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Der Regen fällt immer noch stetig und taucht die dunkle Umgebung in glänzende Schatten, für Menschen nicht sichtbar.

Doch ich bin ganz bestimmt kein Mensch mehr.

Ich bewege mich lautlos durch den Wald, die Nässe und Kälte machen mir nichts aus. Ich spüre sie, ja, aber sie verursachen kein unangenehmes Gefühl. Sie sind einfach nur da.

Es ist ungewohnt, fähig zu sein, mehr zu hören und zu sehen. Alle Sinne sind stärker geworden, es ist fast wie als hätte sich mir eine komplett neue Welt geöffnet.

Doch die Welt ist die selbe. Ich habe mich verändert.

Ich lasse meine dämonisch rot leuchtenden Augen durch die Dunkelheit schweifen. Für mich ist es nicht dunkel, alles ist in blau- und lilatöne getaucht und mit Schatten durchzogen, doch ich kann jedes kleine Detail erkennen.

Langsam hellen sich die Schatten auf und ich spüre, dass der Tagesanbruch nicht mehr fern ist. Genau so nehme ich eine Spur von rauchigem Geruch wahr, irgendwo in der Nähe muss ein Dorf sein.

Und es ist bewohnt.

Ich setze meinen Weg fort, immer noch wachsam auf die nun langsam erwachende Welt um mich herum achtend. Feinste Geräusche nehme ich wahr, Mäuse, die unter dem Gestrüpp rascheln. Pferde, die auf einer entfernten Weide atmen. Blätter, die fallen.

Alles ist überwältigend, doch mein nun fähiges Gehirn kann alles aufnehmen und verarbeiten.

Die Sonne steigt über den Horizont und taucht die feuchte Umgebung in eine schillernde Spiegellandschaft. Tausend kleine Regenbögen tanzen in den Wassertropfen, die an den Halmen und Blättern des Waldes hängen.

Ich kann das Ende des Waldes sehen und dahinter erstreckt sich ein weites Weizenfeld, welches jedoch fast keine Ernte erbringen wird.

Die Dürre war einfach zu groß.

Langsam untersuche ich die Umgebung auf Menschen, doch da sich niemand in unmittelbarer Nähe zu befinden scheint, wage ich es aufs Feld hinauszutreten.

Als die Sonne meine Haut trifft, zische ich unter Schmerz auf und trete sofort zurück in den schützenden Schatten des Waldes.

Meine Augen weiten sich, als ich den roten Brandfleck auf meinem Arm begutachte. Er heilt schnell wieder, doch der Schmerz ist Grund genug, weswegen ich die Sonne meiden sollte. Ich schlucke, wieder etwas, was es schwer macht, als solch ein Wesen zu leben.

Ich knurre leise und drehe dann dem offenen Feld den Rücken zu.

Während ich tiefer in den Wald hineinlaufe, schweifen meine Gedanken ab und ich beginne, mir Fragen zu stellen.

Wer hat mir das angetan? Wann? Direkt nachdem das Dorf überfallen wurde? Hat es niemand gemerkt? Und was genau bin ich?

Ich finde keine Antworten auf die quälenden Fragen und ich bemerke wie sich langsam Müdigkeit einschleicht.

Mein Körper an sich ist nicht müde, ich könnte stundenlang so weiterlaufen, doch das Verlangen nach Schlaf und einem dunklen Platz steigt.

Nach weiteren Minuten finde ich schließlich eine Höhle. Sie ist gerade groß genug, dass ich in ihr stehen und liegen kann, doch nicht sonderlich gemütlich, was mir in diesem Moment ziemlich egal ist.

Sobald ich mich hingelegt habe und die Augen geschlossen habe, falle ich in einen traumlosen Schlaf.





Die nächsten Tage verlaufen ähnlich, ich entdecke mehr und mehr meiner Fähigkeiten, doch auch meiner Bürden. Eine interessante Sache ist auf jeden Fall, dass ich mit meiner bloßen Gedankenkraft Dinge bewegen kann. Diese Gabe verlangt viel Konzentration und Energie, doch ich denke, mit etwas Übung wird es mir leichter gelingen.

Die Sonne muss ich nach wie vor meiden. Ich habe nach einigen Tagen bemerkt, dass mein Körper sich an die Sonne gewöhnt. Mit der Zeit werde ich vielleicht keinen Schmerz mehr spüren.

Mein Blutdurst kehrt nach zwei Tagen zurück. Er macht sich durch ein Brennen in meiner Kehle bemerkbar, welches nach einer Weile stärker wird und sich in den Vordergrund meiner Gedanken schiebt und mich rastlos macht.

Und im Moment brauche ich Blut.

Ich habe seit dem Förster vor 3 Tagen nichts mehr getrunken. Ich konnte nicht. Die Schuldgefühle die mich kurz nach seinem Tod übermannten, konnte ich zwar relativ gut verdrängen, doch es fällt mir nicht leicht, mich meiner Natur zu ergeben und tatsächlich noch mehr Menschen zu töten.

Ich habe versucht, Tierblut zu mir zu nehmen, doch schon der Geruch verrät mir, dass es mir nicht schmecken wird und mich auch nicht sättigen wird. Und deswegen bleibt mir nichts anderes übrig, als tatsächlich Menschenblut zu mir zu nehmen.



Die Nacht ist schon fortgeschritten, alle Menschen in dem kleinen Dorf schlafen, was ich ausnutzen werde.

Meine Schritte sind nicht hörbar, als ich an den dunklen Fenstern und geschlossenen Türen vorbei schleiche. Ich kann die gleichmäßigen Atemzüge der Bewohner der Häuser und Hütten hören und ich kann unterscheiden wer tief und wer leicht schläft.

Meine Reißzähne schärfen sich bei dem Gedanken an warmes, rotes Blut, was gleich meine Kehle herunterlaufen und meinen Durst stillen wird und mein Instinkt tritt ein.

Ich blende alle unwichtigen Geschehnisse in meiner Umwelt aus und konzentriere mich auf ein besonders kräftig schlagendes Herz in der Hütte neben mir. Das Fenster ist offen, natürlich. Wer erwartet denn eine tödliche Gefahr die einen im Schlaf überrascht?

Ich steige lautlos durch das Fenster in das Schlafzimmer. Ein Junge meines Alters liegt in einem schmalen, mit dünnen Laken versehenem Holzbett, doch das blende ich aus. Nur sein starker Puls und stetiger Herzschlag stehen im Zentrum meiner Aufmerksamkeit.

Ich öffne meinen Mund leicht um noch mehr des süßen Geruchs aufzunehmen und schließe dann die Augen vor Verzückung.

Dieser Geruch

Ich öffne meine Augen wieder und stürze mich dann in einem Wimpernschlag auf mein wehrloses und unvorbereitetes Opfer.

Während ich meine messerscharfen Reißzähne in das zarte, empfindliche Fleisch über seiner Halsschlagader bohre, halte ich ihm mit meiner Hand den Mund zu.

Wir wollen ja nicht das Dorf wecken.

Er erwacht und fängt sofort an, sich vor Schmerzen zu winden. Tränen fließen über seine Wangen und er zappelt mit Armen und Beinen.

Doch ich lasse nicht von ihm ab, ich bin zu vertieft damit, den köstlichen Lebenssaft aus seinem Körper zu saugen. Nach einer Weile hört er auf, sich zu bewegen und er liegt schlaff in meinen Armen.

Tot.

Ich löse mich von ihm, gesättigt und zufrieden. Keinerlei Schuldgefühle. Ich habe zwar eine Blutlache auf dem Boden hinterlassen, doch man wird nie etwas anderes als ein Tier vermuten.

Dann klettere ich wieder aus dem Fenster, genau so lautlos wie ich gekommen bin und setze meinen Weg in unendlicher Nacht fort.

Numb (Boy x Boy)Where stories live. Discover now