Kapitel 17

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Aili

Ich ging Amaury aus dem Weg. Ich wusste nicht, was ich zu ihm sagen sollte. Wie ich reagieren sollte. Doch noch viel mehr ging ich Nio aus dem Weg. Ich zog dies mehrere Tage durch. Mit jedem Tag fühlte ich mich schlechter. Müde, traurig, schmutzig...

Ich stand in meinem und Candys Zimmer, starrte aus dem Fenster, und wusste nichts, was ich tun sollte. Ich machte meine Hausaufgaben und lernte ununterbrochen, um nicht denken zu müssen. Himmel, ich hatte sogar aufgeräumt. Gerade lag nur eine Socke auf dem Boden, welche Candy seltsamerweise ignorierte. Ich ignorierte die Socke ebenfalls.

„Soll ich dir eine heiße Schokolade holen? Ich kann in der Küche im eine Bitten", schlug meine Zimmergefährten leise vor. Sie saß auf ihrem Bett, mit einem dicken Roman auf dem Schoß und betrachtete mich mit gerunzelter Stirn.

„Nein Danke!"

Candy seufzte. „Irgendetwas ist doch passiert, Aili! Wenn du nicht mit mir darüber reden willst, gut! Aber vielleicht mit deinen Freudinnen? Hm?"

Ich schüttelte nur den Kopf.

Meine Freundinnen machten sich Sorgen um mich, doch ich wollte nicht über das Geschehene mit ihnen sprechen. Ich hatte bereits mit der Schulleiterin darüber reden müssen. Amaury hatte ihr, wie er gesagt hatte, von dem Vorfall berichtet. Ich beantwortete alle Fragen, doch über das meiste schwieg ich. Dinge, die für mich keinen Sinn ergaben. Dinge, an welche ich mich lieber nicht erinnerte.

Nio war anfangs so aufmerksam gewesen. Als wir anfingen uns zu treffen. Warum verhielt er sich nun so anders? Er war verwarnt worden, musste zur Strafe dem Personal beim Putzen der Cafeteria helfen, und durfte sich mir nicht nähern. Das machte es mir einfacher, seine Gesellschaft zu meiden.

Wie eine Marionette, gesteuert, machte ich mich auf den Weg zum Unterricht. Heute ging Candy neben mir her. Als wollte sie auf mich aufpassen. Sonst ging sie immer viel früher als ich los. Sie blieb, bis Menka und Silja sich zu uns stellten. Im Unterricht hörte ich kaum zu. Stattdessen starrte ich aus dem Fenster. In den Pausen hörte ich Maiken, Menka und Silja bei ihren Gesprächen zu, doch ich trug kaum etwas dazu bei, bis sie mich in Ruhe ließen. Silja umarmte mich stattdessen. Ich zog eine Grimasse, doch ließ es zu. Ihre Wärme war tröstend.

Am Ende des Tages gab es für mich jedoch eine weitere, unliebsame Überraschung. Ich war gerade auf dem Weg zum Wohnheim, allein, als Oswald mir entgegenkam. Oswald von Blaugrau. Mein Verlobter.

„Aili! Herzchen!" Er grinste genüsslich, als er mich entdeckte. Mir wurde speiübel.

„Hallo Oswald", murmelte ich mit gerunzelter Stirn. „Was machst du hier?"

„Freust du dich nicht? Meine Liebe, kleine Verlobte?", fragte er nun überheblich wie eh und je. Ich hasste die Art, wie er mit mir sprach.

„Nein. Was verschafft mir die Ehre?" Ich sah mich nervös um. Konnte ich weglaufen? Sollte ich weglaufen? Aber wohin? Ich brauchte eine Ausrede... Doch dann hörte ich jemanden nach mir rufen. Panisch sah ich mich um. Im nächsten Moment kam nun auch Nio, gefolgt von Arne, auf mich zu. Das war nicht gut.

Gar nicht gut.

„Aili! Verzeih mir!", rief er.

Oswald runzelte die Stirn und legte den Arm besitzergreifend um mich. „Wer ist das?", fragte er.

Ich zuckte zusammen. „Oswald..."

„Hey!". Grollte Nio sofort. „Finger weg von meiner Freundin!"

„Deine Freundin? Das ist meine Verlobte, du Wicht!", zischte Oswald. „Aili? Stimmt das?"

MENSCH - Der SohnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt