Er streckte seine Beine und rollte mit dem Stuhl dabei ein Stück rückwärts. Der
Abend hatte sich besser entwickelt als erwartet. Zur Feier des Tages gönnte er sich
ein kühles Bier. Mit dem Geld von Ms_Benten_86 war der kommende Monat
gesichert. Mit der Neuen hatte er noch drei Andere in der Hinterhand. Morgen würde
er das Netz nach weiteren Frauen auswerfen. Ms_Benten_86 näherte sich langsam
dem Ablaufdatum. Die meisten seiner freiwilligen Geldgeberinnen melkte er maximal
vier Mal, bevor sie Verdacht schöpften. Er beschränkte sich jedoch auf drei
Geldübergaben. Sicher ist sicher. Ihre Verliebtheit machte sie blind. So blind, dass
sie nie merkten, wonach es ihm in Wirklichkeit gelüstete. Sie sahen einzig sein
Aussehen, sein Geld, seinen materiellen Besitz. Woher er kam und dass sie für
zukünftige Willige und seinen Lebensstandard aufkamen, bemerkten sie oft zu spät.
Auf dem Weg zum Badezimmer drehte er den Lautstärkeregler seiner Anlage
nach oben und setzte den restlichen Weg pfeifend fort.
Die Pflege des Körpers, seinem Kapital, war zeitintensiv. Das Erste, was seine
Beute auf den Datingprofilen sah, war sein gebräunter durchtrainierter Sixpack. Das
Deck der Jacht war nur ein kleines Gimmick, auf das die Frauen flogen. Im
Anschluss lasen sie sein Profil, in dem sein zweiter Angelhaken versteckt zwischen
den Zeilen lauerte.
Warmes Wasser regnete auf ihn nieder, als das Licht des Badezimmers ausfiel.
Irritiert drehte er den Hahn ab und bewegte sich zielstrebig zum Lichtschalter. Trotz
mehrmaliger Betätigung blieb es finster. Aufgeregt drückte er die Klinke herunter. Die
Hitze, die sie ausstrahlte, führte er auf seine Wut und die heiße Dusche zurück.
Dichter Qualm schlug ihm durch die geöffnete Tür entgegen. Die Überraschung trieb
die Luft in seine Lungen hinein, die augenblicklich genauso brannten, wie seine weit
aufgerissenen Augen. Hustend stieß er den Atem wieder aus und kniete sich auf den
Boden. Fassungslos erkannte er, dass sein Schreibtisch, ebenso wie die
dahinterliegenden Bücherregale in Flammen standen. Mit ihnen flammten seine
Lebensversicherungen: Smartphone und Laptop mit allen elementaren Daten seiner
Frauen.
Rasch krabbelte er ins Badezimmer zurück. Der Schein des Feuers warf seine
heißen Lichtstrahlen hinein. Unterhalb der Decke streckte die graue Wolke ihre
hungrigen Finger aus und verschlang auf ihrem Weg den tonlosen Rauchmelder. Der
Mann riss seinen Blick vom defekten Melder ab und zerrte mit einer kurzen
Handbewegung seinen Morgenmantel vom Haken. Wenn er die Wohnung verlassen
und Alarm geschlagen hatte, würde er sich darüber Gedanken machen, warum die
gewarteten Warnmelder ihrer Arbeit nicht nachkamen.
Er sah sich um und versuchte, sich zu orientieren. Der Rauch erschwerte sein
Vorhaben.
An der Tür angelangt, tastete er nach der Klinke, drückte sie hinunter, in
Erwartung an die frische, kühle Luft, die in wenigen Sekunden seine Lungen füllen
würde.
Nichts passierte. Abermals zog er den Türgriff nach unten. Wieder erfolglos. Die
Erkenntnis lähmte ihn: Er war gefangen in seinem Feuerkäfig.
"Der Notschlüssel", wisperte er. Sofort quittierte seine Lunge den Atemzug der
giftigen Luft mit Husten und Brennen.
Er kehrte der verschlossenen Tür den Rücken zu und wandte sich der
unnachgiebigen Hitze entgegen, die sich in alles, was ihn ausmachte, hineinfraß.
Das Ziel seiner Begierde stand in Türnähe. Er wusste genau, dass in einem der
Kommodenschubfächer der Schlüssel platziert war. Unablässig folgte Husten auf den
Reiz. Ein jeder schmerzte die Lunge mehr als der vorherige. Seinen Augen erging es
nicht besser. Der beißende Rauch krallte sich tief in seine Augäpfel. Bevor die
Tränen den Ausgang der Kanäle erreichten, trockneten sie in der Hitze. Mit
geschlossenen Lidern tastete er blind nach seiner Erlösung. Müdigkeit beanspruchte
mit jedem Atemzug mehr Teile seines Körpers. Gleichzeitig spielte sie die Panik
hinunter und rief ihn frohlockend zu sich. Er sackte zur Seite und folgte dem Ruf.
![](https://img.wattpad.com/cover/339639084-288-k674898.jpg)
DU LIEST GERADE
Verbrannte Träume
Short StoryBei einer Reihe von Bränden sterben Männer, die scheinbar nichts miteinander zutun haben. Yosuke misst dem nicht viel Bedeutung bei und genießt sein Leben, bis der Grund der Brände sein tiefstes Geheimnis offenbart.