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So leise wie sie konnte, schlich Anna sich aus ihrem Zimmer. Sie hatte auf Schuhe verzichtet, um keine unnötigen Geräusche zu machen. Und die Vorstellung, ihre nackten Füße würden das feuchte, kühle Gras berühren, versetzte sie in noch größere Vorfreude. Sie wollte jede Einzelheit dieser Nacht auskosten. Vielleicht wäre es die letzte Nacht, die sie mit Adrian verbringen konnte. Diese heimlichen Treffen wurden immer riskanter. Einige der Bediensteten munkelten schon hinter vorgehaltener Hand. Aber sie konnte und wollte nicht ohne Adrian.

Sie hatte Angst vor dieser Heirat, Adrian ging es wohl ähnlich. Er hatte sich verändert, seit Samuel hier aufgetaucht war. Sie mochte Samuel, aber nicht so wie Adrian. Und seit sie Adrian von ihrer Gabe und ihren Träumen erzählt hatte, hatte er sich noch mehr verändert. Er hatte begonnen, sich von ihr zurückzuziehen. Hielt er sie für einen Dämon oder eine Hexe? Widerte sie ihn gar an? Nein, in seinen Augen stand kein Ekel, sondern Furcht. Aber nicht vor ihr. Da war etwas anderes. Etwas, das er ihr verschwieg.

Heute Nacht würde die Nacht sein, in der sie Adrian zum ersten Mal küssen würde. Sie würde nicht länger zulassen, dass er ihr dieses Vergnügen versagte. Sie wünschte es sich so sehr. Nur für eine Nacht wollte sie ihm richtig nahe sein. Mehr als nur in seinen Armen liegen. Sie wollte ihn berühren, wie Liebende es taten. Sie wollte für diese eine Nacht seine Frau sein.

Anna schlich die Stufen hinunter. Als sie über den Steinboden vor der Haustür lief, machten ihre Füße tapsende Geräusche. Anna fluchte innerlich und betete, dass ihr Vater nicht wieder in seiner Bibliothek eingeschlafen war oder gar noch immer arbeitete. Vorsichtig drückte sie den kalten Eisengriff der Tür herunter und zog diese langsam auf. Nur keine Geräusche machen, betete sie im Kopf herunter.

Als sie endlich draußen war, atmete sie erleichtert aus, schlich an der Hauswand entlang hinter das Gebäude, lauschte in die Dunkelheit, alles war ruhig, nur eine Fledermaus stieß ihre hohen Töne aus, und rannte los. Über das Feld musste sie sich beeilen. Sie hoffte, dass keiner zu den Fenstern hinaussah. Der Mond schien ihr heute so verräterisch hell zu leuchten, wie nie zuvor.

Ihr Herz machte einen Sprung der Erleichterung, als sie endlich den Wald erreichte. Und einen weiteren Sprung, der bis in ihren Magen zog und ein aufgeregtes Flattern verursachte, als ihr gewahr wurde, dass sie es tatsächlich geschafft hatte, sie würde gleich in Adrians Arme sinken.

Nervös strich sie sich durch ihr offenes Haar. Sie hatte es extra für ihn offen gelassen, weil es ihm so sehr gefiel. Sie hatte ihr reizvollstes Kleid angezogen, das mit dem Ausschnitt, der bis zum Brustansatz reichte. Sie hatte vielleicht nicht so viel zu bieten wie andere Frauen, aber das Mieder um ihren Oberkörper half zumindest, das Wenige, das sie hatte, hervorzuheben. Niemals würde Adrian ihr heute länger widerstehen können. Zufrieden seufzte sie, sog tief die Luft ein und trat tiefer in den Wald. Ihr Herz hämmerte ihr bis in den Hals hinauf. Diese Heimlichtuerei und das Wissen um das Verbotene, das sie hier taten, machten alles noch viel aufregender.

»Adrian!«, rief sie flüsternd in die Nacht.

Rechts von ihr knackten Zweige, ein riesiger schwarzer Schatten trat zwischen den Bäumen hervor und kam auf sie zu. Erst konnte Anna nur tiefstes Schwarz sehen, doch dann erkannte sie die Umrisse eines Pferdes, auf dessen Rücken ein Mensch saß. »Ihr habt gerufen, Mylady?«

»Adrian, endlich«, antwortete sie und ein Felsbrocken rollte von ihrer Brust. Für einen Augenblick hatte sie befürchtet, er würde nicht kommen. Sie griff nach Adrians Hand und ließ sich von ihm auf das Pferd ziehen.

»Wir reiten also?«

»Ja«, sagte Adrian geheimnisvoll und legte seine Arme um sie.

»Dann ist unser Ziel weiter weg?«

Forever YouWhere stories live. Discover now