•Bruch•

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Zwei Tage später klopfte es unerwartet an der Haustüre. Kina öffnete sie und sah zu ihrer Überraschung Finn, der vor der Türe gewartet hatte. Er trug eine Sporthose und ein helles T-Shirt und sah erholt aus.

„Lass uns reden.", meinte er giftig.

„Klar, ein Moment, ich hole noch meine Sachen, dann können wir raus gehen.", sagte Kina rasch und zog ihre Schuhe an.

Schweigend lief sie neben Finn in den Wald hinein.

„Du bist also ein Wolf.", spuckte Finn. Kina nickte. „Wie konntest du das all die Jahre geheim halten?", fragte Finn nach.

„Naja, Mom und Dad haben mich früher gezwungen, Wolfskrauttee zu trinken, jeden Morgen. Darum war ich wohl auch immer so kränkelig. Und nach Moms Tod war es Selbstkontrolle."

„Wann war das erste Mal, dass du dich verwandelt hast?" „Als ich fünf Jahre alt war." Finn nickte beeindruckt. „Früh, selbst für eine Alpha." Kina zuckte mit den Achseln. „Das war mir nie wichtig." Er schnaubte. „Das ist einfach zu sagen."

„Wer weiss alles davon? Also bevor Alpha Elis eine Show daraus gemacht hat?"

„Willst du das wirklich wissen?", fragte Kina ihren Bruder skeptisch. „Ja!", sagte er überzeugt. „Was machst du mit den Leuten, die davon wussten?" „Das sage ich dir bestimmt nicht.", antwortete Finn giftig.

Kina schluckte. „Du verdienst eine Antwort auf jede deiner Fragen. Aber bitte, bestrafe nicht die Leute, die unschuldigerweise hineingezogen wurden. Ich weiss, das scheint im Moment viel verlangt." Kina schaute zu Finn und erwartete eine Reaktion, doch sie bekam keine. „Dad wusste natürlich davon. Und Jacob, irgendwann später." „Und der Rest?", hakte Finn nach. „Welcher Rest?", fragte Kina verwirrt. „Es sollen nur zwei Personen davon gewusst haben?"

Kina nickte bestätigend. „Wow, ihr seid wirklich gut. Man könnte sich fragen, was für Geheimnisse ihr noch versteckt.", lachte Finn traurig. „Finn, bitte", Kina konnte ihren Satz nicht beenden, Finn unterbrach sie barsch. „Nicht, ich will es nicht hören.", schnaubte er.

Schweigend gingen sie durch den Wald. Die Sonne stand noch nicht an ihrer höchsten Position, dennoch war es schon fast unerträglich warm.

„Warum hast du es ihm erzählt?", fragte Finn irgendwann. „Ich will, dass du weisst, das, was passiert ist, habe ich nicht gewollte. Ich habe Elis davon erzählt, weil er mein Mate ist. Insgeheim habe ich wohl gehofft, dass er mich aus meiner misslichen Lage befreien konnte. Ich wollte ihm vertrauen, immerhin ist er mein Mate, oder?

Weisst du Finn, ich habe mich mein ganzes Leben lang versteckt und verstellt. Meine Identität war nie, dass ich das Alphablut in mir trage und nicht du. Das ist mir auch nicht wichtig. Aber ich wurde unterdrückt, ich durfte mich nicht frei entfalten und wenn auch die geringste Chance bestanden hätte, dass ich irgendwie frei oder freier sein kann, ich wollte sie ergreifen. Aber. Es gab ein grosses Aber. Nie im Leben habe ich gewollt, dass du darunter leidest. Ganz ehrlich, ich hätte dieses Geheimnis bis in mein Grab für mich behalten, damit du es nicht erfahren musst. Wir wurden beide in etwas hineingezogen, was nicht unsere Entscheidung war.", versuchte Kina zu erlären.

„Falsch!", meinte Finn. „Es ist richtig, du wurdest in etwas hereingezogen und das war wahrscheinlich auch sehr egoistisch und engstirnig von unseren Eltern geplant. Aber, mein aber, ab einem gewissen Zeitpunkt hattest du ein Gefühl dafür, was falsch und was richtig ist. Und dann hättest du es mir sagen müssen! Ich hätte von meiner Schwester erwarten sollen, dass sie zu mir steht!"

Kina blickte betreten auf den Boden, er hatte Recht.

„Warum hast du es mir nicht erzählt?", fragte Finn. Kina faltete ihre Hände ineinander. „Die Wahrheit ist, ich dachte, du würdest mich hassen. Und das hätte ich nicht ertragen können. Finn, ich wäre, und bin es immer noch, bereit gewesen, alles für dich zu tun, damit es dir gut geht. Selbst wenn ich mit diesem Geheimnis leben müsste."

„Das mit dem Hass hast du ja gut hinbekommen.", spuckte Finn. Der Hass tropfte schwer in seinen Worte. Kina zuckte zusammen. „Ich weiss.", sagte Kina traurig und rieb sich kurz über die Augen, in der Hoffnung, ihre Tränen würden wieder verschwinden.

„Finn, bist du gerne Alpha?", fragte sie ihn nachdenklich. „Ich weiss es nicht, ich bin es, weil es meine Aufgabe ist. Ich wurde so erzogen, ich wurde dafür erzogen. Was sollte ich sonst auch anderes machen?", fragte er zurück. Kina zuckte mit den Achseln. „Siehst du, wir beide sind in etwas gefangen, was wir eigentlich nicht sind.", fasste sie zusammen.

Sie waren am Rande der Felsen angekommen. Unter ihnen öffnete sich ein Abgrund von mehreren hundert Metern. An windigen Tagen konnte man auf der Anhöhe die Meeresbriese spüren.

„Im Gegensatz zu dir lebe ich keine Lüge, zumindest nicht bewusst.", antwortete Finn.

„Hätte ich es merken müssen?" fragte Finn sich.
Traurig schüttelte Kina den Kopf. „Du bist ein guter Alpha Finn. DU bist der Alpha vom Vollmondrudel. Du hättest es nicht bemerken müssen, niemand sollte das."

Und dann stellte er die wichtigste Frage: „Warum?" „Warum ein Geheimnis um das Alphablut gemacht wurde?" fragte Kina. Finn nickte.

„In all den Jahren habe ich so viele Begründungen dafür gehört. Ganz ehrlich, ich glaube es gibt keine wirkliche Antwort und es gibt so viel mehr, was wir nicht wissen, was passiert ist."

„Freya?", fragte Finn. Ihm war es natürlich auch aufgefallen. Kina nickte schnell.

„Das, was ich mir immer eingeredet hatte, war, dass ich dich damit schützen würde. Aber ganz ehrlich, wovor ich dich beschützt habe, keine Ahnung. Dad meinte letztens, es hätte auch mich geschützt. Und das ist bestimmt auch so. Aber ich kann mit dem Gedanken nicht leben, dass ich dir das antun musste, nur um meinetwillen. Ich will, dass da noch mehr ist und ich bin überzeugt, dass noch mehr hinter diesem Geheimnis steckt."

Finn schmunzelnde und legte die Hände in den Nacken, er schloss die Augen. „Natürlich ist da noch mehr. Eine Lüge kommt selten allein.", schnaubte er. 

„Wirst du mir das je verzeihen können?"

„Ich glaube nicht", sagte Finn kopfschüttelnd. Kinas Herz zog sich zusammen. Sie hatte diese Antwort erwartet, doch sie tatsächlich von ihm zu hören, tat weh. Finn ging auf den Waldrand zu.

„Du bist nicht mehr meine Schwester. Wenn es nach mir gehen würde, würde ich dich aus dem Rudel verbannen und dir verbieten, jemals auch nur einen Schritt auf mein Territorium zu setzen."

„Ich habe keine Familie mehr. Mum ist gestorben, genauso wie mein Dad und meine Schwester. Ich bin alleine." Er verwandelte sich in einen kleinen braunen Wolf mit grauen Augen und sprang davon. Für einen kurzen Moment blickte der Wolf liebevoll auf sie zurück, bevor sich seine Augen verdunkelten.

In ihm war etwas zerbrochen und Kina wusste nicht, wie er jemals davon wieder heilen würde.

Alphablut - Legends of AlikanteDonde viven las historias. Descúbrelo ahora