Kaugummi und Jeans.

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Ich habe mir wirklich für einen Moment gewünscht, dass die mir leider nicht bekannte Person, die Masha angeheuert hat, auf Aleksanders Beerdigung auftaucht und sein Werk vollendet. Dass er das Geschlecht der Sokolovs auslöschen wird. Dass er auch mich auslöscht, um mir die Leere zu nehmen, die irrationale Einsamkeit, die mich Tag für Tag auffrisst.
Jedoch kam niemand.

Wir trugen ihn zu Grabe, nahmen den Leichenschmaus ein, ich habe über Arturs Witze gelacht und bin dann zurück mit ihm nach Hause gefahren. Wir haben uns am Eingang zum Foyer verabschiedet, da er noch ein Meeting hat und ich habe mich gewaschen und mich umgezogen.
Es war beinahe ein Tag wie jeder andere.
Als ich mit einem Handtuch unter dem Arm die Treppen zum Keller hinunter gehe, frage ich mich, ob das jetzt mein Leben ist.
Artur hätte keinen einzigen Grund, mich zu heiraten. Nicht nur, dass er mit seinem Vermögen und dem Charme, den er aufbringen kann, wenn er will, jede haben könnte. Ich habe außerdem auch absolut nichts vorzuweisen. Meine Familie wurde ausgelöscht, mein Vermögen gehört ohnehin bereits ihm.
Doch er hält mich bei sich.
Vielleicht muss ich das nun ertragen. Es hinnehmen und es so gut wie möglich zu nutzen versuchen.

"Oh, hallo", reißt mich eine helle Stimme aus meinen Gedanken, als ich den Poolraum betrete. Das Echo der Stimme hallt in dem dunklen Steinzimmer wider, welches nach Chlor und Feuchtigkeit riecht und sich schlagartig wärmer anfühlt als noch in einem Geschoss über mir. Der Klang dieser Worte verwirrt mich für einen Moment.
Es ist Englisch. Eine Sprache, die ich einmal fließend und oft sprach, in Urlauben, mit Freunden meiner Familie. Ich habe schon immer Spaß und Lebensfreude mit dieser Sprache verbunden.
Jetzt spüre ich nichts.

"Hallo", erwidere ich also Sloens Begrüßung, aber viel leiser als sie und zunächst sehe ich sie auch nicht weiter an.
Ich weiß nicht, ob ich die Frau von Arturs Onkel mag. Sie ist eben eine weitere Person in diesem Gefängnis aus dunklem Stein.
Vor dem blau schimmernden Beckenrand schlüpfe ich aus meinen Sandalen und weil ich höflich und nicht distanziert wirken möchte, lege ich das Handtuch auf die Liege neben der, auf der Sloen liegt.
"Beerdigungen machen immer ein bisschen müde. Findest du nicht auch?", ich sehe Sloen an. Ihr welliges, hellbraunes Haar hat sie zu einem Dutt zusammengebunden und sie sieht mich unter ihren haselnussbraunen Augen an. Dabei zupft ein Lächeln an ihren Mundwinkeln.
Eigentlich bin ich immer müde.

"Sie sind nicht schön, nein", antworte ich und kann mir kein Lächeln abringen. Ob sie mich müde machen weiß ich nicht. Müde bin ich eigentlich permanent.
"Du bist wirklich ein ganz schön starkes Mädchen, Darija. Weißt du das?", Sloen, die Ende vierzig ist, aber aussieht wie Ende dreißig, richtet sich nun auf, setzt sich kerzengerade hin und lächelt mich an, als hätte sie mir ein Kompliment für meine Frisur gegeben.

Sie sprüht eine warme, freundliche Aura aus und ich weiß, dass sie es gut mit mir meint. Aber ich schaffe es einfach nicht, etwas mehr Freundlichkeit an den Tag zu legen. Ich würde es so gerne. Ich wünschte, ich hätte eine Freundin. Aber ich weiß nicht mehr, wie das geht. Wie man Freunde findet und eine Freundschaft aufrechterhält. Ich weiß nicht mehr, wie es sich anfühlt, jemanden zu haben, dem man Geheimnisse anvertrauen kann, oder sich einfach aus Spaß über kopflose, belanglose Dinge zu unterhalten.

"Wieso?", frage ich also.
Sie lächelt und deutet mir mit einem Klopfen auf ihrer Liege, mich neben sie zu setzen.
Ich zögere, aber tue es dann. Es wäre mir unheimlich peinlich, wenn meine soziale Inkompetenz, die mich manchmal unfassbar dumm erscheinen lässt, diesen kleinen Moment sich anbahnender Normalität zerstören könnte.
"Wieso?", lacht sie schallend.

Jedoch verzieht sich dann ihre Miene in etwas, was ich als mitleidig deuten würde. Und das ist etwas, was ich auch nicht möchte. Ich brauche kein Mitleid. Davon gebe ich mir selbst genug.
"Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich habe dir nie mein Beileid ausgesprochen, für das, was dir passiert ist", ihre Hand legt sich kurz auf meine, jedoch ziehe ich sie prompt zurück. Das bringt sie jedoch kaum aus der Fassung: "Ich habe keine Ahnung, was mit Artur und dir ist. Ich habe ihn das letzte Mal gesehen, als er noch ein kleiner Junge war und dann nur noch mit dir. Aber ich sehe, dass er dich vielleicht ein bisschen einengt, kann das sein?" Ich hebe knapp eine Braue und schüttle den Kopf.

Bratva - VerlangenWhere stories live. Discover now