Rachepläne

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Ächzend erhob er sich von dem Bett, auf das sie ihn am Vorabend gelegt hatten. Der Druck hinter seiner Stirn nahm zu. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Einen Moment hielt er schwankend inne und dachte über die Situation nach, in der er aufgewacht war.

Fast einhundert Jahre hatte er in der Kryokammer geschlafen. Mit Blutmagie versiegelt, durch selbige Magie geöffnet. Eine Oamena, die von einigen Soldaten seines Herrschers bis zum Tempel gejagt worden war. Zu seinem Bedauern war sie ihnen entwischt, weil sie nicht erkannten, was ihnen durch die Lappen ging. Eine junge Hohe Großhexe.

Er knurrte leise. Sie mussten verhindern, dass sie entkam und die Bewohner ihres Planeten warnte. Jetzt, wo er dem Ealdor wieder diente, war es ein Leichtes, den Krieg ein für alle Mal zu beenden. Die oamenischen Magier waren fast vollständig ausgerottet, bevor man ihm eine Falle gestellt hatte. Er selbst hatte dafür Sorge getragen, diese hinterlistigen Beschwörer zu vernichten. Von Rache getrieben, hatte er sie gnadenlos verfolgt. Die junge Frau vom Tempel würde ihr Schicksal teilen. Es würde ihr nicht lange gelingen, sich vor ihm zu verstecken.

Er lief weiter zum Tisch, auf dem eine alte brüchige Karte lag. Der Dschungeltempel war ebenso eingezeichnet wie die überwucherten Pfade, die zu ihm führten. Welchen Weg hatte sie gewählt, um vor ihren Verfolgern zu fliehen? Im Norden grenzte ein Hochgebirge an den Dschungel. Unmöglich, ohne technische Hilfsmittel zu überwinden. Im Osten ein schier unendliches Ödland. Einst hatte dort eine blühende Stadt gestanden. Bis zu ihrer Zerstörung durch die Oameni vor etwa einhundertfünfzig Jahren.

Leonor.

Er schloss die Augen, holte sich das Bild seiner damaligen Verlobten ins Gedächtnis. Ihr strahlendes Lächeln, als sie ihm von der Schwangerschaft berichtete. Es grenzte an ein Wunder, dass sie als einfache Sterbliche ein Kind von ihm erwartete, obwohl sie nicht seine Seelengefährtin war. Denn nur diese garantierten Nachwuchs für einen Langlebigen wie ihn. Er seufzte gedämpft, strich über die Karte.

Die Oameni hatten alles zerstört. Die Stadt, die Landschaft, sein Leben. Hohe Großhexer hatten sich dank ihrer magischen Fähigkeiten auf Macra, seinem Heimatplaneten, eingeschleust, und den Angreifern aus dem All den Weg geebnet. Alle Lebewesen in einem Umkreis von zweihundert Kilometern waren ausgelöscht worden - und mit ihnen Leonor.

Er atmete tief durch, heftete dann seinen Blick erneut auf die Karte. Wo steckte das Miststück? War sie gen Westen gelaufen, wo der Dschungel an den Ozean grenzte? Das kam in Betracht. Sie kannte das Land nicht. Wenn sie wirklich so jung war, wie die Männer berichtet hatten, und man sie erst vor wenigen Tagen hergebracht hatte, dann verfügte sie über keinerlei Ortskenntnisse. Das bedeutete, sie konnte in alle möglichen Richtungen geflohen sein. Ohne Anhaltspunkt war eine Suche zwecklos. Er schob die Landkarte von sich, grübelte weiter über die entflohene Oamena nach. Handelte es sich bei ihr überhaupt um eine Hohe Großhexe?

Er stützte sich am Tisch ab, ging in Gedanken alle Informationen durch, die er von ihren Verfolgern erhalten hatte. Ihr Alter hatten sie auf Anfang zwanzig geschätzt. Demnach befand sie sich mit größter Wahrscheinlichkeit noch in der Ausbildung. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Das erleichterte ihm die Sache. Sie würde ihm nicht gewachsen sein. Nicht so, wie das Biest, das ihn überlistet und für hundert Jahre weggesperrt hatte.

Polternd schlug er mit beiden Fäusten auf die Tischplatte. Die Hexe hatte ihn belogen, obwohl er ihr und ihrem ungeborenen Kind helfen wollte. Er war bereit dazu gewesen, ihr für das Vergehen seiner Männer ein angenehmes Leben zu bieten. Doch wie hatte sie es ihm gedankt? Mit Verrat!

Die Tür zu seinem Gemach glitt auf. Ein Offizier trat ein. Die Pupillen geweitet, den Mund leicht geöffnet. Seine Unterlippe zitterte. „Eure Lordschaft, ich habe schlechte Nachrichten."

Er unterdrückte ein Knurren. Was war nur mit den stoischen Militärangehörigen seiner Zeit passiert? Waren ihr Mut und ihre Unerschrockenheit mit ihrem Tod gestorben? Um die Oameni zu bekämpfen, benötigte er Männer, die spöttisch grinsend jeglicher Gefahr ins Auge sahen.

„Mein Lord", fing der Hänfling erneut an. Er sah dabei aus, als ob er jeden Moment in Tränen ausbräche. Völlig nutzlos.

„Sie ist euch entkommen", unterbrach er ihn barsch, woraufhin sein Gegenüber wie ein Blatt im Wind erzitterte. Ein Schwächling, nichts weiter. Kein würdevoller Vertreter seiner Uniform. Angewidert betrachtete er den Jüngling, der sich unter dem abwertenden Blick wand wie der Wurm im Schnabel eines Vogels. „Wie hat es solch ein Versager nur in den Rang eines Offiziers geschafft?"

„Ich ..." Der Mann schaute betreten auf seine Stiefelspitzen. „Mein Vater hat unserem hochehrwürdigen Oberhaupt treu gedient, wie schon mein Großvater der königlichen Familie vor ihm."

„Also ein Emporkömmling, getragen von den Errungenschaften tapferer Männer." Er trat auf den Jüngeren zu, der sichtbar zusammenzuckte. „Ich brauche tatkräftige Soldaten, keine Muttersöhnchen, die sich beim ersten Anzeichen eines Sturms hinter Rockzipfeln verstecken. Teilt das euren Untergebenen mit. Ich will Resultate sehen, keine Ausreden hören."

Der Offizier salutierte stumm und eilte dann davon.

Nach dem leisen Klicken der Tür, dem Zeichen, dass sie wieder fest verschlossen war, wandte er sich erneut der Karte zu. Die vorige Ernüchterung und Enttäuschung, die er beim Anblick des Störenfrieds empfunden hatte, traten in den Hintergrund. Ein brennendes Feuer nahm ihren Platz ein. Die Flammen des Hasses loderten tief in seinem Innern. Er würde sämtliche Großhexer der Oameni vernichten, ihrem schädlichen Treiben endgültig ein Ende setzen.

„Wo versteckst du dich?", knurrte er. Seinen Blick über die Eigenheiten der Gebiete gleiten lassend blieb er erneut an der Einöde hängen. Schmuggler hatten nach der Zerstörung der Stadt die karge, trostlose Gegend genutzt, um dort sanktionierte Waren in Empfang zu nehmen oder abzuladen. Er selbst hatte ihnen damals die Geschäfte vermasselt. Er runzelte die Stirn. Waren sie in seiner Abwesenheit zurückgekehrt?

Die Erkenntnis brannte auf seiner Seele. Wenn sie auf die Schwarzhändler getroffen war, hielt sie sich längst nicht mehr auf Macra auf. Er packte seinen Mantel und warf ihn sich um, bevor er aus seinem Gemach stürmte. Er benötigte dringend Antworten. Erst dann war er dazu in der Lage, seine Rache bis ins kleinste Detail zu planen. Rachepläne, bei denen die junge Unbekannte den primären Platz einnahm. Sie würde zuerst seinen aufgestauten Hass zu spüren bekommen. Seine Wut, die einer ihrer Vorfahren galt. Der Frau, die sein Vertrauen missbraucht und ihn zu einem Jahrhundert Bewegungslosigkeit in der Dunkelheit verdammt hatte.

Die Rachewar endlich sein - und niemand war dazu fähig, ihn aufzuhalten.

In den Fängen der GripariDonde viven las historias. Descúbrelo ahora