Lee Jordan

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„Danke", sagte der Schulleiter leise und der Applaus und die die Willkommensrufe erstarben.
Er blickte weder zu Harry noch zu Felix, welcher sich mit fahrigen Händen die Tränen von der Wange wischte, sondern ging zielstrebig auf die Vogelstange zu und zog aus seinem Umhang den kleinen, zerknitterten Fawkes heraus, um ihn unter der Stange in einer Schüssel mit weicher Asche zu betten.
Dann erst wandte er sich um. Felix stützte sich an der Wand ab, um aufzustehen.

„Nun, Harry. Du wirst dich freuen, zu hören, dass keiner deiner Mitschüler bleibenden Schaden von den Ereignissen dieser Nacht zurückbehalten wird."
Harry schwieg. Nur ein flüchtiger Blick zu Felix verriet seinen Gedankengang. Der Achtzehnjährige wich ihm aus.
„Madam Pomfrey flickt sie alle zusammen", fuhr Dumbledore fort. „Nymphadora Tonks und Sirius werden wohl noch ein wenig im St. Mungos bleiben müssen, aber zweifellos werden sie sich erholen."
Harrys Kopf ruckte nach oben.
„Sirius? Professor, haben Sie den Minister von seiner..."
„Vorerst erklärte er sich einverstanden, ihn noch nicht an die Dementoren auszuliefern. Im Moment wird er das Bett aber nicht verlassen können, selbst wenn er wollen würde. Außerdem wird er von zwei Auroren bewacht."
„Das heißt..."
„Ja, Harry. Im Moment sieht es ziemlich gut aus."

Der Junge atmete merklich auf. Dann sah Dumbledore zu Felix. Er erwiderte ihn fest. Sah starr in die gletscherblauen Augen.
„Ist alles in Ordnung?"
Er schnaubte.
„Ist das Ihr Ernst?", fragte er.
Seine Stimme war heiser.
Dumbledore trat zu ihm und legte seine Hand auf seiner Schulter ab.
„Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst."

Felix schüttelte seine Hand ab und ging einen Schritt zurück.
„Können Sie nicht", schleuderte er ihm entgegen. „Sie haben keine Ahnung, wie ich mich fühle, niemand hat das. Wieder habe ich jemanden verloren. Etwas, was ich zu gerne vermieden hätte."
Seine Stimme zitterte und wieder füllten sich seine Augen mit Tränen. Energisch blinzelte er sie weg.
„Dazu habe ich versucht Harry zu beschützen und Sie? Sie vertrauen mir nicht einmal, verdammt! Sie vertrauen mir nicht, obwohl ich es tue, ohne auf das zu schauen, was Sie schon alles getan haben!"

Ein Schnauben kam von einem der Porträts. Phineas Niggelus. Mal wieder.
„Sehen Sie, Dumbledore?", sagte er listig. „Versuchen Sie nie, die Schüler zu verstehen. Sie hassen es. Sie möchten viel eher tragisch missverstanden sein, sich in Selbstmitleid suhlen, schmoren in ihrem eigenen..."
„Danke, das genügt, Phineas", unterbrach Dumbledore ihn kühl und sah wieder zu Felix.
„Im Gegenteil. Ich vertraue dir, Felix. Ich..."
„Aber Sie zeigen es nicht einmal ansatzweise. Sie haben Angst", unterbrach Felix ihn mit brüchiger Stimme. „Sie ekeln sich vor mir. Halten das, was ich bin, für etwas Abstoßendes."

Er kehrte ihm den Rücken zu. Und rieb sich über die Augen.
„Niemals würde mir das einfallen", widersprach Dumbledore ihm mit ruhiger Stimme. „Ich habe Angst, das gebe ich zu. Aber Angst um dich."
„Warum lassen Sie mich dann nicht das Buch lesen? Was habe ich denn noch groß zu verlieren?"
Zum letzten Mal versuchte Felix verzweifelt, etwas Falsches zu vermeiden. Versuchte ihn zu überreden, es ihm zu geben, sodass er nicht auf die Option zurückgreifen musste, welche er vor ihm versteckt hielt.
Jetzt trat auch Harry auf Dumbledore zu. Felix sah es nicht, hörte aber die bestimmten Schritte.
„Ich bitte Sie auch darum, Professor. Lassen Sie es ihn versuchen."

„Was belangt denn dich das, Harry?"
Das Erstaunen war aus seiner Stimme herauszuhören.
„Ich habe ihm versprochen, ein gutes Wort für ihn einzulegen", antwortete Harry frei heraus. „Er hat es vorgezogen, Ihnen zu vertrauen. Und nicht Voldemort."
„Tom hat ihm Schmerzen zugefügt. Hat gewaltsam versucht, ihn zum Mörder zu machen. Warum sollte er diesem Mann vertrauen? Felix?"
Felix drehte sich um. Atmete tief durch.
„Er hat es mir angeboten, Professor. Ich hätte es annehmen können. Hätte an mich denken können. Gerade in diesem Moment, nachdem sowieso alles vergeblich war. Es wäre nichts passiert, wenn ich es getan hätte, es hätte keinen Unterschied gemacht."

Er sah kurz zu Harry.
„Er ist ein Monster, ja. Aber er hat mir das Angebot unterbreitet, welches ich ablehnen, aber auch annehmen konnte, ohne dass er mir wieder wehgetan hätte. In diesem Moment. Glauben Sie, es war leicht, dieser Versuchung zu widerstehen? Ich habe es getan, weil ich gehofft habe, dass Sie...ich habe gedacht, Sie würden mir etwas Vertrauen entgegenbringen und nicht nur sagen, sie hätten welches."
Dumbledore seufzte.
„Felix, du musst mich verstehen. Ihr müsst mich verstehen."

Endgültig enttäuscht sackten seine Schultern nach unten. Das war es. Schon allein der Ton sagte es ihm.
„Dieses Buch ist nicht nötig, um dir zu helfen, Felix. Zudem besitze ich es schon längst nicht mehr. Es wurde diesem Büro entwendet, als ich von hier fliehen musste. Ich nehme an, Fudge entdeckte es und hielt es für besser, es einem Unsäglichen zur Forschung zu geben."
Bitter lachte der junge Mann auf.
„Sag mir, hast du denn überhaupt die Werke benutzt, welche ich dir schon gegeben habe? Hast du überhaupt versucht, ohne dieses Buch, welches du so sehr begehrst, deinen Zustand zu bessern?"

Felix konnte es nicht fassen. Nicht nur log der Professor ihm unverfroren ins Gesicht, jetzt gab er auch noch ihm die Schuld für seine mangelnde Gesundheit.
„Ja. Hab ich", antwortete er scharf. „Sie meinen wahrscheinlich die Werke, die mir eher noch mehr Kopfschmerzen beschert haben. Oh ja, all diese neunmalklugen Sprüche, wie ich meinen Geist mit meinem Körper in Einklang bringe, haben nichts gebracht."

Es verlangte all seine Selbstbeherrschung, nicht wieder zu schreien oder direkt den Zauberstab zu ziehen, damit dieses ruhige Gesicht endlich einmal einen Ansatz von Emotionen zeigte. Und wenn es Wut war.
Dumbledore schwieg und er wischte sich über das Gesicht und atmete tief durch. Er wollte hier nicht mehr sein. Nicht bei diesem Mann.
„Ich würde mich gerne hinlegen."
Dumbledore nickte knapp.
„Natürlich. Geh einfach in den Krankenflügel. Mr Jordan ist auch dort. Harry, mit dir würde ich gerne noch kurz sprechen."
Verbissen nickte der Junge.

Felix antwortete nichts, er drehte sich einfach nur um und verließ das Büro.
Er hatte übertrieben. Er hatte sich gehen lassen und es wahrscheinlich nur noch schlimmer gemacht.
Auf seinen wackeligen Beinen ging er den Treppen nach unten und schlug dann langsam den Weg zum Krankenflügel ein. Wie hatte er dieses Gemäuer vermisst. Hier fühlte er sich fast zu Hause und länger als ein halbes Jahr war er nicht hier gewesen. Und trotzdem war da jetzt dieser bittere Beigeschmack, als er an den Mann im Schulleiterbüro dachte.

Als er endlich in den Krankenflügel trat, lief dort tatsächlich Lee auf und ab. Sein Herz machte einen Hüpfer und er blieb stehen, um ihn zu beobachten. Wie hatte er ihm gefehlt. Und dann sah der Gryffindor ihn. Er hielt abrupt inne und nahm die Arme hinter seinem Rücken hervor.
„Felix."
Schnell setzte Felix sich in Bewegung und als er bei ihm ankam, schloss er ihn in eine feste Umarmung. Das Gesicht legte er dabei auf seiner Schulter ab.
Endlich hatte er ihn wieder. Endlich hatte er seinen Freund wieder.

„Wie geht es dir?", fragte Lee, offenbar unfassbar erleichtert, dass er wieder da war.
Seine Zöpfe kitzelten ihn im Gesicht. Felix antwortete nicht, sondern drückte ihn nur noch enger an sich.
„Komm mit. Du zitterst ja wie verrückt, setz dich erst einmal."
Felix trat einen Schritt von ihm zurück und nickte knapp. Er ließ sich von ihm zu einem der Betten führen und stützte sich auf seine Knie. Lee setzte sich ebenfalls auf die Bettkante und legte wieder seine Arme um ihn.

„Was ist passiert?", fragte er leise.
Felix wischte sich die Tränen, welche sich zum erneuten Mal in seine Augen geschlichen hatten, weg.
„Es ist...Mel. Er...er wurde..."
Seine Stimme versagte, aber Lee schien gar nicht mehr zu brauchen. Bestürzt sah er ihn an.
„Nein! Bei den Gründern, Felix. Das...oh Gott. Aber...aber dir? Geht es dir gut?"
„Ich weiß es nicht", antwortete Felix wahrheitsgemäß.
„Weißt du was? Ich hole Madam Pomfrey, etwas heiße Schokolade und dann weiche ich die restliche Nacht nicht mehr von deiner Seite."
Felix versuchte zu lächeln, schnitt aber nur eine klägliche Grimasse.
„Danke, Lee. Du ahnst nicht, wie sehr ich dich vermisst habe."
„Ich habe dich auch vermisst. Es war schrecklich, ganz allein hier zu sein."
Lee gab ihm einen Kuss auf den Scheitel, dann verschwand er. Mit zittrigem Atem legte sich Felix zurück. Wie hatte das alles nur passieren können?

Der Erbe des Prinzen - Die Entscheidung [Teil I]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt