Kapitel 2

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Stille. Eine ruhige, unheimliche Stille.
Es war, als würde sie mich festhalten und nicht loslassen, als hätte sie mir meine Sinne genommen.
Ich befand mich in einem Zustand, in dem ich zwar denken, aber nichts fühlen, nichts hören und nichts machen konnte.
Nur ich und eine Unendlichkeit von Gedanken in meinem Kopf.

Doch plötzlich drang ein Laut zu mir durch. Es klang wie leises Jammern.
Nach und nach fand ich aus dem Nichts, indem ich vorher schwebte, wieder zurück in die Realität, zu mir selbst.
Das Jammern hörte nicht auf, im Gegenteil. Es wurde lauter und bereitete mir schon fast Kopfschmerzen.
Das Verlangen, wieder zurück zu dieser Stille zu kommen nagte an mir und ich hielt es kaum noch aus.
Schon fast genervt öffnete ich meine Augen und blinzelte wie verrückt. Durch mein verschwommenes Sichtfeld schimmerte ein schwaches Licht, nicht weit entfernt von mir.
Mit der Zeit verwandelte sich der leuchtende Fleck in eine kleine Lampe, die die Dunkelheit des Raumes etwas erhellte.
Ich bewegte meine Beine und ein metallisches Rasseln drang an mein Ohr. Augenblicklich wurde das Jammern leiser, doch ich achtete kaum darauf.
Schwerfällig drückte ich mich hoch und starrte auf das eiserne Ding an meinen Fußgelenk.
Es war ein Ring, welcher mit einer Kette an der Wand angebracht war.
Ich zerrte wie verrückt daran und versuchte sie abzukriegen, doch bei allem was ich versuchte, tat ich mir selbst nur weh.
Es war grauenhaft.

Ich schaute mich um, auf der Suche nach einem Gegenstand, mit dem ich mich befreien könnte. Doch anstelle dessen sah ich weitere Gestalten in der Halb-Dunkelheit sitzen und betrübt vor sich hin schauten.
Natürlich. Irgendwoher mussten die Geräusche ja kommen.
Mir fiel auf, dass sie alle einen Ring um ihr Fußgelenk hatten und dieses Schicksal anscheinend auch schon akzeptiert.
Doch ich wollte nicht so einfach aufgeben. Weiter an der Kette zu reißen würde nichts bringen und mich zudem auch noch recht dumm aussehen lassen.
Irgendwas muss doch hier sein!
Ich dachte angestrengt an jeden erdenklichen Fluchtweg, doch in meinem Kopf herrschte so ein Chaos, dass ich kaum richtig nachdenken konnte.

Eine Stimme riss mich aus meinen Überlegungen heraus und brachte mich wieder in die Realität zurück.
"Willkommen!" Ich zuckte zusammen und drehte mich in alle möglichen Richtungen, um den Sprecher zu finden. Doch alle Anderen sahen sich genau so verwirrt um.
"Willkommen zum Spiel. Ihr seid bestimmt etwas verwirrt, wo und warum ihr hier seid. Aber es ist einfach. Ihr habt die Ehre, an den ersten richtigen Spielen teilzunehmen." sprach die raue, männliche Stimme und ich hoffte, das Ganze hier wäre doch nur ein Scherz. Aber nachdem, was gestern passiert war, schien es doch nicht ganz so harmlos zu sein.
"Ihr habt die Ehre das erste Mal so richtiges Rollenspiel zu spielen. Ohne Karten, nur mit echten Menschen, echten Rollen und einer echten Geschichte." fuhr er fort. Ich bekam eine Gänsehaut und zerrte erneut an der Kette.
Nein. Nein. Nein. Ich muss hier weg.

Verzweifelt drehte ich mein Bein in alle möglichen Richtungen, doch das Metall saß zu fest. Ich spürte, wie mich mehrere Augenpaare anschauten, aber ich versuchte es einfach auszublenden.
"Ihr kriegt eine Rolle, welche ihr das ganze Spiel lang behaltet und die ihr niemanden verraten dürft. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird disqualifiziert, wer versucht zu fliehen, wird disqualifiziert. Ich hoffe, das ist jetzt allen klar." sagte er nach einer kurzen Pause und ich stoppte meine Handlung. Langsam zog ich meine Hände von der Kette weg.
Mein Atem raste vor Aufregung und mein Herz schlug wie verrückt. Ich wollte nicht wissen, was disqualifiziert bedeutete.
"Na dann viel Glück." endete die Stimme und zeitgleich erlosch die Lampe. Nur wenige Augenblicke später nahm ich ein leises Zischen von meiner rechten Seite wahr. Das Geräusch kannte ich irgendwoher, doch ich konnte mich nicht mehr erinnern, woher das nun genau kam.
Neben mir begann jemand zu husten und mir wurde augenblicklich klar, was das war. Gas.

Es kroch in meine Nase und ich nahm den widerlichen Geruch wahr. Hektisch versuchte ich mir, den Stoff meines Pullovers  wie eine Maske über Mund und Nase zu legen. Doch das war keine dauerhafte Lösung.
Panik stieg in mir auf und brachte meinen ganzen Körper zum Zittern.
Das Geräusch, wie eine Person auf den Boden fiel, gefolgt von einer weiteren, bestärkte diese nur noch.
Der Wille zu fliehen übernahm die Kontrolle und ich riss wieder an der Kette herum, obwohl ich längst wusste, dass es sinnlos war.
Meine Augen begannen zu tränen und ich hörte weiterhin Personen husten und auch umkippen.
Tausende Gedanken rauschten auf mich hinab und das Gas drang langsam durch den Stoff meines Pullis. Das Husten der Anderen wurde etwas leiser und ich versuchte so wenig wie möglich zu atmen.
Was bringt es dir eigentlich noch, verzweifelt zu versuchen, dagegen anzukämpfen? Du wirst so oder so verlieren.
Die Stimme in meinem Kopf sprach die Wahrheit, die ich die ganze Zeit über versucht hatte zu verdrängen, aus. Es stimmte. Es gab keinen Weg mehr heraus.
Langsam ließ ich meine Hand, welche vorher den Stoff hielt, sinken und eine Welle von Gas trat mir entgegen.
Ich hatte aufgegeben, Schwäche gezeigt. Keine Kraft mehr gehabt, um gegen das Unmögliche anzukämpfen.

Während ich anfing zu husten und meine Augen weiterhin tränten, verschwand das letzte bisschen Energie aus meinem Körper und ich rutschte langsam zu Boden.
Ich lag einfach nur da, nicht fähig, irgendwas zu tun.
Ich war am Ende.
Ich hatte verloren.

Werwolf - Das Spiel beginntWhere stories live. Discover now