Say something dangerous, like 'I love you'

Stefan

31.12.2023 Garmisch-Partenkirchen

Er kannte dieses Gefühl: Das Warten auf den richtigen Moment, der stetig ansteigende Adrenalinpegel, der das Beben in seiner Brust, das Rauschen in seinen Ohren beinahe unerträglich machte. Jede Faser seines Körpers in Bereitschaft. Zerrissen, zwischen dem Drang endlich loszulassen, sich hinabzustürzen, sich mit aller Macht herauszukatapultieren, und dem Wissen, dass er warten musste. Auf den richtigen Augenblick, bis die Fahne, die er stoisch anstarrte, sich endlich senkte und er loslassen konnte.

Die unglaubliche Leichtigkeit des Seins. Die Welt unter seinen Füßen und hinter seinem Rücken das unendliche All. So fühlte es sich an, bis seine Skier den Boden berührten. Dieser kurze Augenblick, das Schweben durch die Luft, der Moment, des Triumphs im Auslauf, wenn er die grüne Linie weit hinter sich gelassen hatte. Es war wie ein Rausch. Einmal erlebt, hatte er noch jeden in seine Abhängigkeit gezogen.

Und er liebte das, dachte Stefan, die Hände zu Fäusten geballt, auf dem großen Doppelbett im Hotelzimmer liegend, in dem er mit Michael für den Wettkampf in Garmisch-Partenkirchen untergebracht war. Lediglich das schwache Licht des stumm geschalteten Fernsehers flimmerte durch das Zimmer, während im Hintergrund das Rauschen der Dusche zu hören war. Er hatte es schon so oft erlebt, das Gefühl des Jagens, des aufholen Müssens, aber selten hatte sich diese Situation so unumkehrbar entschieden angefühlt wie heute.

Missmutig starrte er auf sein Handy, dass immer noch keine neuen Nachrichten anzeigte, bevor er seinen Blick wieder auf den Fernseher richtete und seinem Fernseher-Ich dabei zu sah, wie es im Aufwärmraum in die Kamera lächelte. Wie von selbst war er beim Zappen durch die Kanäle bei der Wiederholung der Qualifikation des heutigen Springens hängen geblieben.

"Und jetzt nach Garmisch?" -

"Ja. ... Wir werden sehen. Vielleicht ist es ja sehr stürmisch und regnerisch und es wird keinen Wettkampf geben."

Das hatte er den neugierigen Reportern in Oberstdorf noch voller Hoffnung verkündet. Voller Hoffnung, dass dies das Jahr der Jahre war. Das Jahr, in dem er es endlich schaffte, den Rhythmus der Schanze zu knacken. Stattdessen war es bisher genau andersherum gelaufen. Wahrscheinlich hätte er auf Holz klopfen sollen, dann würde er jetzt vielleicht nicht mit dem Rücken an der holz vertäfelten Wand auf seinem Hotelbett liegen und mit seiner Faust ein Metronom imitieren.

320 Treppenstufen. 320 fucking Stufen Zeit, um die Schanze zu verfluchen, die im Zentrum des Sommerpanoramas stand, das an der gegenüberliegenden Wand hing und seinen Blick immer wieder magisch anzog. Die Zeit rannte ihnen davon. Er konnte es einfach nicht fassen, dass zu seinem Pech auch noch Unglück hinzugekommen war. Anders konnte er sich die falsch gefräste Anlaufspur, die ihre Skier durch die veränderte Rillenführung stark verlangsamten, und den kaputten Aufzug wirklich nicht erklären.

Seufzend richtete er seinen Blick zurück auf den Fernseher und studierte den Sprung von Anže. Er fragte sich, seit wann es so schwer war, diese Tournee zu gewinnen. Bei seinem Sieg vor neun Jahren war es ihm einfacher vorgekommen, vielleicht, weil er zu diesem Zeitpunkt selbst nicht ganz daran hatte glauben können. Damals war es wie ein Traum gewesen. Heute wusste er, dass es Realität werden konnte. Und vielleicht war es gerade dieses Wissen, dieser Ehrgeiz, der ihn lähmte, dachte er, als die Badezimmertür sich öffnete und Michi herauskam.

"Das wird dich kein Stück weiterbringen", verkündete sein bester Freund nach einem kurzen Moment des Schweigens, während er das Licht anmachte und quer durch das Zimmer lief, um seine schmutzigen Trainingssachen sorgfältig in seiner Tasche zu verstauen.

"Ich weiß, aber schau es dir an: Wie leicht es aussieht, wie er allen davonfliegt", erwiderte Stefan kopfschüttelnd, empört auf den Bildschirm zeigend, auf dem Andreas Wellinger ihm mal eben gute weitere 8 Punkte abknüpfen würde, wäre es nicht die Qualifikation. "Es macht mich wahnsinnig! Es ist, als hätte sich diese Schanze, seit ich sie das erste Mal betreten habe, gegen mich verschworen und ich verstehe es nicht!"