18. Stark

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Als Paula wieder zurückkommt, dampfen zwei frische Tassen auf dem Küchentisch.

„Oh prima ich hatte dieselbe Idee.", meint sie und deutet auf die Tassen, als sie sich setzt. Sie sieht Merle entschuldigend an. „Tut mir leid für die Unterbrechung, bitte erzähle weiter."

Merle streicht sich die kastanienbraunen Locken hinter die Ohren. „Also alles lief so weit bestens, wenn da nicht meine innere Unruhe gewesen wäre.

Wie du weißt, habe ich im Hotel gearbeitet. Habe diese wundervoll zurechtgemachten Frauen bewundert. Ich fand sie einfach so schön und wollte auch so sein. Kein Bartwuchs, sondern ein glattes Gesicht. Hübsch zurechtgemacht mit Make-up und Schmuck.

Eine Anziehung, die so stark war, dass ich diese mit meiner Therapeutin besprochen habe. Weil es mir keine Ruhe gelassen hat. Ich habe zu dem Zeitpunkt nie meine Sexualität oder mein Geschlecht infrage gestellt.

Warum auch der Sex war hervorragend, mein Freund war ein Traum. Es war mein Äußeres, mit dem ich unzufrieden war.", Merle hebt ihre zierlichen Hände, um Paula am Reden zu hindern. „Ich weiß, das hört sich grotesk an, ich versuche wirklich, es dir so zu beschreiben, wie es war.

Vielleicht wenn meine Therapeutin mehr Erfahrung mit dem Thema Transgender gehabt hätte, wäre bei ihr der Groschen gefallen, aber so war es nicht. Natürlich hat sie mich mehrmals gefragt, ob ich mich als Frau verstehe, aber das tat ich nicht, oder besser verdrängte es. Es war immer da, immer in mir, aber der Verdrängungsmechanismus eines Menschen ist bemerkenswert.", erklärt Merle ernst.

„Hattest du nie das Gefühl im falschen Körper zu sein? Du weißt schon, so wie man es immer liest.", fragt Paula interessiert.

„Ich würde es so nicht beschreiben. Schau, in mir war immer die sexuelle Anziehung zu Männern, wenn du selbst als einer geboren wurdest, musst du dich erst mit dem dadurch verbundenen Stigma auseinandersetzen. Also war mein Kopf als Heranwachsender voll mit dem Thema Homosexualität und dessen Vorurteilen.

Mein Elternhaus war das beste Beispiel. Ich konnte auch eine Bisexualität ausschließen, denn was mich an Frauen faszinierte, war nur ihr Aussehen. Da waren keine erotischen Vorstellungen in mir mit einer Frau. Das meine ich, wenn ich von meiner inneren Unruhe spreche. Ich konnte einfach nicht greifen, was mich so zerriss. Es nicht in Worte fassen.

Es war etwas in mir, das nicht in Ordnung war. Deshalb auch die Therapie, ich wollte dem ganzen auf den Grund gehen. Aber zuerst war es die Unterwäsche und als ich in Daniel den Partner gefunden hatte, der es nicht nur akzeptierte, sondern mich auch noch unterstützte, war für einen Moment alles in mir ruhig und ich dachte, ja das war es jetzt. In einer der Sitzungen erwähnte meine Therapeutin die Möglichkeit, mit einer geringen Dosis Hormone dem ganzen entgegenzuwirken."

„Aber dann kann sie doch nicht so unerfahren in diesem Thema gewesen sein.", rutscht es Paula raus.

Merle klammert sich an die Tasse, dass ihre Knöchel weiß werden. „Ich weiß es nicht, ich will ihr auch überhaupt keine Schuld geben Paula. Sie konnte nur mit dem Arbeiten, was ich ihr gegeben habe.

Jedenfalls habe ich wieder mit Daniel darüber gesprochen, aber dieses Mal lief das Gespräch nicht ganz so glimpflich ab. Er war nicht sauer, er hatte Angst. Daniel hatte unglaubliche Angst, was die Hormone mit mir anstellen könnten. Nicht optisch, das war ihm egal, er wollte, dass ich mich gesundheitlich nicht in Gefahr bringe.", erzählt Merle.

„Er hatte keine Bedenken wegen deinem Aussehen und was am Ende an dich hin wächst?", Paula unterstreicht ihre Worte mit einer eindeutigen Geste.

„Ob du es glaubst oder nicht nein, das war ihm egal. Also nicht ganz, natürlich gingen bei ihm die Alarmglocken an und er fragte mich jedes Mal, wenn dieses Thema auf den Tisch kam, ob ich meinen Penis ablehne, ob ich mein Geschlecht ändern möchte. Und ich war davon überzeugt, dass es nicht der Fall ist. Ich war so dumm Paula, ich hätte es zu diesem Zeitpunkt wissen müssen. Wenn ich allein gewesen wäre, ja dann hätte ich vielleicht anders geantwortet.

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