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Der Raum füllte sich mit verwunderten Menschen, denen das große Fragezeichen nur so ins Gesicht geschrieben stand. Was machte ein deutlich zu formell gekleideter Junge an der wohl unseriösesten Schule der Gegend? Nicht zu vergessen, warum forderte eine Lehrkraft Respekt gegenüber ihm, nachdem er eine halbe Stunde zuvor einen Schüler verprügelt hatte?

Normalerweise hätte ich das als völlig typisch abgetan. Genauso lief es bei Jessica und ihrem Kreis ab - ihre Familie besaß viel Geld und Sie konnten sich ihre Akzeptanz erkaufen. Doch egal wie sehr ich es zu verstehen versuchte, die Gleichung machte keinen Sinn.

Jessica hatte Milo am heutigen Tag sicherlich als ihren Feind erklärt, der ihre - wie sie es nennen würde -, große Liebe beinahe umgebracht hätte. Überdramatisieren war ihre absolute Stärke.

Natürlich bedeutet es nicht, dass es keine anderen Menschen geben konnte, die viel Geld besaßen und sich ihre Anerkennung damit verdienten, den reichen, aber doch herzensguten Menschen zu spielen. Doch für gewöhnlich gab es zwei Varianten - die Reichen hassten und beneideten sich, oder sie lebten gemeinsam in ihrer Scheinwelt.

Ich spielte beide Szenarien in meinen Gedanken durch, doch das Fragezeichen verblasste nicht. Egal ob die Familien sich hassten oder liebten, sie schienen nicht wie von der gleichen Welt. Jessica gehörte zu der Variante, die sich gerne aufspielte und damit angab, sich die teuersten Marken leisten zu können - vor allem im Bezug auf Kleidung, die ihren Körper so wenig wie möglich bedeckte. Wenig Stoff für viel Geld.

Milo hingegen wirkte elegant. Wenig Geld besaß er keinenfalls, doch sein Ansehen schenkte einen seltsam beängstigenden Eindruck. Jessica hatte viele Mittel um Menschen dazu zu bringen, zu tun was sie verlangte, Milo hingegen wirkte, als stünde er auch ohne Geld über allem.

Ehe ich mein verwirrtes Gedankennetz weiter spinnen konnte, holte mich Mr. Carringtons Stimme zurück in die Realität. Auch meine Mitschüler schienen wieder fokussiert.

„Ich bitte einen Freiwilligen, Milo nach Unterrichtsende unsere Schule zu zeigen. Darunter zählen eure Klassen- und Kursräume, die Sporthalle und der Pausenbereich."

Nicht überraschend blickte jeder einzelne in die Gegend und gab mit seinem Blick zu verstehen, diese Aufgabe nicht erfüllen zu wollen. Der Vorfall mit Jack schien alle abgeschreckt zu haben. Normalerweise fürchtete ich mich vor keinem einzigen Schüler, betrachtete sie lediglich als störend, doch auch ich musste mir in diesem Fall eingestehen, mich unsicher zu fühlen.

Milo Smith strahlte unglaubliche Kälte aus. Als wäre ihm prinzipiell egal was irgendwer fühlte, erzählte oder dachte, gleichzeitig aber zu seinen Mitteln griff, wenn ihn etwas störte. Woher sollte einem also klar sein, ab welchem Punkt ihn etwas nicht nach seinen Prinzipien ging?

Mr. Carrington bemerkte, dass jeder sich davor sträubte, nur in Milos Nähe zu kommen. Ich konnte mir bereits ausmalen, wie jeder einzelne ab dem heutigen Tag einen offensichtlichen Bogen um ihn machen würde - wortwörtlich gesehen. Selbst diejenigen, die sich selbst als etwas Besseres sahen.

Der Blick meines Lehrers bewegte sich durch die Menge, hielt bei vereinzelten Schülern inne und landete schließlich direkt bei mir. Wenn ich in diesem Augenblick drei Wünsche frei gehabt hätte, hätte jeder von ihnen die Chance erfüllt, mich von diesem Ort verschwinden zu lassen.

„Da sich keiner von alleine bereit erklärt, wirst du diese Aufgabe übernehmen, Kyra.", begann Mr. Carrington bestimmt. „Mir ist der heutige Vorfall mit Mrs. Morgan zu Ohren gekommen, weshalb der Direktor sowieso darauf bestand, dass du nachsitzen wirst. Nimm es dankend an, diese Zeit für etwas Produktives zu nutzen und unserem neuen Schüler zu helfen, sich zurechtzufinden."

Dass der heutige Vorfall, wie mein Gegenüber es nannte, nichts mit Mrs. Morgan zutun hatte, sondern mit der lästernden Clique von Jessica, konnte ich gekonnt ignorieren. Doch dass Milo Smith, der nun von allen gefürchtet wurde, sich nicht selbst zurechtfinden konnte? Das war offensichtlich eine Lüge.

Dennoch nickte ich, ein Widerspruch schien in diesem Moment zwecklos. Hätte ich mich geweigert, hätte mein Nachmittag die folgende Woche aus Nachsitzen bestanden. Zudem wollte ich Milo keinen Grund geben, mich unter seiner Unbeliebtheitsliste zu notieren.

Die Hand meines Lehrers deutete unserem neuen Schüler daraufhin, sich auf den einzigen freien Platz neben mich zu setzen - wer hätte das erwartet? Seine Begründung lag darin, dass ich ihn ja sowieso herumführen müsste und dies Nutzen könnte, um ihn gleich kennenzulernen. Mr. Carrington begründete seine Anweisungen immer mit Dingen, die einem angeblich helfen würden. Aber warum sollte es mein Leben bereichern, einen Menschen wie Milo kennenzulernen?

Er war die Sorte von Mensch, der ich lieber aus dem Weg ging. Milo Smith war einer der Menschen, die ich wohl am wenigsten um mich haben wollte - noch weniger als Jessica.

S E C R E T SWo Geschichten leben. Entdecke jetzt