𝓚𝓪𝓹𝓲𝓽𝓮𝓵 29

52 16 6
                                    

Emma erschrak sich, als sie Eis essend und mit einer Liebesschnulze im TV schauend unterbrochen wurde, nachdem jemand bei ihr an der Haustüre anhand der Klingel um Einlass gebeten hatte.

Wer störte, wenn sie doch jetzt in Selbstmitleid baden wollte?

Sie deckte sich auf und stellte das Schokoladenfudge-Eis auf den Tisch und schlurfte zur Türe.

Hatte sie vielleicht Essen bestellt und es vergessen?

Besuch erwartete sie zumindest keinen.

Sie öffnete den Eingang in ihr Domizil und schloss sie auch direkt wieder, als sie diese süßen blauen Augen mit dem dazugehörigen Lockenkopf sah.

Was wollte er hier?

»Emma?« Dag klopfte. »Lass mich bitte rein. Ich ... ich muss mit dir reden.«

»Ich verzichte.« , rief sie zurück und merkte, wie ihr ganzer Körper zitterte. Immer noch so fremd und doch ... »Bitte geh'.«

»Nein. Ich will mit dir reden.«

»Ich aber nicht mit dir.«

»Ich weiß, das ich in deinen Augen vielleicht ein Arsch bin, aber ... bitte lass' es mich erklären.« , sagte er und hatte immer noch keine Ahnung, welche Erklärung er genau abliefern sollte.

Die Türe öffnete sich nicht. Emma sprach auch nicht mehr.

Dag klopfte erneut und betätigte ebenfalls die Klingel noch einmal. Einfach nur, um auf sich aufmerksam zu machen.

Die Haustüre ging nun auf. Jedoch nicht die Gewünschte. Es war jene, schräg gegenüber und eine ältere Frau mit langen weißen Haaren und länglichem Gesicht blickte ihn an, als wäre er ein Schreckgespenst. »Sagen Sie mal. Haben Sie mal auf die Uhr geschaut?«

»Es tut mir leid.« Er schaute auf die Uhrzeit in seinem Handy. So spät war es nicht einmal. »Ich wollte zu Frau ...« Ihm fiel just in dem Moment ein, das er sich ihren Nachnamen bisher nicht mal gemerkt hatte. »...Ja-bi-lonsky.« , sagte er, nachdem er diesen vom Schild abgelesen hatte.

»Na ja, die scheint ja wohl mal wieder unterwegs zu sein. Ich habe ihre Nummer, wenn Sie wollen ...«

»Ich hab' selber ihre Nummer. Danke.« Er klopfte erneut ... und die alte Dame tippte mit ihrem viel zu spitzen Fingernagel auf seinen Rücken ein.

»Also jetzt müssen Sie aber mal leis' sein. Wenn sie nicht da ist, empfehle ich Ihnen ...«

»Sie ist da.« Er klopfte erneut und spürte auch direkt wieder ihren Nagel. »Würden Sie das bitte unterlassen.«

»Also wenn Sie weiter hier die Ruhe stören, bleibt mir nichts anderes übrig, als ...«

Emmas Türe öffnete sich und sie zog Dag hinein. »Keine Sorge Frau Oberboersch. Sie belästigt keiner mehr.« Mit einem Knall schloss sie ihren Eingang. »Du hast ein paar Sekunden und dann gehst du wieder.« , sagte sie mit strengem Ton zu Dag.

»Es ... es tut mir leid.«

»War's das?«

»Nein. Ich ... bitte Emma. Ich ... ich wollt' nich' geh'n. Und ...«

»Trotzdem hast du es getan. Mich dumm sitzen lassen, und melden war ja auch nicht drin. Danke Dag. Ich kann gut zwischen den Zeilen lesen. Wir sind erwachsene Menschen. Du hättest mir auch direkt sagen können, was ich für dich bin, als wie ein pubertierender Sechzehnjähriger mich zu ghosten, und ...«

»Ich hab' das nicht mit ... Emma, du bist mir wichtig. Wirklich. Das sollte für mich nicht nur Sex sein. Ich ... ich wollt' eigentlich den Tag mit dir im Bett verbringen.« Sie sah ihn mit einem vielsagenden Blick an. »Nein. Nein. Nicht so, wie du jetzt meinst. Ich ... ich wollt deinen Körper spüren ... deine Nähe. Einfach alles. Es hätt' nicht mal Sex sein müssen. Ich wollt' bei dir sein. Ich ... ich will bei dir sein.«

»Und warum bist du so plötzlich ...?«

»Weil ich Angst hatte.« Das war keine Lüge. »Ich hatte Angst.« , wiederholte er.

»Angst?« Emmas Mimik veränderte sich. Sie hatte augenblicklich Mitleid mit ihm, da sie diesen Schmerz in seinen Augen wahrnehmen konnte.

»Das ... Frühstück.« , begann er und überlegte, wie er ihr nur einen Teil erzählen konnte. »Ich ... meine Vergangenheit ... damals ist etwas gescheh'n, und ... für einen Augenblick hat mich das an etwas ...«

Emma sah ihn weiter an. Etwas Schlimmes muss zu jener Zeit geschehen sein, das glaubte sie ihm sofort. Die Tränen in seinen Augen, seine zittrige Stimme. Vielleicht ... womöglich stammte er ja aus einem gewalttätigen Elternhaus? Vielleicht hatte seine Mutter so ein Frühstück gezaubert, ehe das große Donnerwetter ausbrach? Sie wusste nicht genau was und wollte auch nicht zu sehr in seiner Wunde herumstochern, aber ... sie glaubte ihm. Sie hatte tagtäglich mit Menschen zu tun, die ein Trauma durchlebt hatten.

Dag gehörte definitiv auch dazu. In welchen genauen Tatsachen darüber hatte sie momentan keinen Einblick, aber ... was immer es war, er war gezeichnet.

»Willst du ... hierbleiben? Mit mir einen Film gucken?« , fragte sie ihn und nahm seine Hand.

Dag nickte. »Ja ich würd' liebend gerne hier bei dir bleiben.« Er folgte Emma auf die Couch.

»Möchtest du ... auch ein Eis oder so?«

Er schüttelte nun den Kopf. »Nein. Danke. Ich ... mir reicht, hier bei dir zu sein.«

Sie lächelte ihn an und deckte sich zu, ehe sie ihn wie gehabt ansah und sich entschied, ihn ebenfalls mit unter die Decke zu lassen. »Wenn irgendwas ist, dir irgendwas zu viel wird, dann ... sag' mir das okay?!«

»Ja.« Er nickte zum wiederholten Male. »Emma?«

»Ja?«

»Ich ... könnten wir ... näher ... zusammensitzen?«

Er saß schon Recht nahe, aber Emma verstand, was er genau meinte. »Komm her.« Sie positionierte sich ein wenig zurück und hob ihre Arme an. Dag legte sich halb auf sie drauf und genoss augenblicklich dieses gute Gefühl. Sie war nicht sauer, hatte ihm verziehen und streichelte nun leicht über seinen Rücken.

Dag hingegen spürte die beruhigende Wirkung, während er ihrem Herzschlag lauschte.

Ich sitz' immer noch hier, und schreib' dir diese Zeil'n (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt