82

527 47 4
                                    

⊱ ────── {⋅. ✯ .⋅} ────── ⊰

Mit schweren Schritten laufe ich nach Hause, obwohl ich es eigentlich vermeiden will, so schnell dorthin zurückzukehren und meinem Bruder unter die Augen zu treten. Die Gedanken daran, wie er mich ansehen wird oder schimpft, kann ich im Moment nicht gebrauchen.
Doch wo soll ich sonst hingehen? Kei will noch zu Chifuyu, also werde ich die beiden definitiv nicht stören. Die Idee, zu Emma zu gehen, verwerfe ich sofort - das ist einfach keine Option. Und meine Beziehung zu Hina ist nicht eng genug, um mitten in der Nacht unangekündigt bei ihr aufzutauchen. Das ist es dann schon, was meine Bekanntschaften angeht, also habe ich keine andere Wahl und für ein Hotel habe ich nicht mehr genug Geld einstecken.
Ich riskiere einen flüchtigen Blick über die Schulter, nur um festzustellen, dass er mir tatsächlich nicht nachkommt. In der Dunkelheit ist keine Spur von ihm zu erkennen. Kein Wunder, warum sollte er auch? Nachlaufen, verzweifelt Auf-die-Knie-Fallen und um Vergebung bitten geschieht nur in kitschigen Liebesfilmen. Und in so einem befinde ich mich nicht.
Mit zittrigen Fingern wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und setze meinen Weg nach Hause fort. Ein eisiger Schauer durchfährt mich, als mir die schmerzhafte Wahrheit langsam bewusst wird - es ist vorbei.

Als ich schließlich vor meiner Haustür stehe, gebe ich mir nicht einmal die Mühe, leise zu sein und darauf zu achten, meinen Bruder nicht zu wecken. Ich werfe meinen Schlüssel achtlos auf die Ablage, stoße meine Schuhe gegen die Wand und verschwinde mit einem lauten Türknall in meinem Zimmer. Die Wut und der Schmerz in mir kochen, und ich kann nicht mehr klar denken. Ich werfe mich auf mein Bett und ziehe die Decke über meinen Kopf, als wollte ich die Welt da draußen aussperren.
Kurz darauf höre ich ein leises Klopfen an meiner Tür, aber ich antworte nicht. Ich bin noch immer wütend auf meinen Bruder, auch wenn das eigentlich Nebensache ist im Moment.
Da ich nicht reagiere, öffnet er die Tür leise und betritt mein Zimmer mit einem leisen besorgten: "Meiyo?" Ich habe keine Lust zu reden, geschweige denn, ihn zu sehen. Mit Tränen in den Augen richte ich mich auf und werfe mein Kissen in seine Richtung.
"Verschwinde", presse ich mit bebender Stimme heraus. "Ich habe keine Lust, mit dir zu reden oder mir anzuhören, wie du mich anschreist." Während ich mein zweites Kissen zu ihm schleudere, laufen die Tränen weiterhin über mein Gesicht. Alles, was ich jetzt will, ist, allein zu sein und mir einfach die Augen auszuheulen.

Aber mein Bruder sieht das Ganze wohl anders. Er kommt auf mich zu und lässt sich auf dem Bettrand nieder. "Es tut mir leid", flüstert er leise und sieht mich an. Ich bin zu stur, um den Blick abzuwenden, und so sehen wir uns gegenseitig an. Die Tränen in meinen Augen und die Dunkelheit, die nur durch das fahle Licht der Straßenlampe draußen erhellt wird, machen es allerdings etwas schwieriger. "Emma hat mir ordentlich den Kopf gewaschen, und ich sehe ein, dass ich überreagiert habe. Wenn ich ehrlich bin, habe ich in deinem Alter wahrscheinlich noch schlimmere Dinge getan. Ein Clubbesuch und ein bisschen zu viel Alkohol sind im Vergleich dazu wirklich harmlos, denke ich", fährt er fort, nachdem er bemerkt, dass ich keine Antwort gebe.
"Du bist mittlerweile erwachsen, aber es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass du nicht mehr das kleine Mädchen von früher bist", erklärt er weiter und hält weiterhin den Blickkontakt. Und egal, was er sagt, es macht alles nicht besser, es verschlimmert alles nur noch. Mein Inneres ist ohnehin schon völlig durcheinander, und meine Gefühle spielen verrückt wegen allem, was sich in den vergangenen Stunden passiert.

"Ich werde trotzdem nicht aufhören, mir Sorgen zu machen! Also hör gefälligst auf, aus dem Fenster zu springen, du verrückte", fügt er mit einem leichten Lächeln hinzu und wuschelt durch meine Haare. Ein schwaches Lächeln huscht über meine Lippen, verblasst jedoch genauso schnell, wie es auftaucht. "Aber versprich mir, dass du zu mir kommst, wenn etwas ist, okay? Ich werde auch versuchen nicht wütend zu werden, auch wenn du plötzlich mit einem Kerl auftauchen solltest", presst er den letzten Satz schwer hervor. "Sei froh, dass ich kein Kissen mehr besitze, welches ich dir gegen das Gesicht drücken kann", murmele ich leise und lege mich einfach hin. Er lacht erneut und erhebt sich, um das Zimmer zu verlassen. Ich flüstere ihm noch ein leises: "Es tut mir auch leid" hinterher.
Eigentlich sollte ich froh sein, dass es mit meinem Bruder einfacher gelöst ist, als ich dachte. Aber das, was Kei mir enthüllt hat, macht es umso schwieriger für mich, mich damit abzufinden, zumal ich die Bestätigung bekomme, dass ihm dieser ganze Gang-Mist wichtiger ist als ich. Kopf zerbrechend über die letzten Stunden schlafe ich irgendwann ein.

Die restlichen Tage verlaufen besser, als ich erwartet habe. Ich sehe Mikey zwar seit diesem einen Abend nicht mehr und habe mich weder bei ihm gemeldet, noch er sich bei mir. Trotzdem lässt jedes Klingeln meines Handys mein Herz schneller schlagen, in der Hoffnung, dass es eine Nachricht von ihm sein könnte. Stattdessen verbringe ich jeden Tag mit Kei und Chifuyu, da dieser sich genauso ungern von ihm trennen will wie ich.
Es ist erstaunlich, wie gut Chifuyu und ich uns verstehen, trotz der dummen Bemerkungen, die er in der Vergangenheit gemacht hat. Doch wie sich herausstellt, entspringen diese Kommentare lediglich seiner Eifersucht. Ich weiß, dass Kei auf Männer steht und er erzählte mir auch einmal, dass er etwas mit Chifuyu am Laufen hat, aber sie nicht zusammen sind.

Ich fand auch endlich die Gelegenheit, mich in Ruhe mit meinem Bruder auszusprechen, bis ich am Ende weinend in seinen Armen lag. Wir einigen uns darauf, dass er mich von nun an wie eine Erwachsene behandeln wird und dass ich nicht mehr so stur wie ein trotziges Kind sein sollte.
Die Erkenntnis, dass er in eine Gang involviert ist, trifft mich zwar hart, aber er ist immer noch mein Bruder, den ich von Herzen liebe. Auf magische Weise scheint unsere Verbindung auf einmal viel stärker und vertrauter als je zuvor.


[...]

"Und du bist dir absolut sicher, dass du das machen willst?", fragt mein bester Freund, während er mich eindringlich im Spiegel ansieht. Ich spüre, wie meine Hände leicht zittern, doch ich nicke entschlossen.
"Unbedingt", versuche ich selbstsicher zu sagen, während ich die Schere auf Schulterhöhe ansetze. Ein tiefer Atemzug, und dann schneide ich meine Haare ab. Chifuyu, der mit Kei und mir im Badezimmer steht, zieht scharf die Luft ein und starrt geschockt auf den Boden, als die Strähnen zu Boden fallen.
Ich selbst schlucke schwer, nachdem ich meine abgeschnittenen Haare in der Hand halte und mich selbst im Spiegel anschaue. Mein Haar, das normalerweise bis zum Bauchnabel reicht, ist nun auf Schulterlänge reduziert. Der Kontrast zwischen den beiden Haarlängen fühlt sich auf seltsame Weise beängstigend an. Dennoch zögere ich nicht lange und setze die Schere an der anderen Seite an, um auch dort meine Haare abzuschneiden.

Ein wenig stolz, dass ich das wirklich getan habe, drehe ich mich zu den beiden Jungs um und halte meine abgeschnittenen Haare wie eine Trophäe hoch.
"Gib mal die Schere her, da muss noch etwas ausgebessert werden, das ist komplett schief", meckert Chifuyu leicht und schnappt sich die Schere und verfrachtet mich auf den Klodeckel zum Hinsetzen. "Ich schneide Baji auch immer die Haare, ich kann das. Also vertrau mir", grinst er mich an und beginnt meine Haare auf eine Länge zu schneiden.
Keikei, der bisher nur stumm danebenstand und zuschaut, schüttelt nur immer wieder ungläubig den Kopf. "Hör auf nur zu schauen und mach dich nützlich, schüttel die Farbe!", schimpfe ich spielerisch und zeige auf die Haarfarbe.
"Das ist doch verrückt. Auf was für einem Trip bist du gerade, dass du so etwas machst?", fragt er mich, aber gehorcht dennoch und beginnt, die Haarfarbe anzurühren, nachdem er die Bedienungsanleitung studiert hat.
"Das weißt du genau", murmele ich leise und werde wieder etwas traurig. Ich habe Kei erzählt, dass ich mich noch am selben Abend von Mikey getrennt habe. Er ist natürlich erleichtert, doch es fällt ihm schwer zu sehen, wie sehr mich die Trennung mitnimmt. Deshalb erfüllt er mir beinahe jeden Wunsch, darunter auch den, meine Haare zu schneiden und zu färben.

Nachdem Chifuyu meine Haare gerettet hat, beginnt mein bester Freund mutig die Aufgabe, die schwarze Farbe auf meinen Kopf zu schmieren. Kei, mit einem skeptischen Blick, der nicht verschwindet, murmelt wiederholt: "Das ist doch verrückt." Die beiden Jungs sind sichtlich überfordert und scheinen zu denken, dass sie etwas falsch machen, was für mich nur umso amüsanter ist. Nach über einer halben Stunde sind sie endlich fertig, und als ich mich im Spiegel betrachte, sehe ich, dass sogar mein halbes Gesicht eingefärbt ist. Als ich mich zu ihnen umdrehe, um mich zu beschweren, sehe ich, wie die beiden selbst aussehen.
Kei's Hände sind schwarz wie die Nacht, seine Arme übersät mit unzähligen schwarzen Flecken, auch in seinem Gesicht sind einige Flecken zu sehen, wie auch immer die da hinkommen. Von der Kleidung kann er sich wohl auch verabschieden. Sogar Chifuyu, der eigentlich nur daneben gestanden hat, trägt nun Flecken an seinen Armen und auf seiner Kleidung.
"Wieso hast du denn keine Handschuhe benutzt?", frage ich und versuche ein Lachen zu unterdrücken.
"Es gab Handschuhe?", fragt Kei verwirrt. Chifuyu und ich brechen in ein Gelächter aus, welches sich verstärkte, als wir uns alle gegenseitig ansehen.

In diesem Moment kann ich den Herzschmerz der letzten Tage für einen Augenblick vergessen und bin einfach glücklich. 

⊱ ────── {⋅. ✯ .⋅} ────── ⊰

My best friend's sister ᵐᶦᵏᵉʸ ˣ ᵒᶜWhere stories live. Discover now