Teil 6

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Ōsaka, vor dem Lokal „Ma Biche"

15. Mai 2021, 18:51 Uhr

Angespannt trommelte Mari mit den Fingern auf das Lenkrad. Auch wenn sie als erfolgreiche Ärztin mit Anfang vierzig mitten im Leben stand, wühlte sie ihr Vorhaben auf. Seit einer geschlagenen Stunde wartete sie auf Yōsuke und seine Neue.

Der Gedanke an das Ende ihrer eigenen Lügenbeziehung versetzte ihr einen Stich. Blind war sie durch ihre persönliche rosarote Brille geworden und auf den großen, betörenden und erfolggekrönten Mann hereingefallen. Dass sein Wohlstand sich auf dem Geld anderer aufbaute und nicht auf seiner Marketingfirma, hatte sie erst vor einigen Wochen herausgefunden.

Nachdem sie ihm zum dritten Mal einen hohen Betrag überwiesen hatte, schlief der Kontakt seinerseits ein. Den entscheidenden Denkanstoß gab ihr ihre Bankberaterin. Zuerst entschloss sie sich, es beiseiteschieben und nahm ihren Traummann in Schutz. Nie wäre er dazu imstande gewesen. Der Gedanke war in diesem Moment ebenso unrealistisch, wie, dass sie auf solch eine Masche hereinfallen würde. Doch sobald die Zweifel gesät waren, ließen sie Mari nicht mehr los.

Sie begann zu recherchieren und erkannte, dass sie eine von vielen war. Ihre Recherche führte sie zu dem altbekannten Restaurant, in das er nicht nur sie oftmals ausführte.

Seine unverkennbare Stimme drang an ihre Ohren. Sie hob ihren Blick und sah, wie Yōsuke eine jüngere Version ihrer selbst zum Eingang des Lokals begleitete. Sein Arm schlang sich dabei fest um die Hüfte seiner weiblichen Begleitung.

Vom Auto aus beobachtete Mari, wie das Paar am Tisch Platz nahm. Einen tiefenSeufzer später öffnete sie ihre Autotür und folgte ihnen. Lautstark hastete ihr der Kellner hinterher, dessen Aufgabe die Zuweisung der Tische war. Unablässig bat er sie, das Lokal wieder zu verlassen.

Mari ignorierte seine verbalen Aufforderungen ebenso wie seine körperlichen. Mehrmals entriss sie ihm ihren Arm und setzte ihren Weg fort. Alle Augen im Restaurant waren auf sie gerichtet. Die Erkenntnis gab ihr den Mut, den sie brauchte. Je mehr Menschen sie sahen, umso mehr würden ihn sehen und sich sein Gesicht einprägen.

Auf den letzten Metern zog sie Kopien ihrer Kontoauszüge aus der Tasche. Die bedeutsamen Stellen farblich hervorgehoben, den privaten Teil zensiert. Erschrocken riss Yōsuke seine Augen auf, als Mari seiner Begleitung die Zettel auf die Tischplatte knallte.

„Entschuldigen sie, mein Herr", hörte sie den Kellner hinter sich. Mit in Honiggetränkter Stimme wandte er sich an Yōsuke. Dessen Aufmerksamkeit galt jedoch Mari.

Fuchsteufelswild starrte er sie an.„Was machst du hier?"

„Deine Neue vor einem riesigen Fehler bewahren."

Er lachte auf und drehte sich dem Kellner zu, der auf seine Anweisungen wartete. „Bringen Sie sie sofort raus. Und sorgen Sie dafür, dass sie dort bleibt."

Abermals entriss sie dem Angestellten ihrem Arm und zeigte drohend mit dem Finger auf ihren Exfreund. „Ich gehe erst, wenn ich meine zehn Millionen Yen wiederhabe. Und komm jetzt bloß nicht mit deinen fadenscheinigen Ausreden. Ich habe genug Beweise gesammelt und das hier ist deine letzte Chance, bevor ich dich vor Gericht bringe."

„Wovon redet sie?" Fragend sah seine Begleitung zwischen ihnen hin und her. Ihre Frage sprühte vor Unschuld. Der Unterton verriet, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, was ihr Neuer in Wirklichkeit von ihr wollte.

Mari nutzte die Chance und zeigte auf die Zettel auf dem Tisch. „Sieh doch selbst!"

Rasch griff Yōsuke nach den Kopien. Erfolglos. Seine Begleiterin war flinker und drehte sich vom ihm weg, um die Blätter zu studieren. „Hör nicht auf sie!", bat er.

Ihr Gesichtsausdruck wechselte von Unglauben zu Wut. Sie zog ihre Augenbrauen über dem zusammen, was sie las. Anschließend legte sie die Zettel wortlos ab und erhob sich. „Ruf mich nie wieder an." Der Ton ihrer Stimme ließ keine Widerworte zu.

Ein wohliges Glücksgefühl durchflutete Mari. Erleichtert darüber, dass die Frau die richtige Entscheidung getroffen hatte.

„Das wirst du bereuen, Mari!", zischte er in ihre Richtung.

„Nein, Yōsuke! Du wirst es bereuen. Das hier war erst der Anfang. Ich werde dich zu Fall bringen. Die Welt muss vor dir gewarnt werden. Auch wenn ich mein Geld wieder habe", entgegnete sie ihm, das Kinn furchtlos vorgestreckt. „Ich lasse mich nicht mehr von dir einschüchtern!"

Yōsuke mahlte seine Kiefer aufeinander. Sie hatte ihn zum Schweigen gebracht und dadurch einen weiteren Teilsieg errungen. Rasch entschuldigte sie sich mit einer tiefen Verbeugung bei den Angestellten und verließ im Anschluss voller Selbstvertrauen das Lokal.

Verbrannte TräumeWhere stories live. Discover now