17 | Kläglich versagt

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- LILLY -

Ich sah, wie er weghumpelte. Und das brach mir das Herz.

Er hatte recht. Natürlich hatte er das. Ich hätte meinen Freunden von meinen Vermutungen erzählen sollen. Sie in meinen Plan einweihen sollen. Mit ihnen gemeinsam eine Lösung finden sollen. All das hätte ich machen sollen. 

Vor allem ihm zur Liebe.

Und jetzt? Jetzt sitze ich hier. Heule. Denke darüber nach. Verfluche meine Entscheidungen. Er war enttäuscht von mir. Alle waren das. Aber er am meisten. Und ich kann es ihm nicht mal verübeln. Er hatte recht. Er hatte recht. Er hatte recht.

"Komm, wir müssen deine Wunden versorgen", sagte mein Bruder sanft, als er plötzlich neben mir auftauchte.

Ich nickte nur.

* * *

Die Heiler kümmerten sich um unsere Wunden. Jeder wurde angemessen versorgt.

"Deine Verletzungen sind nicht all zu schlimm. Du wirst dich sicher schnell wieder erholen", erklärte mir einer der Pfleger.

"Danke."

"Nicht dafür, Kleines."

Alle hier waren so nett. Selbst nachdem wir die bisher heftigste Schlachte führten. Nun kamen auch meine Teamkameraden zu mir.

"Alles in Ordnung, Lilly?", fragte Nya prompt.

Ich nickte.

"Und bei euch?"

"Die Scharniere sind etwas eingerostet und kaputt aber sonst ist alles paletti."

"Man Jay, du hörst dich ja an wie Zane!"

"Also bin ich doch schlau!"

Coles Handfläche landete auf seiner Stirn.

"Krass, wie du da im letzten Moment noch aufs Schlachtfeld kamst!", meinte Ruby.

"Mh naja."

"Machst du dir Sorgen um Kai?"

Mein Bruder traf mit dieser Frage genau meinen wunden Punkt. Ich erstarrte kurz.

"Lloyd, nicht!"

"Ist schon gut. Wie geht es ihm?", fragte ich dann.

Ihre Gesichter verwandelten sich in niedergeschlagene, besorgte Blicke.

"Um ehrlich zu sein, nicht so rosig. Und Mura geht es auch nicht viel besser. Die beiden haben einen harten Kampf hinter sich", antwortete mir Nya.

Meine Augen weiteten sich. Also doch. Seine Verletzung waren schlimm.

"Kann ich ihn sehen?"

Lloyd legte seinen Arm um mich und führte mich zu einem anderen Krankenzimmer. Es war abgeschotteter. Und größer. Auch die anderen Ninjas folgten uns. Wir machten vor einem Fenster, oder wie auch immer man die gelblichen Scheiben umrandet von Holzleisten nennen will, halt. Was sich dahinter befand... Es war tatsächlich Kai. Und auch Mura.

Sie lagen auf höher gelegenen Holzbetten, die mit Moos bedeckt waren. Im vorderen befand sich das Oberhaupt. Sie trug einige Verbände, hauptsächlich um ihren Bauch und ihre Arme. Außer ein paar Kratzern sah ihr Gesicht unversehrt aus. Sie hatte ihre Augen geschlossen und schien friedlich zu schlafen. Wenigstens eine.

Mein Blick fiel nun auf das hintere Bett, in dem Kai lag. Er wurde gerade noch versorgt. Erst als der Heiler den Raum verließ, konnte ich seinen Körper sehen. Und er sah wirklich schlimmer aus als Mura. Auch Kai trug an Bauch und Armen Verbände. Doch es waren mehr als bei unserem Oberhaupt. Außerdem fing das Blut schon an, durch diese zu sickern. Sein Knie war ebenfalls mit Bandagen umwickelt. Das erklärt, warum er humpeln musste. 

Nun traute ich mich auch in sein Gesicht zu blicken. Im Gegensatz zu Mura war er nicht entspannt. Nein. Er schien beschwerlich gegen den Schmerz ankämpfen zu müssen. Das machte mir Angst. Kai war sonst immer derjenige, der alles über sich ergehen ließ und besonders zäh war. Doch wenn er jetzt solche großen Schmerzen hat, müssten sie einen normal sterblichen Menschen wohl beinahe umbringen. 

Er tat mir so unaussprechlich leid. Nur wegen mir musste er heute dort liegen. Nur weil ich zu spät kam. Nur weil ich ihm nichts erzählt habe. Nur deswegen hasst er mich jetzt.

Meine Hände ballten sich zu steinharten Fäusten. All meine Wut steckte in ihnen. Einzig und allein um meine Tränen zu unterdrücken. Doch auch dies missfiel mir. Ich wurde kurz darauf in eine warme Umarmung gezogen.

"Schon gut", hauchte jemand.

"Alles kommt wieder in Ordnung. Keine Angst."

"Beruhig dich, Lilly."

Es waren meine Freunde, die mich versuchten zu trösten. Sie hatten wohl schon verdrängt, dass ich ihnen Dinge verheimlichte und wir so fast eine Schlacht verloren hätten.

* * *

Zeit zum Abendessen.

Noch immer plagte mich der Gedanke um Kai. Wie viel Zeit wird er brauchen? Wird er mir verzeihen können? Oder wird er mich auf ewig hassen? Ich hasse es auf jeden Fall. Ich hasse es die Antwort nicht zu kennen, obwohl sie direkt vor mir liegt. Ich hasse es, dass ich so dumm, all das zu verheimlichen. Ich hasse mich. Und er tut es auch.

Vertieft in meine Gedanken, merkte ich gar nicht, dass Mura den Speisesaal betrat. Erst als es still wurde, hob ich meinen Kopf, um zu sehen, was da vor sich geht. Das Oberhaupt bewegte sich langsam auf eine kleine Anhöhe im Raum zu. Man konnte ihr ansehen, dass sie die letzte Schlacht nicht unbeschadet überstanden hat. Sie schleppte sich die wenigen Treppen des Plateaus hinauf, blieb stehen und drehte sich kurz darauf zu uns, ihrem Volk.

"Meine Freunde, Gefährten, Bürger, Kinder. Der jüngste Kampf liegt uns noch schwer in den Knochen. Viele unserer Kameraden haben, mit dem Ziel, unsere Heimat zu schützen, ihr Leben riskiert und sind dabei gefallen. Sie kämpften ehrenhaft und mutig. Lasst uns in ihrem Namen eine Gedenkminute abhalten für ihre Tapferkeit, ihre Stärke, ihren Willen. Möget ihr ein erfülltes Leben geführt haben und nun Frieden finden, all ihr Krieger!", verkündete sie.

Es wurde noch stiller. Die Trauer lastete tief auf den Schultern jedes Bürgers. Tränen flossen. Dies war das einzige Geräusch, welches in der riesigen Halle erklang. 

"Doch auch nach einer solchen Schlacht dürfen wir den Mut nicht verlieren! Sicher sind viele Freunde heute gefallen, aber es hätten auch noch mehr sein können! Deswegen bin ich dankbar. Dankbar für jeden, der es halbwegs unbeschadet aus diesem Massaker herausgeschafft hat. Dankbar für jeden, dass wir trotz dessen hier so zahlreich stehen können. Dankbar für jeden, der uns zu Liebe, für den Frieden, sein Leben opferte. 

Und auch bin ich dankbar für die Ninjas, die uns auf Kosten ihres eigenen Lebens verteidigten, auch wenn sie bis vor kurzem nicht zu uns gehörten. Ich bedanke mich herzlich bei euch, dass ihr so viele retten konntet. Auch wenn euch dies schwer zusetzte und euch an den Rand eurer Möglichkeiten brachte, selbst dadurch gelang es euch unsere Heimat zu schützen. 

Deswegen mein liebes Volk, lasst uns heute die würdigen, die von uns gegangen sind aber auch die, die überlebt haben, und auch die, die sich dafür einsetzten!", beendete Mura ihre Ansprache und lautes Jubeln ertönte.

Muras Worte hallten auch laut in meinen Ohren wieder. Sie hielten mir noch einmal vor, dass ich zu spät war. Dass ich als grüner Ninja nicht alle retten konnte, so wie es von mir erwartet wurde. Auch wenn die meisten am Leben geblieben sind, fielen trotzdem viele auf dem Schlachtfeld. 

Ich bin erbärmlich. Und deswegen hasst er mich jetzt...

𝗪𝗲𝗻𝗻 𝗱𝗶𝗰𝗵 𝗱𝗮𝘀 𝗦𝗰𝗵𝗶𝗰𝗸𝘀𝗮𝗹 𝗲𝗶𝗻𝗵𝗼𝗹𝘁 || ɴɪɴᴊᴀɢᴏ ғғWhere stories live. Discover now