Freiheit

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"Unglaublich", wie ein Mantra wiederhole ich diese Worte, kaum zu fassen, dass meine Mutter mich tatsächlich fliegen lässt! Tief in mir spüre ich etwas an mir nagen, ich verstehe nicht, was genau es ist, aber ich habe Angst. Ich schüttel mich, wie unsinnig dieser Gedanke ist... Beim nächsten Gedanken muss ich dennoch grinsen. Meine Mum hat so schnell nachgegeben, jemand hat mit ihr geredet, ob Fynn selbst oder seine Mutter kann ich nur vermuten.

Wir stehen am Flughafen, ich höre wie ein Flugzeug nach dem anderen abhebt. Meine Hand krallt sich an den Griff des großen grauen Koffers, langsam verfärben sich meine Knöchel weiß. Vorsichtig Blicke ich zu meinem Kumpel. Er hat dunkle Augenringe unter seinen Augen und wirkt auch so müde und besorgt, dennoch lächelt er mir zu, als er meinen Blick bemerkt.
In solchen Zuständen kenne ich ihn bereits, immerhin machte Diabetes ihm tatsächlich häufig Probleme. Ich versinken tief in meinen Gedanken und schaue aus der großen Glasscheibe, hinter welche viele Flugzeuge auf der Landebahn stehen.

Allmählich breiten Schmerzen sich in meinen Beinen aus, das lange Stehen ist nicht gut für mich und ich verspüre das Bedürfnis, mich zu bewegen. Seit unzähligen Minuten stehen wir in der Schlange am Check-In-Schalter und warten nun, dass wir endlich dran kommen. Fynn hingegen bewegt und zappelt nervös neben mir, zum hundersten Mal schaut er auf den Boarding Pass in seiner Hand und überprüft die Daten. Wir schweigen, aber eigentlich ist es eine angenehme Stille. Es gibt Sachen, die wir uns nicht sagen, aber manchmal ist genau das, das Richtige.
Ich würde ihm niemals sagen, wie sehr ich ihn liebe, zumindest jetzt noch nicht. Von der Seite beobachte ich, wie er gähnt und sich umblickt. Seine leuchtend blauen Augen sind süß und ernst zugleich, seine Lippen trocken und zerbissen, so als hätte er in den letzten Tagen häufig nachgedacht und überlegt.

Schleppend bewegen sich die Menschen vor uns und irgendwann stehen wir am Gate. Vor uns kann ich schon unser Flugzeug stehen sehen, die Anspannung in mir steigt und ich widerstehen dem Verlangen nach Fynns Hand zu greifen, meine eigene fühlt sich schwitzig und warm an.

"Bereit?", frage ich Fynn, als wir am Eingang zu der Maschine stehen. Die Zeit vergeht so schnell, bemerke ich. Noch etwa fünfzehn Stunden Flug und ein Stopp, dann sind wir offiziell im Golden State. Ich atme tief ein, noch ein letztes Mal die deutsche Luft für die nächsten Wochen. Erst jetzt rasen all die Gedanken durch meinen Kopf.

Woher hatte Fynn das Geld? Ich kenne ihn als Schnäppchenjäger und wir haben jahrelang gespart und doch... Visa oder Greencard, ich habe keine Ahnung wie man es nennt, woher hat er das. Hat er nicht irgendwie meine Infos gebraucht? Natürlich hat er mit meiner Mutter geredet! Was geht denn hier ab?!
Wir alle haben Geheimnisse, aber das hier stinkt gewaltig! Gerade will ich Fynn ansprechen, doch da unterbricht mich eine Flugbeleiterin in rotem Kleid. "Sie können jetzt eintreten", sagt sie und deutet ins Innere. Ich schlucke, ihr Kleid verunsichert mich, wo ist dieses klischeehafte Blaue? Wo ist dieses Tuch um den Hals? 

Fynn drückt mich hinein. "Alles gut bei dir?", erkundigt er sich, "Du hast mich etwas gefragt, aber als ich geantwortet habe, hast Du nicht mehr reagiert." Ach ja, meine Frage. "Bist du denn bereit?", frage ich nun zum zweiten Mal und lasse die Geheimnisse, Geheimnisse bleiben. Er nickt. "So sehr bereit, wie ich es noch nie war", verkündete er, während er versucht, sich zwischen den Plätzen vorbeizuzwängen  "Du?", will er wissen und schaut über sein Rücken zu mir nach hinten. "Auch", murmele ich.

Wir finden unseren Platz. Er stopft den einzigen Rucksack, welcher ihm noch geblieben ist, in die Gepäckablage über den Sitzen und lässt sich dann darauf fallen. Ich lege mein Handgepäck stattdessen unter meinen Sitz, um es immer greifen zu können.

Ich spüre wie Fynn seinen Arm um mich legt, mit der anderen malt er einen imaginären Regenbogen in die Luft und sagt: "Bald sind wir in Kalifornien und werden unser Leben genießen wie noch nie!" Er redet weiter, doch ich spüre nur, wie jeder Millimeter der Haut, wo er mich berührt, kribbelt und brennt. Mein Atem stockt und mein Herzschlag setzt für einen kurzen Moment aus. "Wir werden an der Küste wohnen und jeden Tag schwimmen gehen. Es wird einfach so wundervoll", höre ich noch das Ende seiner Ansprache, bevor sich seine Hand von mir löst.

Ich sitze am Fenster, draußen ist es um diese höllisch frühe Uhrzeit noch dunkel, nur am Horizont erkennt man einen schmalen Streifen Lichts. Die Turbinen des Flugzeugs heulen auf, als er anfängt, auf die Startbahn zu rollen. Fynn Neben mir hat seine Augen schon geschlossen, anscheinend ist er noch mehr müde als vermutet.
Auch ich werde versuchen zu schlafen, aber anstatt mich zu beruhigen, breitet Aufregung sich in meinem Körper aus. Als ich nun auch noch rüber zu Fynn schiele und sein entspanntes Gesicht erkenne, flattern hunderte, nein tausende Schmetterlinge in meinem Bauch.
"Ich liebe dich", forme ich mit meinen Lippen, spreche es aber nicht laut aus.
Ich zwinge mich dazu, meine Augen zu schließen und genieße das Gefühl der Freiheit, die mich überkommt, während wir in den Himmel abheben.

Ich schenke dir mein HerzWhere stories live. Discover now