Das Piepen vom Wecker dröhnte mich aus dem Schlaf. Schnell schlug ich unterbewusst auf den Wecker und das Geräusch verstummte. Ich drehte mich wieder auf die Seite, zog die Decke hoch und blieb einfach unmotiviert auf der weichen Matratze liegen.
Wieder ertönte der Wecker schrill in meinen Ohren und zwang mich dazu, aufzustehen. Gerädert von der langen Nacht, quälte ich mich schließlich aus dem Bett.
***
Frisch umgezogen schnappte ich mir die Aufzeichnungen von Dr. Beckmann, überprüfte panisch noch einmal schnell, dass die Dokumente weiterhin unbenutzt wirkten und lief zu Ms. Tung's Büro. Ich setzte mein grinsendes Pokerface auf und klopfte vorsichtig gegen die massive Eisentür.
Durch einen kaum auffallenden Lautsprecher, der neben der Tür angebracht war, ertönte rauschend eine nervige Frauenstimme: „Ja?" Ich verdrehte instinktiv meine Augen: „Hier ist Adriana. Ich bringe Ihnen Dr. Beckmanns Dokumente." Nur Sekunden später sprang die Tür vor mir durch ein leises Klicken auf und ich betrat den Raum.
Konzentriert starrte Ms. Tung auf einen flackernden Bildschirm und ließ ihre dürren Finger auf eine vor ihr liegende Tastatur donnern. Ihre blondgefärbten Haare hatte sie zu einem strengen Dutt auf ihrem Hinterkopf befestigt und eine kantige Brille mit dicken Gläsern zierte ihr schmales Gesicht.
Auf dem seitlich zur Tür positionierten Schreibtisch lagen unzählige lose Blätter ordentlich gestapelt und ließen keinen Raum für persönliche Gegenstände. Hinter Ms. Tung erstreckte sich ein Bücherregel, das mit zahllosen Aktenordnern überfüllt war, und die an der hohen Decke befestigte Lampe tauchte den kahlen Raum in ein grelles Weiß.
Nachdenklich schaute Ms. Tung hoch, deutete auf den freien Stuhl vor ihrem langen Schreibtisch und ich setze mich wiederwillig. Mit zitternden Fingern, die ich krampfhaft zu verstecken versuchte, legte ich mit einem falschen Lächeln triumphierend die Unterlagen auf ihren Tisch. Die knallrote Mappe, in der die Tagebucheinträge abgeheftet waren, schrie in dem kahlen Zimmer förmlich nach Aufmerksamkeit.
Gierig schnappte Ms. Tung nach der Mappe. Sie leckte über Daumen und Zeigefinger, um schneller durch die einzelnen Seiten blättern zu können. Fokussiert überflog sie die Einträge, während ich sie stumm beobachtete.
Gebannt betrachtete ich die Vielfalt ihrer Blicke und Gesichtsausdrücke, die sich mit den verschiedenen Textpassagen veränderten. Die meiste Zeit jedoch prägte ein höhnisches Grinsen ihr Gesicht.
Irgendwann hob sie ihren Kopf und starrte mir konzentriert in die Augen: „Für das Beschaffen dieser enorm wichtigen Unterlagen werde ich dich wieder einige Plätze nach oben befördern lassen. Beim nächten Mal erwarte ich jedoch eine pünktliche Abgabe!" Sofort zog sich alles in meinem Magen zusammen. Meine Gedanken überschlugen sich und Panik stieg in mir auf. „Du kannst gehen", war jedoch der einzige Kommentar den Ms. Tung noch hinzufügte, bevor sie sich wieder in die Mappe vertiefte.
Als die Tür hinter mir ins Schloss knallte, atmete ich vor Erleichterung aus. Mein Blick schweifte und blieb an meiner neuen Armbanduhr hängen. Was?! Es ist schon so spät?! Ich verpasse noch das ganze Training! Mein Herz setzte eine Sekunde aus. Jetzt aber schnell!
Ich sprintete los Richtung Aufzüge, mein Puls schoss in die Höhe (dann brauchte ich mich zumindest, nicht mehr warmzumachen), aber es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis mich ein Aufzug endlich bei den Trainingsräumen ausspuckte.
Ich eilte an der großen Glasfront entlang, durch die ich in den Trainingsraum spähen konnte. Ein kleines Mädchen, das durch die intensiven Trainingseinheiten ordentlich an Muskelmasse aufgebaut hatte, zog sich gerade rhythmisch an einer Klimmzugsstange hoch.
Ein Herr mit wuscheligen weißen Haaren und Lachfalten, die sich in seinem Gesicht eingebrannt hatten, bewegte sich langsam auf einem Laufband. Als ich um die Ecke bog und meinen Trainier Alex entdeckte, erklärte er einer kleinen Gruppe, die Stellungen vom Kickboxen.
Sobald ich die Halle betrat, schlug mir eine Welle aus Schweiß und Desinfektionsmittel entgegen, die sich mit leisem Gestöhne und einer Hintergrundmusik mischte.
Neben Alex stand gelangweilt ein Mädchen, das mich mit einer angewiderten Miene anglotze. Ich hatte sie noch nie gesehen und ich kannte hier absolut jeden! Na toll eine Neue, die nichts draufhat, außer lustlos durch die Gegend zu starren und sich zu schön für diese Welt zu fühlte. Ich verdrehte die Augen.
Genervt begutachtete das Mädchen ihre langen Fingernägel und strich sich durch ihre beneidenswerten, perfekten braunen Locken. Aber als ihre stechend grünen Augen meine trafen, huschte für einen winzigen Moment eine Welle an Traurigkeit über ihr Gesicht.
„Schön, dass du uns auch mal die Ehre erweist, bei Training aufzukreuzen", schnauzte mich Alex an, während er seine Boxhandschuhe auszog und sie vorsichtig auf eine Beistellbank ablegte. „Wiederholt mit einem Partner die Übungen!", befahl Alex der kleinen Gruppe, die sich jetzt in Bewegung setzte, um die Boxstellungen zu üben. Nur das unbekannte Mädchen schleifte Alex hinter sich her, während er auf mich zu kam.
„Eyy, das war nicht meine Schuld, dass ich zu spät bin! Ms. Tung hat mich nicht gehen lassen", gab ich etwas genervt von mir. „Du hast den Auftrag erledigt? Glückwünsch! - und Glückwunsch zu deiner neuen Partnerin." Er schaute mich aufmunternd an.
„Äh, ja, danke? Partnerin??" Alex drückte mir meine Bandagen in die Hand und genervt begann ich, sie um meine Hände zu wickeln.
„Ich weiß - ich bin gerne ein Einzelgängerin und bin alleine viel produktiver", äffte Alex mich mit verstellter Stimme nach, während er das Mädchen, welches hinter im gestanden hatte, nach vorne zog: „Das ist Helena und sie wird mit dir trainieren." Als ich protestieren wollte, fügte er hinzu: „Das ist eine Anweisung von Oben!" Behutsam legte er einen Arm auf meine Schulter und ließ mich anschließend mit Löckchen alleine, die mich etwas unbeholfen anlächelte. Frustriert verdrehte ich meine Augen und schlenderte zielstrebig an ihr vorbei zu den Boxsäcken.
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Cruor
Teen FictionCruor - ein Mittel, das Leben rettet. Ein Mittel, das einen Preis fordert, den diejenigen zahlen müssen, die Cruor in sich tragen. Aber es ist ein Preis, den diejenigen nicht zahlen wollen! ------------------------- Helena, zieht nach dem Verlust ih...