𝑲𝑨𝑷𝑰𝑻𝑬𝑳 𝟐𝟖

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Aliva

»Aliva.«
Ich bin tot. Aye, so muss sich der Tod anfühlen. Denn das Einzige, an das ich mich erinnern kann, ist, dass ich mit Edarion aus der Talentschule von Lorath geflohen bin und mir ein Arm abgehackt wurde. Dann die Dunkelheit, welche mich danach eingehüllt hat. Und jetzt will ich schlafen. Einfach nur schlafen.
»Aliva.« Wieder diese Stimme. Diese Stimme. Das kann nicht sein.
Ich öffne meine Augen und sehe mich um. Ich befinde mich in einem warmen Raum, welcher daher einen warmen Kamin beherbergt, in welchem ein Feuer prasselt. Eine warme Decke umhüllt mich und ich merke, dass ich in einem Bett liege. Einem Ehebett. Als ich zu meiner linken Seite blicke, sehe ich, dass mein linker Arm nachgewachsen ist. Seltsam. Wie ist das möglich?
»Aliva.«
Mein Blick gleitet zu meiner rechten Seite...und mein Mund klappt nach unten. Ich starre vollkommen perplex auf den jungen Mann, der neben mir in diesem Ehebett liegt und mich wie ein Honigkuchenpferd angrinst.
»Delian«, hauche ich.
»Ja, liebste Aliva. Ich bin es«, lächelt er sanft.
Ich schlucke hart, ehe ich mit belegter Stimme frage: »Ist das die Wirklichkeit?«
»Was? Dass wir uns hier begegnen?«, fragt Delian schmunzelnd zurück. »Für mich ja. Für dich... Bei dir kommt es darauf an. Würdest du es denn als die Wirklichkeit oder eher als einen Traum betrachten?«
Eine kleine Weile sehe ich ihn nur an. »Ich weiß es nicht«, antworte ich schließlich. »Bin ich denn tot?«
Mein ehemaliger Geliebter schüttelt den Kopf und erst jetzt fällt mir auf, dass sein dunkles Haar kurz und an einigen Stellen auch verbrannt ist. Aber seine silbergrauen Augen strahlen immer noch dieselbe Wärme aus, mit der er mich immer angesehen hat, bevor er bei unserer Flucht aus der Talentschule von Nymeria umgekommen ist.
»Dann ist es ein Traum«, meine ich leise.
»Aber der schönste Traum, welchen du jemals hattest, was?«
Ich nicke und rutsche etwas näher an ihn heran.
Delian hebt seine linke Hand, legt sie an meine Wange und streicht zärtlich darüber. Dabei fällt mein Blick auf seinen feingliedrigen Armreif, den er wie immer an dieser Hand trägt. Sein Glücksarmreif, wie er mir einmal erklärte. Der Armreif trägt kleine Saphire, welche abwechselnd mit immer drei Diamanten eingearbeitet worden sind. An dem Glücksarmreif ist der holunderviolettfarbene Stein befestigt, den Delian normalerweise um den Hals trägt. Das ist merkwürdig.
»Was bedeutet das?«, frage ich ihn geradeheraus.
Delian seufzt tief, ehe er mir antwortet: »Ich überlebte die Flucht. Doch von nun an diente ich meinem Clan. Ich war nicht länger ein Schüler des Clans der Magischen Steine, sondern einer der Diener. Dass der Stein, der ja das Erkennungszeichen meines Clans ist, an meinem Armreif befestigt ist, weist mich als einen ehemaligen Schüler meines Clans aus. Aber letztendlich starb ich doch. Und bevor du fragst, wie es passiert ist, ich erzähle es dir. Deine allerbeste Freundin Amania hat sich in Nymerias Talentschule geschlichen, um herauszufinden, ob dein Ziehgroßvater Helion sich dort aufhält. Oder gefangen ist, wenn du es so nennen willst. Die Talentschule fand heraus, dass Kieran, Samira, Dylan und du die Flucht geschafft habt. Natürlich hatten sie sofort vermutet, dass ihr bei deinem Ziehgroßvater Zuflucht gesucht habt. Sie fanden Helion augenblicklich und sperrten ihn in den Kerker, um ihn so zu erpressen. Er verriet, dass er nicht wüsste, wo ihr euch befindet, doch man glaubten ihm nicht. Mich hatte man für die Kerker eingeteilt und so hatte ich mindestens jeden zweiten Tag mit ihm zu tun. Ich versuchte, so gut es ging, ihn aufzupäppeln, da die Befragung ihn so sehr ausgelaugt und geschwächt hat, dass ich befürchtete, er würde es nicht überleben. Doch er schaffte es. Ich unterhielt mich immer mit ihm und er erzählte mir viel von dir. Als dann Amania aufgetaucht ist, wurde er von den Schergen Silas' getötet. Er liebt dich wie seine richtige Enkelin. Dies soll dir eigentlich...jemand anders ausrichten, aber...«
Ich unterbreche ihn, indem ich ihm mein Gesicht wieder zuwende, welches ich bis jetzt von in dem Kissen verborgen habe. Es glänzt von Tränen. Die Nachricht vom Tod meines Ziehgroßvaters erschüttert mich und lässt mein Innerstes bluten. Das Gesicht Delians verschwimmt vor meinen Augen, weil die Tränen in Bächen über meine Wangen laufen.
Delian rückt nun vollends an mich heran und wischt meine Tränen fort. »Ssh«, raunt er mir leise und sanft ins Ohr. »Es ist alles gut, Aliva. Ich bin bei dir und helfe dir, den Schmerz zu überstehen.«
»Danke«, flüstere ich mit brüchiger Stimme und lasse zu, dass er mir zärtlich über mein Haar streicht. Dann, so plötzlich, dass ich mich nicht dagegen wehren kann, beugt er sich vor und: küsst mich. Ich spüre, wie mein Körper augenblicklich auf den seinen reagiert und ich erwidere seinen Kuss. Lange und mit derselben Leidenschaft.
Zu meiner Überraschung ist es jedoch Delian, der den Kuss unterbricht. So schnell und so plötzlich, dass ich fast enttäuscht bin, weil es vorbei ist.
»Wir... Es tut mir leid. Wir hätten es nicht tun dürfen. Ich-«
»Delian?«, unterbreche ich ihn erneut. »Da ist doch etwas, was du vor mir verbirgst. Was ist es?«
Für eine kleine Weile sind wir still, starren uns nur an und versuchen irgendwie diesen Moment zu vergessen. Dann: »Aliva, ich muss dir etwas sagen«, beginnt mein ehemaliger Geliebter mit ernster Stimme. »Denn eigentlich...hätten wir uns nie lieben dürfen.«
»Warum...«, beginne ich, doch er fährt schon fort: »Man ist erst im Alter von einundzwanzig Jahren heiratsfähig. Dann darf man natürlich den- oder diejenige heiraten, die man liebt. Es sei denn man hat mit derjenigen oder einer anderen...ein Kind. Dann ist man automatisch demjenigen versprochen, mit dem man einen Erben gezeugt hat.«
Ich starre ihn an, als ob er mir gerade eröffnet hat, dass er des Teufels Sohn persönlich wäre.
»Die Ausnahme ist, wenn einer von beiden stirbt oder das Kind tot zur Welt kommt. Dann ist man automatisch vom anderen entbunden«, beendet Delian seinen Vortrag. »Und sicher fragst du dich jetzt, weshalb ich dir das alles erzähle. Nun, es ist so... Ich habe einen Sohn. Einst, in meinem ersten Jahr an Nymerias Talentschule, rettete ich die Elfe Eluah im Schwarzen Wald vor Coréane. Als Dank dafür schlief sie mit mir eine Nacht lang und wir trieben es...etwas zu weit. Als sie mir wenige Wochen später in einem Brief schrieb, dass sie schwanger ist, da... Ich schlich mich immer einmal im Monat zu ihr und auch, als Elyon geboren wurde, kam ich immer einmal im Monat vorbei. Doch jetzt sind wir beide tot und unser Sohn wächst bei deiner leiblichen Mutter auf. Daher...«
»Bei Alessa?« Ich starre Delian mit einem überraschten Gesichtsausdruck an.
»Aye«, nickt er. »Und ich habe eine Bitte an dich: Ziehe meinen Sohn zusammen mit Dylan auf. Versprichst du mir das?«
Ich sehe ihn nur an, ohne eine Regung.
»Versprichst du mir das?«, wiederholt er.
Ich aber sage immer noch nichts. Ich kann ihm dieses Versprechen nicht abnehmen. Das ist nicht möglich.
»Ich kann es nicht«, sage ich ruhig.
»Warum?«
Ich atme tief durch, ehe ich mit Grabesstimme erwidere: »Wenn du mir das Thema Heiraten und Kinder gerade erläutert hast, solltest du wissen, weshalb ich deine Bitte ablehne.«
Jetzt ist es er, der mich überrascht, aber auch fassungslos anblickt. Sagen tut er jedoch nichts dazu. Stattdessen nimmt er seinen Armreif von seinem Handgelenk und streift ihn mir über meines. 
»Hier«, sagt er. »Dadurch bin ich nicht nur mit dir verbunden und spüre so, wie du dich gerade fühlst, sondern ich nehme an, du kennst die Magie der Magischen Steine, wenn ihre Besitzer sie an jemand anderen geben?«
»Ja«, antworte ich und hauche ihm einen flüchtigen Kuss auf seine Wange. »Danke.«
Er löst sich eilig von mir. »Du musst zurück«, meint er leise.
»Aber ich will nicht-«
»Du musst«, entgegnet er eindringlich und sieht mir tief in die Augen. »Du wirst gebraucht.«
Und ehe ich eine trotzige Antwort geben kann, schließt er sanft meine Augen...

𝓖𝓮𝓱𝓮𝓲𝓶𝓷𝓲𝓼𝓿𝓸𝓵𝓵𝓮 𝓑𝓵𝓾̈𝓽𝓮 𝟑 - 𝓓𝓲𝓮 𝓢𝓽𝓪𝓭𝓽 𝓭𝓮𝓻...Où les histoires vivent. Découvrez maintenant