•Monster•

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Magnus sass auf der Couch, seiner ältesten Tochter gegenüber. Ihre grauen Augen waren von einem trüben Schleier bedeckt.

„Ich habe euch nie gefragt, warum.", bracht Kina das Schweigen.

„Warum was?"

„Warum haben wir Finn das angetan? Warum habt ihr euch dazu entschieden, diese Lüge zu leben?"

Magnus schnaufte traurig. „Wir hatten keine andere Wahl. Wir hatten nur euch zwei und es war klar, wir würden keine weiteren Kinder bekommen können, die das Alphablut in sich tragen würden. Traditionsgemäss hätte ich dich an Tag deiner Geburt töten müssen. Ich konnte dich nicht verlieren, auch wenn es bedeuten würde, dich dein ganzes Leben lang zu verstecken."

Kina schluckte.

„Aber Engelchen, das konnte ich nicht. Du hattest meine Augen. Ich konnte es einfach nicht.", meinte Magnus resigniert. „Nicht noch ein Mal.", sagte er ganz leise, ohne dass Kina es gehört hätte.

„Und wäre herausgekommen, dass du unter dem Vollmond geboren worden bist und nicht Finn, dass Rudel wäre wenige Zeit in Flammen gestanden. Wir wären angreifbar gewesen. Selbst wenn wir uns hätten verteidigen können, man hätte Jagd auf dich gemacht. Eine Alpha."

„Vielleicht haben wir gar nicht Finn damit beschützt, sondern dich."

„Das tragisch ist, jetzt sind wir an genau der gleichen Stelle, wo Mom und du vor zwanzig Jahren wart. Das Rudel wird überrant und zerstört. Und jetzt wo raus ist, dass Finn nicht der wahre Alpha ist, wir sind so angreifbar.", sagte Kina verzweifelt.

„Es wird sich einiges verändern, jetzt wo die Welt weiss, wer du wirklich bist. Ich bin froh für dich Kina, du hast dir immer gewünscht, frei zu sein. Vielleicht kann die Alpha Elis etwas geben, was wir dir nie geben konnten. Freiheit.", sagte ihr Vater aufrichtig.

„Wie kannst du nur so etwas sagen, bei all dem Chaos was um uns ist?", fragte Kina verwirrt.

„Ich kann nicht alle meine Kinder verlieren, Engelchen. Du hast die Chance hier raus zu kommen, ein neues Leben, ein freieres Leben anzufangen. Du kannst dich vielleicht nicht mehr daran erinnern, wie ich dich jeden Morgen dazu zwingen musste, diesen verdammten Wolfskrauttee zu trinken, der dich innerlich verbrannt hatte. Ich war so froh, als du nach dem Tod deiner Mutter für dich selbst eingestanden bist und dich geweigert hast, noch länger ein Schatten deiner Selbst zu sein. Du hast jahrelang zum Wohl der Familie und des Rudels gelitten. Finn wird es wahrscheinlich nie verstehen können, warum wir das getan haben. Er wird daran zu Grunde gehen."

Kina hatte nicht bemerkt, wie die Tränen auf ihrer Wange herunter geflossen waren. Ihr Herz zog sich zusammen. Sie hatte in letzter Zeit so viel Schmerzen verspürt, dass sie verwundert war, dass sie überhaupt noch fühlen konnte.

„Dad, es tut mir so leid, was passiert ist. Du musst mir glauben, ich wollte nichts davon. Ich dachte, Elis, mein Mate, er würde", Kina konnte den Satz nicht beenden. Die schmerzliche Erinnerung an Elis Verrat und Blosssstellung raubte ihre die Kraft zu sprechen und zu atmen. „Engelchen, dich trifft keine Schuld.", sagte Magnus nachdrücklich.

„Es war die Entscheidung deiner Mutter und mir, du musstest die Lüge ein Leben lang mit dir tragen. Wir müssen uns bei dir entschuldigen. Wir haben dich gezwungen, nicht du zu sein. Wir haben dich gezwungen, dich zu verstecken. Wir haben zu gesehen, wie du dein Leben lang unter unserer Entscheidung gelitten hast. Wir sind Monster.", sagte Magnus, die Tränen traten in seine Augen.

Kina schüttelte den Kopf, sie rutschte zu ihrem Vater und umarmte ihn. „Ihr seid keine Monster, Dad. Ihr wolltet uns beide beschützen. Und Finn beschützen bedeutete, dass ich leiden musste. Mich beschützen hätte wohl bedeutet, das ganze Rudel zu gefährden oder mich zu töten. Das ist eine Entscheidung, die niemand hätte treffen können."

„Wären wir unwürdig, würden wir wohl behaupten, die Mondgöttin wäre das wahre Monster.", lachte Magnus traurig.

„Dad, wo du schon bei den Unwürdigen bist. Was ist mit dieser Freya?", fragte Kina ihren Vater. Er wurde leichenblass und sah sie mit grossen, erschrockenen Augen an. Magnus räusperte sich. „Ich weiss es nicht, Engelchen." Kina wusste, das war nicht die Wahrheit. Aber jetzt war nicht der Moment, ihn auszufragen. Sie wurde das Gefühl nicht los, nicht die ganze Wahrheit zu kennen. Kannte ihr Vater sie überhaupt?

„Ich weiss nicht, wie ich mir selbst je verzeihen kann, für das was ich dir und deinem Bruder angetan habe.", meinte Magnus als er aufstand, um zu gehen und aus der Situation zu flüchten. „Kina, ich hoffe, das Schlimmste ist überstanden, aber ich habe das Gefühl, da kommt etwas grosses auf uns zu. Stell sicher, dass du hier im Rudel nichts Unabgeschlossenes hinterlässt. Das werden wir nicht überstehen."

Er meinte Finn. Sie musste sich mit Finn aussprechen.

Alphablut - Legends of AlikanteWhere stories live. Discover now