Kapitel 23

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Syltjes Tagebuch

Liebes Tagebuch,

ich habe dir lange nicht mehr geschrieben. Mehrere Wochen.

Es ist so viel passiert, ich bin nicht dazu gekommen. Nein. Ich habe es sogar vergessen. Vielleicht brauche ich jetzt kein Tagebuch mehr? Du warst mir lange ein guter Freund. Doch heute ist vielleicht mein letzter Eintrag.

Ich brauche nun niemanden mehr, der meine Geheimnisse hütet. Denn nun gibt es Menschen, mit denen ich über alles reden kann, ohne eine Strafe befürchten zu müssen. Natürlich hatte ich immer meine Geschwister, doch Camilla und Iker können nichts für sich behalten... Nun gibt es mehr gute Menschen in meinem Leben. Das ist ein herrliches Gefühlt. Kannst du dir das vorstellen? Nein. Du bist nur ein Buch. Eine Art imaginärer Freund, den ich nun wohl nicht mehr brauche. Dennoch, ich danke dir, obwohl es dich nicht gibt.

Wir haben eine Zeit lang im Schlossgelebt. Die Königin hat mit uns Fangen und Verstecken gespielt. Sie hat mir gezeigt, wie man auf Bäume klettert und Alma hat regelrecht an ihr geklebt. Camilla klebte an Prinz Peter. Er war darüber anfangs weniger erfreut. Am Ende durfte sie mit seinem Schmuck und seiner Kleidung verkleiden spielen. Camilla hat es genossen. Uns geht es jetzt besser. Wir wurden regelrecht verwöhnt.

Gitte hat eine Kette der Königin bekommen, weil die Kette ihr gut gefiel. Königin Julia meinte, die Farbe würde Gitte besser stehen und zu ihren hübschen Augen passen. Gitte trägt die Kette nun jeden Tag. Ich habe sie seitdem nicht mehr sagen hören, sie fände sich hässlich. Das ist gut.

Mama und Papa sind nun im Gefängnis. Wir wurden alle befragt. Dass war unheimlich. Zwei Anwälte kamen, um uns Fragen zu stellen. Uns allen bis auf Alma, die den Anwälten vor den Befragungen ein paar der tollen Stühle im Schloss gezeigt hat. Alma war von den Stühlen sehr angetan. Die Königin hat ihr einen geschenkt, als wir das Schloss verlassen haben.

Wir leben nun bei unserem Großvater. Dem Baron. Das hat uns zwar nicht unsere Titel zurückgebracht, aber das ist mir egal. Er hat den ehemaligen Angestellten meiner Eltern entweder Arbeit gegeben, oder ihnen welche vermittelt. Adriana und ihre Mutter arbeiten nun für meinen Großvater. Und es stört ihn nicht, dass Adriana und ich... Wir sind jetzt zusammen! Sie ist perfekt! Und Opa stört es auch nicht, dass sie nicht adlig ist. Er lädt sie und ihre Mutter gerne zum Abendessen ein. Oma versteht sich mit Adrianas Mutter sehr gut.

Und uns Kindern hat er Pferde gekauft. Wir bekommen nun Reitunterricht. Birger geht darin förmlich auf. Nur Camilla und Alma sind noch zu klein. Den beiden hat er kleine Ponys gekauft. Und als allererstes hat er alle Verlobungen aufgelöst! Morgen besucht mich Arion. Und dass NUR als mein bester Freund. Er möchte gerne Adriana kennenlernen. Adriana ist bereits ganz aufgeregt. Er bringt Hector mit. Beide leben nun bei Verwandten, da ihre Familien ebenfalls in den Drogenhandel verwickelt waren. Und auch sie sind nun offiziell zusammen. Wir planen dennoch, eines Tages alle in einem Haus zu wohnen. Sofern Adriana mit dem Plan einverstanden ist.

Diese Drogen. Sie sind schuld an meiner Migräne. Und Iker leidet nun ebenfalls darunter. Die Pflanzen, die meine Eltern angebaut haben, stammen aus dem Feenwald. Die Pflanze heißt Gelbkorn, oder auch Drachenauge. Die Pflanzen selbst, solange die weizenähnelnden Körner nicht verzerrt oder zerrieben werden, ist ungefährlich. Doch wenn man ungeschützt das daraus gewonnene Pulver berührt oder es sogar einatmet, kann es zu Migräne oder schlimmeren kommen. Angst. Wahnsinn. Mama und Papa haben behauptet, sie hätten das nicht gewusst. Papa glaube ich das, aber Mama?

So wie sie geguckt hat? Ich war bei der Gerichtsverhandlung dabei. Als Zuschauerin. Mama wusste es. Und es war ihr egal! Sie hat unsere Gesundheit gefährdet! Sie bekommen dafür einen zweiten Prozess. Dabei sind sie bereits zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. Und Opa hat ein Kontaktverbot zu uns erwirkt. Er geht davon aus, dass Papa bei dem zweiten Prozess keine schlimme Strafe zu erwarten hat. Nur Mama. Das macht ihn sehr traurig.

Er liebt unsere Mutter, auch wenn sie Streit hatten. Er will nicht sagen, worum genau es ging. Ich will es auch nicht wissen. Es muss schlimm gewesen sein.

Diese Droge ist gefährlich! Vieles aus dem Feenwald ist das! Die berauschende Wirkung der Pflanze wird nur durch Hitze freigesetzt. Aus dem Pulver kocht man Tee, der süßlich schmeckt. Es wirkt stärker als Alkohol und lässt einen die Welt in herrlichen Farben sehen. Aber man kann daran sterben, wenn man das Pulver überdosiert. Das lose Pulver ist ein leichtes Gift. Es wirkt sehr langsam, außer man isst sehr viel davon. Sehr, sehr viel. Das Anbauen der Pflanze ist streng verboten. Meine Migräne wird wohl bleiben. Und Iker teilt dieses Schicksal. Zum, Glück scheint uns nicht schlimmeres widerfahren zu sein. Alle anderen scheinen gesund geblieben zu sein.

Opa und Omas Kinder leben auch alle hier. Meine Tante Nahla ist nur ein Jahr älter als ich. Wir verstehen uns gut. Die Drillinge Gustav, Gundula und Bernadette sind neunzehn und sie verwickeln Birger ständig in irgendeinen Unsinn. Oma sagt, seit wir im Haus sind, ist es umso fröhlicher und lustiger geworden. Sie hat uns vermisst.

Ich bin glücklich.

Anfangs war es seltsam plötzlich bei Verwandten zu leben, an die ich mich nicht erinnern kann. Aber nun ist alles gut. Wir werden geliebt. Wir haben jeder ein eigenes Zimmer. Die sind zwar nur wenig größer als unsere vorherigen Zimmer, doch das macht nichts. Die größten Zimmer haben Alma und Camilla. Sie teilen sich kein Spielzimmer mehr. Almas Zimmer sieht ständig aus wie ein Schlachtfeld. Sie räumt gerne all ihr Spielzeug aus. Und dazwischen steht der schöne Stuhl, den sie von der Königin bekommen hat.

Aili schreibt uns nun öfters als vorher. Ich denke, sie ist verliebt. Sie erzählt viel von einem Bäcker namens Amaury. Dem Neffen der Königin. Wenn sie ihn irgendwann heiraten sollte, sind wir mit der königlichen Familie verwandt. Ob das Mama freuen würde? Oder Ärgern? Nachdem Opa uns alle aufgenommen hat, kam Aili für eine Woche her. Ihr geht es nicht gut. Ich mache mir Sorgen. Aber sie sagte, dass solle ich nicht. Es ginge ihr gut. Aber sie hat viel Unterricht verpasst. Sie wird vermutlich das Schuljahr wiederholen müssen. Sie kommt in ein paar Tagen wieder her. Über das Wochenende. Das ist ungewöhnlich, aber wir brauchen sie bei uns. Und Aili braucht uns. Sie war auch für ein paar Tage im Schloss, als wir dort gewohnt haben.

Die Schulleiterin der Akademie hat es erlaubt. Aili hat wohl viel Schlimmes erlebt. Aber sie spricht nicht darüber. Sie war stiller als sonst. Und dann das ganze mit den Drogen... Das war für uns alle Schlimm. Es tat gut, sie bei uns zu haben. Opa hat geweint, als sie ankam. Er hat auch geweint, als wir in sein Anwesen gebracht wurden. Wie müssen nie mehr zu unseren Eltern zurück.

Ich bin froh, sie nie wieder sehen zu müssen. Ich denke nicht, dass ich Mama je verzeihen kann. Sie hat vor Gericht gelogen. Sie sagte, wir Kinder wussten alles und wollten helfen. Papa hat sie daraufhin laut beschimpft. Er war meist ein guter Vater, obwohl er uns wissentlich den Drogen ausgesetzt hat. Zumindest hat er Mama nicht lügen lassen. Er hat uns vor Gericht beschützt. Besonders Birger und Aili. Mama hat versucht sie als mitschuldig aussehen zu lassen. Sie behauptete, die beiden hätten sie überredet uns alle mithelfen zu lassen, nachdem wir Jüngeren unbedingt helfen wollten. Ich verstehe sie nicht. Papa war sehr wütend. Ich denke, ihre Ehe ist beendet.

Mir ist das egal! Dann jetzt geht es mir gut! Viel besser als bei Mama und Papa!

Auch wenn es am Anfang schlimm war und wehgetan hat... Manchmal vermisse ich die beiden. Das ist das letzte Geheimnis, dass du für mich hüten darfst.

Auf Wiedersehen, mein liebes Tagebuch.


(c: sasi)


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