Leseprobe

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Mit glasigem Blick starrte Mila aus dem Fenster und musste schon wieder die Tränen unterdrücken.

Nein, sie weinte nicht mehr. Sie riss sich zusammen, so wie sie es immer tat. So wie sie eben war. Keine Schwäche zeigen. Mila Giordano war stark, sie war zielorientiert, sie war selbstbewusst, sie war ... Ergeben schloss Mila die Augen. Kein Plan, was sie war. Aber selbstbewusst war es momentan bestimmt nicht.

„Warum bist du hier?"

Beinahe zupfte ein Lächeln an Milas Mundwinkeln. Es hatte schon überraschend lang gedauert, bis Leandro diese Frage stellte. Mila wusste genau, dass sie ihm seit dem Moment, als er sie in die Arme geschlossen hatte, auf der Seele brannte. Oder eher schon seit dem Moment, als sie ihm geschrieben und eröffnet hatte, dass sie in einer halben Stunde in Venedig am Bahnhof sein würde und ob er sie nicht abholen könnte.

„Unwichtig", grummelte Mila, schob sich die Sandalen von den Füßen und zog die Beine auf den Sitz. Wieder wallte ein Schwall Limetten- und Rumgeruch hinauf in ihre Nase.

Nun bereute sie es doch, dass sie Signore Ätzend nicht den restlichen Mojito ins Gesicht gepfeffert hatte. Dann hätte wenigstens nicht nur sie ein Andenken an ihr Aufeinandertreffen gehabt.

„Marvin hat halt Schluss gemacht. Einfach so."

„Ja, das war mir ehrlich gesagt schon klar, sonst wärst du nicht einfach hier aufgetaucht, aber was ich meine, ist – warum bist du hier?", wiederholte Leandro nachdrücklich.

„Hä?" Verwirrt sah Mila ihren Bruder, dessen Blick hinter seiner Sonnenbrille auf die Straße geheftet war, von der Seite an. „Bist du taub?"

Sie wusste, dass es nicht fair war, ihre schlechte Laune an Leandro auszulassen, aber sie konnte gerade einfach nicht anders.

Gut, dass Leandro sie bestens kannte und kommentarlos über Milas Unfreundlichkeit hinwegsah.

„Du kapierst nicht, was ich meine. Wieso bist du hier. Wie kannst du hier sein. Es ist Sonntag. Du musst doch noch zwei Tage arbeiten oder habe ich das falsch im Kopf?"

„Ah." Endlich raffte Mila, worauf er hinauswollte.

„Oder machst du einfach krank?"

Sie lenkte den Blick wieder nach vorne auf die Straße.

„Mach dir darüber keine Sorgen."

„Also machst du krank?"

„Nein."

„Was soll das denn also bedeuten?"

Leandro kannte seine Schwester seit 23 Jahren, weswegen seine misstrauische Reaktion eindeutig gerechtfertigt war.

„Mach dir einfach keine Sorgen darüber."

„Aha."

Leandro beließ es dabei. Er wusste, dass nachhaken keinen Zweck bei Mila hatte. Sie war ein Sturkopf durch und durch, deswegen sparte er sich die Mühe.

Mila würde sich nämlich sicher nicht die Blöße geben und ihm bestimmt nicht erzählen, dass der Grund für ihren unglaublich schweren Koffer nicht Klamotten, sondern ihr 27-Zoll-iMac war, den sie eingepackt hatte, denn Leandro hatte recht – sie musste noch zwei Tage arbeiten, erst dann hatte sie Urlaub-Slash-Semesterferien (die letzten Semesterferien ihres Lebens, da sie gerade ihren Master abgeschlossen hatte und nun nach dem Ende ihres Werkstudentinnenvertrages eine Festanstellung antrat).

„Also nichts mit Nürnberg. Oder Thüringen."

„Kein Nürnberg. Kein Thüringen", bestätigte Mila kurz angebunden. Sie wollte nicht drüber reden, sie wollte nicht dran denken.

Mojito On The Beach [LESEPROBE]Where stories live. Discover now