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Ein muffiger Geruch dringt in meine Nase. Es riecht alt und nass. Ich schiebe das Stück Stoff zur Seite, welches den kühlen Wind aus meinem selbstgebauten Haus weitestgehend zurückhält, um durch eine Luke nach draußen zu sehen. Das Wetter in London ist unbeständig und oft kühl und regnerisch. Ohne die paar Holzbalken und Wände aus Wellblech hätte ich keinen Unterschlupf.

Der einzige Vorteil: Von meinem Zuhause aus, habe ich einen grandiosen Blick auf die Stadt. Jeden Morgen, wenn die Vögel zu zwitschern beginnen, stehe ich von meiner alten durchgelegenen  Matratze, die ich mit viel Glück auf der Straße gefunden habe, auf und betrachte den Sonnenaufgang. Sofern es einen gibt. Zu oft schieben sich dichte Wolken vor die Sonne. Doch heute habe ich Glück. Die morgendliche Röte ist ein prachtvolles Farbenspiel am sonst so tristen Himmel.

Heute wird ein guter Tag, da bin ich sicher.

Noch nie habe ich viel zum Überleben gebraucht und doch ist es mein größter Wunsch, einmal den Luxus genießen zu können, in einem gemütlichen Bett zu schlafen. Ohne den Wind, der durch die Ritzen pfeift. Ohne den Regen, der in mein Zuhause tropft. Ohne ein Dach, welches bei Stürmen wegzufliegen oder einzustürzen droht.

Wenn man, wie ich, alleine lebt und auf sich selbst gestellt ist, wird man kreativ und erfinderisch. Mein Haus habe ich selbst gebaut. Zwar mit rostigen Nägeln und sicherlich würde es keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, aber es bietet mir Schutz und gibt mir in gewisser Weise auch Sicherheit.

Das, was ich zum Leben brauche,  verdiene ich mir irgendwie. Nicht immer legal, aber ich habe keine andere Wahl. Andernfalls wäre ich längst verhungert, verdurstet oder erfroren.

Vielleicht bin ich selber Schuld, weil ich mit sechzehn aus dem Heim abgehauen bin, in dem ich aufgewachsen bin, doch dort habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Sie waren nicht gut zu mir. Zu keinem. Es gab zwar etwas zu essen, auch wenn es oft nichts besonderes war, aber hier geht es mir trotzdem besser. Seelisch betrachtet.

Hier habe ich meine Freiheiten und muss bei einem Jugendamt-Besuch nicht so tun, als sei alles in bester Ordnung. Hatte man einen Fehler gemacht, wurde man bestraft. Wie die Bestrafung aussah, kam darauf an, wie schwerwiegend das Vergehen war. Mal bekam man kein Essen, mal musste man Zeit in seinem Mehrbettzimmer absitzen und mal kam der Kochlöffel zum Einsatz.

Eines Nachts war ich geflohen und wusste sehr lange nicht, wohin ich sollte. Ich hatte auf einer Bank geschlafen, unter einer Brücke und auch im Obdachlosenheim. Bis es dort zu Gewalttätigkeiten aufgrund von zu hohem Alkoholkonsum gekommen war. Seitdem wollte ich nicht mehr dorthin zurück. Und das ist bis heute so geblieben.

Tag für Tag sammle ich Flaschen oder klaue etwas, um es danach wieder weiter zu verkaufen. Ich weiß, dass es sich nicht gehört und dass ich kriminell bin. Und doch muss es sein, um zu überleben. Einen Job bekomme ich nicht. Was sollte ich auch machen? Ich habe nichts gelernt und kann dementsprechend nichts vorweisen. Ich habe nicht mal eine Adresse, die ich bei meinem Arbeitgeber angeben könnte. Ganz zu schweigen von einem Bankkonto.

Mein Leben ist okay so, wie es ist. Ich bin nicht zufrieden, aber ich lebe. Und ich versuche jeden Tag das Beste aus meiner Situation herauszuholen.

Als die Sonne aufgegangen ist und ich diesen seltenen Anblick genossen habe, putze ich mir die Zähne, kämme meine dunkelblonden Haare, die mir fast bis zu meinem Hintern reichen und binde sie schließlich zu einem Zopf. Dann hebe ich meine Arme und überprüfe links und rechts unter meinen Achseln meinen Geruch.

Einmal in der Woche gehe ich in das örtliche Schwimmbad. Dort kann man Sonntags gegen eine kleine Spende schwimmen gehen. Und bei mir bedeutet klein wirklich klein. Manchmal sind es sogar nur Knöpfe, die ich in die Dose werfe, wenn die vollbusige Mitarbeiterin nicht genau hinsieht.

Save MeWhere stories live. Discover now