𝗦𝗧𝗘𝗥𝗡𝗘

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Meine Augen brauchen einige Sekunden, bis sie sich an das blendende Licht gewöhnt haben.
Dann erkenne ich schließlich die bunten Farben des Saals.
Alles funkelt, strahlt und glitzert.
Das Publikum jubelt ohrenbetäubend laut und als ich einen Blick in die Menge werfe, sehe ich, wie gespannt alle auf mich blicken.
Damit ich mich wieder schnell von den starrenden Blicken lösen kann, beschleunige ich meinen Schritt und lasse mich schließlich auf dem Stuhl neben Caesar nieder, der sich von der Begeisterung des Publikums natürlich hat mitreißen lassen.

Ich gebe ihm meine Hand, und es dauert einige Sekunden, bis endlich Ruhe im Saal eingekehrt ist, und Caesar das Intervuew mit einem Räuspern beginnt.
„Nun Librae, wir alle wissen nur zu gut, was vor zwei Jahren geschehen ist. Deine Tochter Jinia Olgivy hat tapfer in den 73.Hungerspielen gekämpft, doch leider ist sie gefallen. Was denkst du, würde sie sagen, wenn sie dich jetzt hier an ihrer Stelle sitzen würde?"

Ich schlucke. Natürlich stellt er Fragen zu Jinia.
Ich dachte, ich wäre drauf vorbereitet, doch meine Kehle ist wie zugeschnürt.
Immer, wenn jemand Jinias Namen ausspricht, zucke ich kurz zusammen.
Vor allem, wenn es jemand aus dem Kapitol ist.
Ich merke, wie meine Hände beginnen zu zittern.
Nein. Bitte nicht.
Ich darf nicht wieder in eine Trance verfallen.
Ich muss stark sein.
Ich schließe kurzerhand meine Augen, und das erste, was ich sehe, ist meine Familie.
Die Kinder.
Sie sitzen zuhause vor dem Fernseher, und blicken erwartungsvoll auf mich.
Auf ihre Mutter, an deren Lippen nun ganz Panem hängt.
Was müssen sie jetzt hören, um nicht die Hoffnung zu verlieren?

Ich öffne wieder die Augen, dann seufze ich.
Und schließlich schaffe ich es, das Wort zu erheben.
Etwas in mir spricht.
„Wenn Jinia mich jetzt hier sitzen sehen würde, wäre sie stolz. Sie wäre so stolz, dass können Sie sich alle kaum vorstellen."
Ich merke, wie ich den letzten Satz beinahe verächtlich zische.
Doch ich darf das.
„Und ich weiß auch, dass Jinia mich sieht. Dass sie uns alle sieht. Und ich kann glücklich sein, denn sie sieht ihre Mutter, die wieder aufgestanden ist. Die für sie kämpfen wird. Aber Sie? Können Sie wirklich glücklich und beruhigt sein? Was würde Jinia sagen, wenn sie Sie nun sehen würde? Ich glaube, dass wissen Sie alle ganz genau."
Damit beende ich meine Antwort und es ist totenstill im Saal.
Aber ich bereue nichts.
Ich habe die Leute anscheinend, wenn auch auf eine seltsame Weise, kurz zum Nachdenken gebracht. Wie es Finnick gesagt hat.
Vielleicht ist es doch garnicht so uninteressant.

Caesar durchbricht die Stille.
„Interessante Ansicht! Nun, dann würde ich als Nächstes gerne von dir wissen, hast du denn schon eine Strategie für den morgigen Tag und für hoffentlich auch die Tage danach? Möchtest du gleich handeln wie in den 51. Spielen?"
Die Frage wurde auch schon anderen vor mir gestellt.
Ich bin selbst überrascht, wie leicht es mir fällt, zu antworten.
„Nun, ich denke, ich bin entschlossener. Ich weiß genau, was ich will. Das werde ich Ihnen noch nicht verraten. Aber es wird Sie überraschen, dass verspreche ich. Ich denke, ich werde wohl ziemlich unterschätzt, so als die Mutter, die ihr Kind verloren hat."
Ich blicke von jetzt an ins Publikum.
„Aber ich versichere Ihnen, genau das ist meine Waffe. Ich habe mein Kind verloren. In den Spielen. Jinia hat gelebt. Sie hat gelebt. Genau wie Sie alle. Und dann wurde Ihr Leben genommen. Ich glaube, kein einziger unter Ihnen kann sich vorstellen, wie das ist. Und genau deshalb werde ich unterschätzt. Doch das ist meine Waffe."
Bitter lasse ich meine Blicke über die Gesichter im Publikum schweifen.
Lauter Jubel und Applaus ist zu hören.
Sie scheinen alle irgendwie...gerührt.
Ich sehe sogar eine Frau, die sich mit ihrem teuer aussehenden Taschentuch flüchtig eine Träne von der Wange wischt.
Habe ich die Kapitolbewohner tatsächlich berührt und ... erreicht mit meinen Worten?
Ich weiß nicht, ob ich es glauben soll.
Vielleicht spielen sie sich ihre Emotionen auch nur selbst vor, um sich mehr zu unterhalten.
Oder aber ich habe wirklich ihr Herz berührt.

Tribute von Panem | Stürmische SeeWhere stories live. Discover now