffentlich mehr wie normale Sterbliche.
Hayley benutzte wieder das Make up, was ihr Vater ihr früher einmal gekauft hatte, weil Teenager-Hayley sich unbedingt schminken wollte. Sie trug Kleidung, in der sie sich nicht wohl fühlte, die ihr Vater ihr mal zum Geburtstag geschenkt hatte, und sie ging aus.

TotensängerinWhere stories live. Discover now