Kapitel 44 - Romeo und Julia Situation

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Open File: Coopers Abschiedsbrief

Wenn du mir jemals gesagt hättest, dass du mich vermisst, dann hätte ich vielleicht fühlen können, dass es mir leichter fällt zu atmen. Ich hätte gespürt, dass mein Herz schneller schlägt und ich endlich wieder meine Finger spüre in dieser eisigen Kälte. Denn seitdem du weg bist, ist es so unendlich kalt geworden. Bitte sag mir, dass du mich vermisst. Dass es dir genau so fehlt mich zu umarmen, wie es mir fehlt, deine Nähe zu spüren. Denn ich weiß, dass ich nicht jemand bin, in den man sich verliebt. Aber ich brauche das. Und ich brauche dich, nicht körperlich, denn ich weiß, dass ich nicht das bin, was ein Mann möchte. Ich weiß, dass ich nicht das Mädchen bin, in das man sich verliebt. Ich bin mit viel zu viel Arbeit verbunden. Zu schwierig, zu komplex und ich habe nur auf den Moment gewartet, dass du das realisierst. Dass du alles hinschmeißt und mir sagst, dass das mit mir einfach zu viel für dich ist. Zu viel um damit zu leben.
Aber ich warte immer noch darauf, dass mich jemand anschaut und in dem Moment weiß, dass ich die Eine bin. Der seinen Eltern von mir erzählt, dabei rot wird und lächeln muss. Der mich so hoch hält, dass ich das Gefühl habe zu fliegen obwohl ich sicher in seinen Armen liege. Ich will nicht wieder Fallen, denn ich glaube nicht, dass mein Körper eine weitere Landung verkraften kann. Und deswegen lasse ich dich gehen. Jetzt, Heute, für immer. Ich danke dir. Leb wohl.

Ich werde für uns kämpfen. Mit allem was ich bin. Mit allem was ich habe. Ich werde nicht gehen. Du wirst es sehen.

Ich drücke vorsichtig die Klinke der schweren Holztür herunter, aus der die ohrenbetäubende Musik erklingt. Sam Tremcy sitzt auf dem Sofa und spielt mit einem angestrengten Ausdruck im Gesicht irgendein Spiel auf seiner Konsole, ist aber ebenso wenig überrascht darüber, dass Manuel und ich hier aufgetaucht sind. >Viel Glück, Liliah. Er ist bisher nur nicht von hier abgehauen, weil ich ihm versprochen habe, ihn in Ruhe zu lassen.< Mit zusammengepressten Lippen schiebt er sich den Kopfhörer wieder auf die Ohren und vertieft sich wieder in den Fernseher vor ihm. An seiner Stelle würde ich wohl auch am liebsten verschwinden wollen. Als ich die Tür einen Spalt breit aufschiebe und hindurch schlüpfe, brauche ich erst einen Moment um mich an die Dunkelheit in dem Raum zu gewöhnen. Es sieht aus wie ein Gäste- Schrägstrich Abstellraum. Mit vielen Kisten in der einen Ecke, aber auch einem Kleiderschrank und einem Feldbett auf der anderen Seite des Raumes.

Mir abgewandt auf diesem Bett liegt Marlow auf dem Rücken und wirft mit einem kleinen Basketball gegen die ihm gegenüberliegende Bruchsteinmauer. Er hat es gar nicht mitbekommen, dass ich hinter im stehe. Erst als mein Schatten auf der Wand sichtbar wird, dreht er sich erschrocken zu mir um. >Sam verdammt, lass mich bitte alleine, ich...< >Ich bin nicht Sam.<, bemerke ich mit trockener Stimme. >Was machst du hier, Lia?< >Das gleiche könnte ich dich wohl auch fragen...ich habe mir Sorgen um dich gemacht...und ich hab ihn gelesen. Den Artikel im Houston Chronicle...< >...dann solltest du ja wissen, dass du gerade deine Zeit verschwendest, Lia.< Er dreht die Musik um weitere 2 Stufen lauter und wendet sich von mir ab. >Zeit die man gerne verschwendet, ist keine Zeitverschwendung.<, zitiere ich ihn. >Touché. Aber sich mit Dingen aufzuhalten, die zum scheitern verurteilt sind, ist genau so dumm. Du bist ein kluges Mädchen Liliah. Bitte.< In der Dunkelheit kann ich sein schmerzerfülltes Gesicht erkennen. Die Gedanken in meinem Kopf beginnen wieder zu rasen.

Vielleicht wäre es vernünftiger jetzt zu gehen. All das hier hinter mir zu lassen. Bald aus Oakdale zu verschwinden. Weiter zu machen. Vielleicht eines Tages meinen Traum zu leben. Wir haben nie wirklich darüber gesprochen, was das hier zwischen uns ist...sondern einfach nur die Zeit genossen. Der Gedanke von hier zu verschwinden ist ganz klein geworden. Aber...aber wäre es wirklich noch mein Traum, wenn er nicht an meiner Seite wäre? >Wägst du das gerade wirklich ab? Lia, ich werde es mir niemals verzeihen können, dich unglücklich zu machen...< >Dann tu es nicht.<, quetsche ich erstickt hervor. >Ich...ich habe versucht dich zu beschützen...und ich war so selbstsüchtig. Wir hätten niemals an diesem Punkt stehen sollen.< Langsam rappelt er sich von dem Feldbett hoch und streckt sich. Wieder schießt mir die Videosequenz vom Handy seines Bruders durch meinen Kopf. Es sammelt sich Säure in meinem Mund, die ich mit einem lauten Schlucken hinunter würge. >Marlow, du hast keine Schuld. Ich bin zu dir gekommen, ich wollte das alles hier zwischen uns...auch jetzt noch. Bitte. Lass mich für dich da sein. Ich will es so. Egal wie dumm, irrational und verrückt das ist.< Sein Gesichtsausdruck ist gequält und ich gewöhne mich mit jeder Minute mehr an die Dunkelheit in diesem Raum. Es geht mir einfach schon besser, weil er wieder in meiner Nähe ist. Ich müsste nur einen Schritt machen um ihn zu berühren. Ich kann nicht darauf verzichten, weder jetzt noch in Zukunft. >Ich habe nur noch einen knappen Monat bis zur Anhörung und die Mindeststrafe beträgt 2 Jahre...versprich mir bitte, dass du nicht auf mich warten wirst, okay?< Er umgreift meine Unterarme und zieht mich näher an sich heran. >Bitte, setz nicht deine Zukunft aufs Spiel für jemanden wie mich.< Ich beginne vorsichtig zu nicken. >Ich meine es ernst Lia. Ich möchte nicht dass du dich nachher fragen musst, ob es das wert war.<

Er atmet tief durch und ich spüre endlich wieder die Wärme die durch seine Hände auf mich über geht. >Ich bin mir sicher, Marlow. Und du? Möchtest du deinen letzten Monat in Freiheit mit mir verbringen?< Ich löse mich aus seinem Griff und reiche ihm meine Hand. >Ich denke meinen Abschluss werden sie mich noch machen lassen- damit es mir dann weniger schwer fällt, wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden.< Er nimmt meine Hand, bringt mich in eine Drehung, sodass mein Rücken an seine Brust schlägt. Ich kann seinen Herzschlag spüren. Gleichmäßig aber schneller als sonst. >Vielleicht sollte ich auch mal in die Gesellschaft eingegliedert werden, vielleicht haben die ja mehr Erfolg, als wenn ich das alleine probiere...< >Bring mich nicht auf unanständige Gedanken, Liliah Parker. Davon habe ich schon genug. Ich spüre das Kitzeln seines Atems an meinem Ohr und schließe die Augen zu der Gänsehaut, die über meinen Körper jagt, gefolgt von einer Hitzewelle, als er mit seinen Lippen an meinem Hals entlang fährt.

Wie könnte ich jemals das hier gegen ein flüchtiges Hallo oder einen kurzen Blick auf dem Schulflur eintauschen wollen? Ich lehne mich gegen ihn und schaue ihn von der Seite an. Sein Kiefer ist immer noch leicht angespannt, aber er hat seine Augen geschlossen. Ich berühre vorsichtig seinen Unterkiefer und drehe seinen Kopf etwas mehr in meine Richtung, während er seine Augen öffnet und zu mir herab schaut. >Ich wünschte, du könntest dich so sehen, wie ich es gerade tue.< >Ich sehe dich, und um ehrlich zu sein...das kann ich mir schon etwas länger anschauen.< Seine Lippen umspielt wieder das Lächeln, das ich so liebe, bevor er sich zu mir herunter beugt und meinen Mundwinkel küsst. Es ist mir egal, dass wir uns gerade in einem abgelegenen Apartment in Alexandria befinden, ich will ihn. Jetzt. Für immer. Ohne meine Hand von seinem Kiefer zu lösen, drehe ich mich wieder zu ihm um und vergrabe meine Hand in seine dichten Haare und seinem Nacken. >Versprichst du mir was?< Marlow schlingt seine Arme um mich und ich kann die feine Bewegung seines Nickens an meiner Stirn spüren. >Bitte lauf nicht vor mir weg...Ich will für dich da sein.< >Und ich für dich...< Er haucht die Worte nur, bevor sich endlich unsere Lippen treffen. Noch nie habe ich so viel Verlangen in seinem Kuss gespürt, wie dieses Mal. Er hebt mich kurzerhand hoch und ich schlinge die Beine um seine Hüften. Ich befinde mich in einem warmen Strudel aus seinen Lippen, seinem Duft, seinem muskulösen Körper an meinem.

Das hier wäre so perfekt. Wäre da nicht das Leben. Erbarmungslos und kalt. Es fühlt sich an wie ein romantisches Drama, und ich will nicht wissen, wie es zwischen uns ausgeht. Vielleicht sind wir zum scheitern verurteilt. Vielleicht gibt es eine Lösung. Vielleicht bin ich seine Julia und er mein Romeo und wir gehen zusammen unter. Aber es ist mir egal. Ich habe ihn. Bei mir. Er ist überall und für nichts auf dieser Welt würde ich ihn gehen lassen und mich anders entscheiden. Ich denke- ich liebe ihn. Unwiderruflich. Irrational und dumm. Aber ich liebe ihn.

TRUST ISSUES (Toxic Traits Band 1)Where stories live. Discover now