Kapitel 4

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Nanno

Der Mensch hatte ihn gesehen. Erschrocken saß Nanno in seiner Hängematte aus Schilf. Warum nur hatte er sich an der Oberfläche gezeigt? Warum? Was sollte er nun tun?

Jetzt, wo die Menschen wussten, dass Nixen in der Nähe sind? Sirenen!

Hatte er gerade seinem besten Freund den Streich verdorben? Freunde taten so etwas nicht! Wie sollte er das William erklären? Dass er die Menschen versehentlich vorgewarnt hatte? Jetzt würden sie besonders vorsichtig sein!

Doch dieser eine Mensch...

Nanno hatte im Dunklen nicht viel erkennen können, doch auf den Schultern des Jungen hatte ein Irrlicht gesessen. Vertraut. Als wären sie Freunde. Und durch das Irrlicht hatte er das Gesicht des Fremden sehen können. Er sah freundlich aus. Dunkle Haut und rotes Haar. Ein Leckerbissen!

„Nanno? Bist du da?" Linnea, seine Kindheitsfreundin, kam in seine kleine Wohnung gestolpert. Ihr rosa Haar war wirr, als hätte sie vergessen, es zu kämmen.

Nixen hatten keine Türen in ihren Häusern und Wohnungen aus Eis. Die Stadt unter der Erde war durch und durch verwunschen. Eine Eishöhle, in welcher bunte Pflanzen ohne Sonnenlicht wuchsen.

Nanno setzte sich auf. Die Hängematte schwankte dabei etwas. „Ja. Was gibt's? Ist etwas passiert?"

Linnea war nur ein Jahr älter als er, genau wie William, und seine Nachbarin. Sie wohnte nebenan. Zusammen mit ihren Eltern und der Familie ihrer besten Freundin. Der achtzehn Jahre alten Elsa. Die beiden teilten sich ein Zimmer und luden Nanno ständig ein.

Bis zu dem Tag, an welchem Linnea eingewilligt hatte, mit ihm zu schlafen...

„Elsa und ich wollen uns die Menschen angucken! William hat uns von ihnen erzählt. Vielleicht können wir einen von ihnen in das Wasser locken?" Sie grinste aufgeregt, so, als hätte sie ihn nicht tagelang ignoriert.

„Ich denke nicht", murmelte Nanno.

„Du kommst nicht mit, oder du denkst nichts, dass wir es schaffen, einen Menschen anzulocken?"

„Beides. Sie wissen längst das wir in der Nähe sind..."

„Wie das?" Linnea setzte sich neben ihn. „Und Wilma kommt vielleicht auch mit. Und vielleicht auch ihr Bruder, Hugo! Er sieht so gut aus. Ich könnte ihn den ganzen Tag lang anstarren!"

Nanno schnaubte. Danke für dieses vorzügliche Kompliment! „Er ist zu alt für dich. Er ist dreißig und du bist jünger als seine kleine Schwester! Ich weiß nicht, ob die beiden wirklich eure Babysitter spielen wollen. Wilma ist fünfundzwanzig und... Sie hat gerade andere Sorgen." Wilma war schwanger. Unabsichtlich. Und sie wusste nicht, von wem. Ein Skandal! Ihre Eltern drängten sie, den Vater zu heiraten, doch Wilma wusste nicht, wer von den zehn jungen Männern der Vater war. Zehn! Und alle wollte sie nicht heiraten. Daher wohnte sie derzeit bei ihrem Bruder. Ihre Mutter hatte vor lauter Frust vorgeschlagen, Wilma solle sich einfach einen Aussuchen. Auch das wollte Wilma nicht.

Ihr Bruder Hugo hing ihr nicht mit der Dringlichkeit einer Hochzeit in den Ohren und er tadelte sie auch nicht dafür, es mit dem Feiern übertrieben zu haben.

„Aber er sieht so gut aus! Ein Mädchen wird wohl noch gucken dürfen! Du guckst ihn auch oft an!", neckte Linea ihn grinsend.

Nanno rollte mit den Augen. „Er ist mein Chef! Apropos... Ich muss zur Arbeit! Viel Spaß mit den anderen, aber ich denke nicht, dass ihr Erfolg haben werdet."

„Du bist ein echter Miesepeter, Nanno. Etwas Spaß würde dir guttun! Überleg es dir noch mal. Und etwas Optimismus würde dir auch nicht schaden!" Sie zwinkerte ihm zu und eilte dann aus seiner Wohnung. „Und etwas mehr Erfahrung als Entdecker!"

Nanno schnappte sich verärgert ein paar getrocknete Algen und etwas getrockneten Fisch, und vertilgte beides in kürzester Zeit, dann machte er sich auf den Weg. Mehr Erfahrung als Entdecker... Autsch! Er ging die schmalen Wege der Stadt aus Silber und Eis entlang und grüßte ein paar Nixen, die er kannte. Dann trat er aus der Höhle, in das Wasser des Flusses. Das Wasser drang nie in die Unterwasserhöhle ein. Es war wie eine nasse Wand, die seine Heimat vom Wasser des Flusses trennte. Kaum befand er sich im kalten nass, wichen seine dünnen Beine einer hübschen, starken Schwanzflosse. Lächelnd schwamm er los. Zu den Algen und dem Seegras.

Seine Arbeit war eintönig, doch er genoss das Gefühl, sein eigener Herr zu sein. Die Freiheit. Nanno hatte sich nie besonders gut mit seinen Eltern verstanden. Sie waren keine schlechten Eltern, nein. Sie verstanden ihn nur nicht. Und er verstand sie nicht. Oft hatte er das Gefühl, in die falsche Familie geboren worden zu sein. Doch jetzt, hier, zwischen Schilf und Algen, waren das Probleme der Vergangenheit.

Ob er eines Tages seine eigene Familie haben würde? Nanno konnte sich das nicht vorstellen. Seine Eltern wollten immer viele Kinder haben und sprachen immer davon, wie wundervoll eine große Familie sei. Nanno wollte einfach nur seine Ruhe haben.

Er hatte vier ältere Schwestern. Viel älter. Und wenn sie da waren, dann gingen sie ihm reichlich auf die Nerven. Es war, als würden sie um die Wette reden! Nein. Nanno genoss die Ruhe.

Natürlich vergnügte er sich gerne mit anderen jungen Nixen, ob Junge oder Mädchen, aber etwas festes konnte er sich nicht vorstellen. Anders als William, der versuchte Linneas Herz zu gewinnen. Ausgerechnet Linnea... Nanno verzichtete gern darauf, seinem besten Freund dabei zuzusehen, wie er hinter seiner ehemaligen Herzensdame hinterherschwamm. Wie ein Tölpel!

Nein. Darauf konnte Nanno ebenfalls verzichten.

Und er wollte ihm auch nicht sagen, dass er die Menschen versehentlich gewarnt hatte. Ein Unglück. Und gleichzeitig... Er musste an den Fremden denken. Er wollte nicht, dass William und die Mädels ihn in den Fluss lockten, damit er dort ertrank. Nein. Dieser Gedanke gefiel ihm nicht.

Der Junge hatte sich mit einem Irrlicht unterhalten.

Ob er nett war? Sonst hätte das Irrlicht nicht auf seinen Schultern gesessen, oder? Und wenn Nanno noch einmal an die Oberfläche schwamm? Um den Fremden zu beobachten? Der Fremde hatte dunkle Haut. So etwas hatte Nanno noch nie gesehen. Nixen waren immer blass, damit sie tief im Wasser nicht entdeckt wurden.

Ja. Nanno wollte noch einmal an die Oberfläche.


(c: sasi)


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NIXE - Zwischen Wasser und Wald (BL)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt