10 Die drei Königreiche

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Wie hypnotisiert starrte ich in den undurchdringbaren Nebel. Es rauschte, der Wind pfiff zwischen den Felsspalten hindurch, unter denen es hundert Meter in die Tiefe ging. Ich spürte die eisige Kälte der Nacht auf meinen nackten Oberarmen und jedes Härchen stellte sich auf. Doch kalt war mir nicht, in mir breitete sich eine angenehme Wärme aus, ein Prickeln gleich unter meiner haut. Als würde ich mich in ein warmes bad setzten und mich entspannen. Dann bildete sich langsam ein Schatten im Nebel, der sich unentwegt näher auf mich zubewegte. Und je näher er kam, desto grösser wurde die Hitze in meinem Innern. War es vorher noch eine laue Wärme gewesen, begann es jetzt vor Hitze beinahe zu brennen. Ich fühlte mich als würden tausend Sonnen aus meinem Innern heraus strahlen. es wunderte mich dass ich nicht verbrannte. Ich sah die dunkle Gestalt sich nähern, ein starker Windstoss erfasste meine haare und wirbelte sie um meinen Kopf. Das Rauschen in meinen Ohren wurde unerträglich laut. Ich wusste dass ich jetzt Angst haben sollte. Und dass ich mich unter meinem Bett verkriechen müsste, um dieser Angst zu entgehen. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, angekommen zu sein. Zuhause zu sein. Dann durchbrach eine spitz geformte, riesige Schnauze den Nebelschleier vor mir und ich riss die Augen ungläubig auf. Ein wohlgeformter Drachenkopf mit pechschwarzen, glänzenden Schuppen schwebte wie im Nichts vor mir auf und ab. Die Schnauze hatte der Drache leicht geöffnet, sodass ich den perfekten Ausblick auf seine spitze Reihe an Zähnen hatte, jeder davon so groß wie meine Hand.Wenn der enorme Drache ausatmete, bliess er mir die Haare aus dem Gesicht, beim Einatmen sog er mich beinahe aus dem Fenster. Zwei elegant gebogene spitze Hörner erhoben sich im nebel, genauso mit schwarzem Pech begossen wie der Rest des Kopfes. Nur etwas an dem Drachen war nicht schwarz. Seine Augen. Augen, von denen ich mich bei bestem Willen nicht losreißen konnte. Sie sogen mich tief hinein und schienen mich darin gefangen zu nehmen, so dynamisch funkelten sie mich an. Die Pupillen waren groß und stechend Gelb, teilweise konnte ich feine goldene Adern ausmachen, die sich wie kleine Bäche durch das Auge zogen. Ich fühlte dass das Wesen mächtig war, doch Furcht empfand ich keine. Nur Respekt und irgendwie eine Art von Zuneigung. Merkwürdig. und trotzdem schien es für mich keinen Grund zu geben, diesem Drachen nicht völlig blind zu vertrauen. Ich hätte mich selbst ohrfeigen können, so naiv war ich sonst nie. Irgendetwas stellte dieser Drache mit mir an. Ich leckte mir über die rissigen, trockenen Lippen und räusperte mich. "Bist du...mein Drache?" Meine Stimme klang rau und kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, kam ich mir auch schon wieder dumm vor. Wie sollte er mich auch verstehen. Sollte seine Stimme etwa in meinem Kopf ertönen und mir eine klare Antwort geben? Wohl eher nicht. Und obwohl ich keine Stimme hören konnte, breitete sich in mir ein Gefühl aus, als würde er wortlos mit mir kommunizieren. Ich wusste dass seine Antwort ja lautete, obwohl er nichts tat als mich aus dominanten, mächtigen aber auch ziemlich jungen Augen anzustarren. "Okey, das ist ziemlich abgefahren." murmelte ich und der Drache schnaubte, dann schüttelte er den Kopf und gab einen rauen Laut von sich. "Du bist aber grösser als die Drachen die ich gesehen habe." Redete ich weiter mit dem dunkeln Kopf vor mir, der sich keinen Zentimeter von mir weg bewegte. Es war als würde der Drache meine Gedanken zum richtigen Ort in meinem Kopf führen, an dem ich die Antwort finden konnte. Ich wusste dass wir irgendwie verbunden waren, egal wie komisch das auch klang. "Vielleicht liegt dass daran dass du vielleicht der einzige Drache bist, der nicht in einen Berg eingesperrt leben musste. Vielleicht konnten sich die Anderen deshalb über Generationen hinweg nicht richtig entwickeln." Die Worte sprudelten nur so aus meinem Mund heraus und ich wusste, dass es auf irgendeine verkappte Weise seine Gedanken waren. Und noch merkwürdiger war es, dass ich wusste dass er ein Männchen war. es war ein besonderes Gefühl, endlich meinen Drachen zu treffen, und trotzdem fragte ich mich, wieso ausgerechnet meiner auf der toten Seite des Landes, hinter der großen Gebirgskette lebte. da ging mir ein Licht auf. "Du warst es, der mich vor Maries Drachen beschützt hat, nicht wahr?" fragte ich mit großen Augen. Der Drache schüttelte den majestätischen Kopf und kam mir mit seiner Schnauze noch ein Stück näher. Ich fürchtete mich davor, ihn zu berühren. Aber andererseits wollte ich es auch unbedingt tun. Also warf ich all meine begründeten Zweifel über Bord und hob die Hand. ich hatte es mir, seit ich hier angekommen war, oft vorgestellt, wie es sein würde, einen Drachen anzufassen. Doch es fühlte sich überirdisch an. Seine Schuppen waren hart und undurchlässig für Speere oder Pfeile, aber wenn ich darüber strich, waren sie weich wie Samt. und Eben. Er ließ es zu und ich konnte spüren, wie er sich auf dem Vorstand vor dem Fenster niederließ. Kurz bebte der Boden, dann konnte ich verschwommen die Umrisse des schlanken, majestätischen Körpers ausmachen.Der lange Schweif verschwand im nebel, doch die Flügel konnte ich genau sehen. Die Enden waren spitz und konnten im Kampf bestimmt wie Messer gebraucht werden. Die haut zwischen den Knochen war schwarz, doch schimmerte auch etwas Licht durch und ich konnte die feinen roten Adern an den Flügeln sehen. Sie waren groß, doch er konnte sie am Rücken anziehen wie es ein Vogel tat. Er hatte auch keine zacken auf dem Rücken oder lange Schnurrhaare wie manch anderer Drache, den ich in der Drachenhöhle gesehen hatte. Doch seine Klauen waren mächtig und gebogen, davon wollte ich nicht aufgerissen werden. "Du bist tausend mal schöner und kräftiger als alle Drachen die ich bisher gesehen habe." Platzte es mir herauf. Seine schlangenartigen Pupillen, dieselben die mich auf meinem Glas angestarrt hatte, wurden etwas grösser. Er verstand genau dass ich ihm ein Kompliment gemacht hatte. Er reckte stolz den Kopf in die Höhe und zeigte damit seinen langen, schlanken Hals. Ich wusste nicht, dass Drachen auch ein Ego besaßen. Ich lächelte amüsiert und ließ dann die Hand sinken. Ich kniff die Augen zusammen, als ich an seiner breiten Schulter etwas verdächtig glitzern sah. Es sah aus wie...Blut. "Du bist verletzt..." Bemerkte ich erschrocken und wollte die Wunde instinktiv berühren. Das war wohl eine schlechte Entscheidung gewesen, denn blitzschnell bewegte der Drache seinen großen Körper und schirmte die Verletzung mit seinem Kopf ab, sein mächtiger Kiefer schnappte nur wenige Millimeter vor meinen Fingern zu. Seine Pupillen waren schmal geworden und er knurrte tief und bedrohlich. Dieses Mal hatte ich Angst. Ich zog die Hand zurück und wollte mich entschuldigen, doch er kehrte mir bereits den Rücken zu und schwang sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft. Sein langer Schwanz peitschte knapp an mir vorbei und ich zuckte zusammen. "Warte! Bitte geh nicht!" Schrie ich ihm nach. "lass mich nicht alleine." Meine Stimme wurde leiser und dann verschwand mein Drache im nebel und es war, als hätte ich diese Begegnung nur geträumt. Nur das zerbrochene Glas erinnerte daran, dass das gerade eben wirklich passiert war. ich stand noch lange dort, und mit meinem Drachen war auch die Wärme aus meinen gliedern gewichen. ich fror erbärmlich und schlang die Arme um mich. Ich wartete vergeblich darauf, dass er zurück kam., die ganze Nacht. Doch als es dämmerte und der nebel sich lichtete und mir wieder die Sicht auf den toten Wald ermöglichte, war er noch immer nicht da. Alles was passierte war, dass meine beiden Zimmergenossen aufwachten und mich fragten, was zum teufel ich angestellt hatte. Ich konnte ihnen nichts erklären.

Stolen Secrets: Erbin der Drachen *beendet*Where stories live. Discover now