26. Kapitel

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     Vaughn und ich standen vor dem Eisstand. Er bestellte sich ein Schokoladeneis, während ich von einem Fuß auf den anderen trat, unsicher, ob ich nun ein Eis kaufen sollte oder nicht. Die Leute hinter mir beäugten mich und diese Stimme, die nur Gift in meinem Körper verströmte, ließ mich glauben, dass sie mich beurteilten und sagten, dass ich kein Eis essen sollte, da ich ja schon mehr auf den Rippen hatte.
     Ein Blick von Vaughn genügte aber, um diese Stimme zum Verstummen zu bringen. Sie wurde ganz still, als Vaughn mich mit diesem Funkeln in seinen Augen ansah. Also bestellte ich mir eine Kugel Mango.
    Und das Eis schmeckte köstlich. Die Stimme der Unsicherheit war in Vaughns Nähe etwas leiser. Weil ich den Blick sah, mit dem er mich ansah. Da war so viel Zuneigung in seinem Blick, dass ich gar nicht anders konnte, als die Unsicherheit fast zu vergessen.
    Trotzdem lag da ein dunkler Schatten über uns. Die Frage, die sich seit ein paar Stunden in mir gefestigt hatte, brannte mir auf der Zunge und auch der süße Geschmack des Eises konnte den säuerlichen Geschmack der Frage nicht verbannen.

     Um diese Frage nicht weiter mit mir herumzutragen, sprach ich die Worte aus, die mich belasteten: »Wirst du wieder in die USA gehen?« Das Zittern in meiner Stimme war nicht gewollt, zeigte es aber, wie sehr Angst ich vor der Antwort hatte. Denn das hatte ich. Alles in mir wappnete sich gegen einen Schlag, der mich mit Sicherheit auf den Boden werfen würde. Vaughn sah mich an und in seinem Blick las ich bereits die Worte, die er sagen würde. Las sie und spürte, wie mein Herz leicht anbrach.
     »Ich... ja. Das muss ich. Ich kann nicht immer hier bleiben. Es ist schon sehr freundlich von meiner Firma mich so lange gehen zu lassen, auch wenn ich vorhin wieder gearbeitet habe. Verstehst du? Das ist... ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Also ja, ich muss zurück. Ich kann mein Leben nicht einfach umschmeißen, wenn ich nicht weiß, was das hier ist, verstehst du Sita? Du hast gesagt wir sollen schauen, wohin es führt. Und das würde ich gerne weiterhin. Denn wenn es nach mir ginge, würde ich es für dich tun, wenn ich sicher wäre, dass du mir vollkommen verziehen hast und dass du mir vertraust. Dein Blick gerade sagt mir, dass du mir noch nicht ganz vertraust, und das ist in Ordnung. Aber ich kann dir nicht sagen, ob ich die USA jemals verlassen werde, wenn ich nicht weiß, ob du mich jemals ganz zurückwillst.«

     Seine Worte ergaben Sinn und trotzdem spürte ich den Schmerz in meiner Brust und die Stimme der Unsicherheit wurde erneut lauter, wurde kräftiger. Verbissen schüttelte ich sie ab. Vaughn hatte zugegeben, dass er sein Leben für mich aufgeben würde, um ein neues hier anzufangen. Er hatte es zugegeben.
    »Du würdest es also tun?«, fragte ich leise. Vaughn stellte seinen Becher Eis auf einer Mauer ab und umfasste mein Gesicht mit beiden Händen. Die Berührung löste ein starkes Kribbeln in meinem Bauch aus und mein Herz schlug einen Salto, während meine Haut mir das Gefühl gab, zu brennen.
     »Ja, Sita. Das würde ich tun. Ich liebe meinen Job. Offensichtlich. Sonst würde ich ihn nicht weiter machen, obwohl ich genug Geld für den Rest meines Lebens habe. Aber es geht nicht nur um das Geld, sondern auch darum, dass ich etwas tun möchte. Nicht nur den ganzen Tag nichts tun. Das macht mir keinen Spaß. Aber ja, für dich würde ich kündigen und hier einen kleinen Job anfangen. Und auch du müsstest nicht mehr so viel arbeiten wie davor. Natürlich könntest du das weiterhin. Ich habe oft darüber nachgedacht. Also ja, ich würde es tun, aber nur, wenn du sicher sein kannst, dass du mich willst. Du musst dich nicht sofort entscheiden und auch nicht, wenn ich wieder gehe. Du hast so lange Zeit, wie du brauchst. Du musst es mir nur sagen und ich komme zu dir. Verstehst du das?«

     Langsam nickte ich. Die Intensität in seinem Blick löschte die Zweifel in mir komplett aus. Die Zweifel, dass er mich verlassen würde. Denn das würde er nicht. Gerade wollte ich etwas sagen, als ich spürte, wie etwas kaltes und nasses auf meine Hand tropfte. Ein Blick nach unten verriet mir, dass mein Eis tropfte.
     Eilig hob ich es zu meinem Mund und leckte es auf. Dann leckte ich an der Kugel weiter. In der zwischen Zeit hatte Vaughn mein Gesicht losgelassen und aß weiter an seinem Eis, das ebenfalls begonnen hatte zu schmelzen. Lächelnd liefen wir weiter und die Sonne durchdrang endlich den dunklen Schatten, der über uns gelegen hatte. Dank Vaughn waren meine Zweifel nun leiser und ich konnte mich ganz auf ihn fokussieren, ganz auf die Tatsache, dass er da war. Bei mir.
    Und er vorhatte zu bleiben, wenn ich ihn nur darum bitten würde. Noch hatte ich keine Entscheidung parat. Das brauchte ich vielleicht auch nicht. Denn wie er gesagt hatte, sahen wir einfach erstmal wohin das führte.
     Zudem musste ich auch an mir selbst arbeiten. Daran, dass die Zweifel immer mal wieder kamen und ich sie nicht wollte, nicht brauchte. Und ich musste daran arbeiten, dass ich ihn wieder vertraute. Denn das musste ich einfach. Daran führte kein Weg vorbei. Es konnte kein Weg daran vorbeiführen.

Das Rätsel des VertrauensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt