Kapitel 1: Das mit den tollwütigen Einhörnern

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Der schrille Klang von mindestens einem Dutzend Warnglocken zerriss plötzlich die Stille und erschütterte Bambi bis ins Mark. Erschrocken zuckte der Elf zusammen und brach seinen Dietrich im Türschloss ab, das er gerade noch verzweifelt versucht hatte aufzubekommen. Seit einer geschlagenen Stunde irrten sie nun schon durch diese Festung, bisher jedoch ohne das zu finden, was sie suchten. Dafür jedoch auch ohne Alarm auszulösen... was sich soeben geändert hatte. Nur warum -
„Sieh doch, da steht Berg!", rief Mario neben Bambi glücklich und zeigte auf einen großen roten Knopf. „Und den zu drücken hat sogar irgendwas gemacht!" So weise der Phönix auch war und trotz Bambis unbändigem Respekt für ihn, zuckten nun seine Augenlider vor Ungläubigkeit.
„Alarm. Da steht... Alarm", murmelte Bambi und versuchte sich ein Seufzen zu verkneifen. Es war erst ein paar Tage her, dass der Elf den Phönix in seinem Wald gefunden hatte, doch seither war sein Leben ein einziges Abenteuer geworden.
„Hä?", fragte Mario verwirrt und starrte erneut auf den Knopf. „Ach ja stimmt. Hab ganz vergessen, dass ich ja gar nicht lesen kann."

Bambi biss die Zähne zusammen. Dafür hatten sie jetzt keine Zeit. Weshalb auch immer der Phönix das getan hatte, sie mussten sofort verschwinden, bevor... Ein lauter Schlag riss Bambi aus seinen Gedanken. Wenige Meter vor ihnen war ein Einhorn zu schnell um die Ecke des Gangs galoppiert und gegen die gegenüberliegende Wand geprallt. Aber nicht irgendein Einhorn. Ein tollwütiges Wacheinhorn. Jedes Einzelne schlimmer, als eine ganze Meute Hunde.
„Ach du erstickende Würgefeige", hauchte Bambi. Dann schnappte er sich Mario und nahm so schnell er konnte die Beine in die Hand. Wo ein Wacheinhorn war, waren auch noch andere. Und mit denen war nicht zu spaßen, wenn man erst einmal unerlaubt in ihr Territorium eingedrungen war. Brutale Tiere... Ein Schauer lief Bambi über den Rücken.
„Das hier ist doof!", rief das Huhn, als es in Bambis Armen etwas durchgeschüttelt wurde. Der Sprung von einem Geländer in das darunter liegende Stockwerk schien die Sache auch nicht besser zu machen.
„Es tut mir wirklich außerordentlich Leid!", rief Bambi, als er sich nach der Landung wieder aufrappelte. Schwer schnaubend kamen die Einhörner vor dem Geländer ruckartig zum Stehen. Das flackernde Licht der Fackeln neben ihnen verlieh ihren Gesichtern einen dämonischen Ausdruck.
„Ich weiß sowieso nicht, warum wir hier sind. Das war eine wirklich blöde Idee von dir Bambi. Das nächste Mal solltest du lieber, so wie ich immer, eine gute Idee haben", grummelte Mario beleidigt. Der neue Untergebene des Phönixes sah aus irgendeinem Grund verwirrt aus. Egal - Mario hatte genug Durchblick für beide von ihnen. Bambi schüttelte während er rannte nur den Kopf.
„Der Mensch, dem diese Festung gehört, besitzt eine große Sammlung an alten Artefakten - darunter auch Bücher und Karten. Der Berg aus eurer Beschreibung, auf dem wir das Artefakt eures Begehrens finden können, ehrenwerter Mario, kommt mir bekannt vor. Aber dessen genaue Örtlichkeit entzieht sich meiner Kenntnis - ich bitte euch um Verzeihung - doch ich hoffe eine entsprechende Karte in der Bücherei dieser Festung finden zu können", erklärte der Elf. Mit vielen, vielen überflüssigen Worten - doch Mario hatte es schon längst durchblickt. In dieser Burg hier war etwas, dass sie brauchten.
„Also, worauf warten wir noch?", piepste Mario empört. „Erst Karte und dann Pizza!"

Auf einmal blieb der Elf stehen. Er schloss die Augen und sog die Luft durch die Nase ein. Nach altem Pergament roch es in Richtung des rechten Ganges... Allerdings roch es dort auch stark nach Einhorn. Bambi atmete tief durch. Sie hatten keine andere Wahl, ohne die Karte würden sie scheitern bevor ihre Reise überhaupt begonnen hatte.
„Ich fürchte es ist nicht ganz so einfach... Der Besitzer dieser Burg hat sicherlich nicht das geistige Vermögen eure ehrenwerten Ziele zu erkennen. Oder den nötigen guten Charakter, um euch zu unterstützen. Und daher...", und hier machte der Elf eine dramatische Pause, „...müssen wir uns die Karte leider auf eine weniger konventionelle Weise aneignen."
„Hä?", fragte Mario verwirrt. Was genau meinte der Elf denn jetzt schon wieder?
„Wir müssen...", sagte Bambi in einem erschütterten Tonfall, es nur zu sagen fiel dem sonst so rechtschaffenen und ehrlichen Elfen schwer, „die Karte klauen."
Das Huhn sah ihn mit großen Augen an. Was war klauen noch einmal? Wenn man etwas ohne Geld bekam? Zumindest hatte Mario den Begriff schon ein paar Mal gehört, wenn er etwas von einem Verkaufsstand mitgenommen hatte. Er verstand kaum wo das Problem war - Geld war so kompliziert, es war doch viel leichter Dinge einfach zu nehmen.
„Okay", stimmte er schließlich zu, als der Elf ihn nur erwartungsvoll anschaute, offensichtlich auf die Zustimmung seines Anführers wartend. Dann nickte Bambi und folgte vorsichtig dem Geruch von Pergament und tollwütigen Einhörnern. Die Glocken läuteten noch immer dröhnend über ihren Köpfen, sie wirkten fast als hätten sie ihren eigenen Herzschlag. Ein Schauer zog sich über Bramboriels Rücken. Er hatte den Wald schon mehrmals verlassen, hatte es aber nie sonderlich eilig gehabt die Erfahrung zu wiederholen. Außerhalb wimmelte es außerhalb seines Waldes vor Menschen, die laut waren und nichts zu schätzen wussten. Viel schlimmer waren aber die Pflanzen - kaum ein Baum außerhalb der westlichen Altwälder schien überhaupt ein Bewusstsein zu haben, und die, die eines hatten waren in ihren Unterhaltungen fast so einfältig wie die Menschen selbst. Redeten über Unsinn wie Ernten und neue Beziehungen... Unerträglich. Aber vor allem dieses Wohnen in steinernen Gebäuden statt in Bäumen... Vorsichtig strich Bambi mit der Hand über die kalten Wände des Ganges. Diese Kälte war fast unerträglich und so trist... Bramboriel würde die Menschen einfach nie verstehen. Ein Glück hatte er den Phönix, der ebenfalls über diesen primitiven Gedankenebenen stand. Für ein heiliges Wesen wie ihn würde er den Wald jedes Mal aufs Neue ohne zu zögern verlassen. Es war eine unbegreifliche Ehre, von einem heiligen Wesen auserwählt zu werden. Viele Elfen warteten ihr ganzes Leben auf eine solche Chance, doch nur wenigen wurde sie zuteil. Mit Mario reisen zu dürfen bedeutete Bambi wirklich alles. Also durfte er sich keine Fehler erlauben.

Bambi & Co. KG - Das Erbe des PhönixOnde histórias criam vida. Descubra agora