Kapitel 1 - Die Hölle

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„Hast du das Drehbuch gelesen?", fragte Nicholas, der Regisseur. „Ja!", sagte Louis, denn schließlich hatte er ganze zehn Seiten des viel zu dicken Drehbuchs überflogen. „Was sagst du?", fragte er weiter. Louis nickte begeistert, hoffte, keine weiteren Fragen gestellt zu bekommen. Eigentlich wollte er das Drehbuch schon lange gelesen haben, aber er hat die letzten Wochen lieber damit verbracht, seine eigenen Rekorde bei FIFA zu brechen. Erfolgreich.

Ihm wurden keine weiteren Fragen gestellt. Stattdessen wurde er herumgeführt, bis sie in einer spärlich eingerichteten Wohnung ankamen. „Herzlich Willkommen in deiner Wohnung", sagte Nicholas. „Du musst Louis sein?", fragte eine kleine Blondine, die es sich bereits auf der Couch seiner vorübergehenden Wohnung gemütlich gemacht zu haben schien. „Hey, ja. Fühl dich wie zu Hause", sagte er. „Genau genommen bin ich zu Hause", sagte sie, stand auf und lief auf Louis zu, um ihm ihre Hand zu reichen. „Emily Collins", stellte sie sich vor. Louis war verwirrt. Wieso war sie zuhause, drehte sich der Film doch um die Liebe zwischen zwei Männern. Er wollte nachfragen, doch hätten dann alle anwesenden Personen gewusst, dass er das Drehbuch nie gelesen hat.

„Am Besten lernt ihr euch kurz kennen. Ich bin gleich wieder zurück", verabschiedete sich Nicholas und ließ die freundliche Blondine und den verwirrten Wuschelkopf zurück. „Du hast das Drehbuch also nicht gelesen?", fragte Emily grinsend, als Nicholas außer Hörweite zu sein schien. „Doch. Aber nur die ersten zehn Seiten", gab Louis ebenso grinsend zu. Emily begann zu lachen. „Die Kurzfassung: Wir sind liiert. Du verliebst dich in einen Mann. Ihr habt eine Affäre. Niemand weiß es. Irgendwann sind alle gegen euch. Irgendwann nicht mehr. Happy End", sagte sie. „Warum hätte das Drehbuch nicht auch einfach so kurz sein können, dann hätte ich bestimmt wenigstens die Hälfte gelesen", sagte Louis. Er war sich sicher, er würde Emily mögen. Seine letzte Schauspielkollegin war furchtbar. Er hätte ihr während den Filmküssen am liebsten in ihren Mund gebrochen. Umso mehr freute Louis sich über Emily.

Louis sah sich in der Wohnung um. „Was darf ich dir kochen, Liebling? Plastitk - Nudeln oder Plastik - Ofengemüse?", fragte er Emily, die ihm während des Rundgangs folgte. „Du weißt genau, was mir gefällt, aber ein Plastik - Obstsalat würde mir reichen. Ich bin noch satt von dem Plastik - Hähnchen", sagte sie. Sie befanden sich offensichtlich auf einer Wellenlänge. „Hast du deine künftige Affäre schon kennengelernt?", fragte sie, woraufhin Louis nur den Kopf schüttelte. Als er vor einigen Wochen einen Blick auf die Besetzung geworfen hat, war die zweite Hauptrolle noch nicht besetzt. Er beschloss, sich überraschen zu lassen.

Als Richard zurückkam, stellte er Emily und Louis den Drehplan vor. Louis Gedanken schweiften ab, das taten sie häufig. Eigentlich würde er sich in diesem Moment im wohlverdienten Urlaub mit seinem Freund Michael befinden, doch sein Agent hatte ihn ohne vorherige Absprache zu diesem Dreh angemeldet, weshalb der Urlaub ins Wasser fiel. Die Beziehung von Louis und Michael begann daraufhin zu kriseln, da es bereits der zweite Urlaub in Folge war, der spontan ausfiel. Louis hat sich vorgenommen, Michael nach Paris einzuladen, sobald der Dreh abgeschlossen war. Wer könnte ihm dann noch böse sein.

„Harry ist auch gerade angekommen, ich nehm ihn kurz in Empfang", sagte Richard und verließ das Filmset. Harry. Die Nennung dieses Namen riss Louis aus seinen Gedanken. „Harry?", fragte er Emily. „Harry Styles. Du kennst ihn doch sicher?", frage sie ihn im Gegenzug. Ja, Louis kannte Harry. Er kannte ihn sogar ziemlich gut. Zu gut. Und wenn Louis die Zeit zurückdrehen könnte, würde er es ohne zu zögern tun. Dann hätte er Harry niemals kennengelernt. Niemals hätte man sein kleines Herz in 1.000 Teile gebrochen.

Mehrere wütende Nachrichten an seinen Agent später, wovon der Inhalt von Beleidigungen bis Morddrohungen reichten, erblickte Louis Harry. Er sah noch immer so gut aus, wie auf den Bildern, die Louis täglich auf Instagram sah. Natürlich nur durch Zufall, er hatte nie gezielt danach gesucht. Vermutlich hatte Instagram einfach Louis' Gedanken gelesen. Dabei dachte er nicht an Harry. Zumindest nicht oft, nur zehn bis zwanzig mal täglich. An schlechten Tagen dachte er öfter an ihn. Aber er hat sich noch nie beim Sex mit seinem Freund vorgestellt, es könnte Harry sein. Na gut, einmal. Maximal zweimal. Aber er würde auf keinen Fall sagen, dass der Sex dadurch besser war, auch wenn er das Gefühl hatte.

„Schön, dass die Personifizierung des Bösen es einrichten konnte", begrüßte Louis Harry, würdigte ihn dabei keines Blickes. Vielmehr sah er auf seine lächerliche Bekleidung. Ein Hemd voller Blumen, das zur Hälfte aufgeknöpft war. Harry war früher Louis' Blume, dachte er für einen kurzen Moment, bevor er Harry einen bösen Blick zuwarf. „Hi Louis, schön, dass du da bist", sagte er, ignorierte den wütenden Blick vollkommen und schloss Louis in die Arme. Louis wollte das nicht, er erwiderte die Umarmung nur aus Höflichkeit. Nur aus Höflichkeit nahm er einen tiefen Atemzug und sog den Geruch auf, der wie eine Mischung aus Blumen und Obst roch.

Als sie sich lösten, sah Louis zu Emily, da sie ihm die liebste Person in diesem Umfeld war. „Hi Harry, freut mich dich kennenzulernen", sagte sie. Louis hasste Emily für ihre Freundlichkeit. Harry verdiente es nicht, dass man freundlich zu ihm war. „Gut siehst du aus", sagte Harry in Louis' Richtung, nachdem er Emily begrüßt hatte. „Du nicht", log Louis, denn natürlich sah Harry fantastisch aus. „Wie geht es deinem großen, grünäugigen Freund mit braunen Locken?", fragte Harry mit einem vielsagenden Lächeln. „Stalker", erwiderte Louis. Unter Umständen könnte es möglich sein, dass Michael Harry ähnelte. Das war natürlich keine Absicht von Louis, vielmehr hat es sich ergeben. Er war schon lange über Harry hinweg.

Es war nicht das erste Wiedersehen der beiden. Kürzlich sahen sie sich bei einer Preisverleihung, bei der sie sich jedoch nicht unterhielten. Sie liefen sich nur einmal über den Weg, was eventuell an Louis' erfolgreichen Versuchen lag, Harry aus dem Weg zu gehen. Er wollte Harry nicht sehen. Er wollte nicht mit Harry in einem Film spielen. Und auf absolut überhaupt gar keinen Fall wollte er Harry vor der Kamera küssen. Aber Louis war professionell. Er war nicht ohne Grund einer der gefragtesten Schauspieler der heutigen Zeit.

Die drei Schauspieler saßen an einem runden Tisch und lauschten Nicholas. Louis ertappte sich immer wieder dabei, wie er versehentlich zu Harry sah. Er konnte es nicht vermeiden, denn er saß genau in seinem Blickwinkel. Als sich das Hemd von Harry etwas weiter öffnete, verdrehte Louis genervt die Augen. „Ist irgendwas?", fragte Harry ihn mit einem äußerst provokanten Grinsen. „Man kann von hier aus bis zu deinem Bauchnabel sehen", stellte Emily fest und musterte den perfekt definierten Körper von Harry. „Das scheint Louis ebenfalls aufgefallen zu sein", merkte er an. Louis war sich in diesem Moment sicher, dass er sich in der Hölle befand.

Nach Abschluss der Einweisung, hatten die drei Schauspieler den restlichen Nachmittag frei, bis am nächsten Tag der Dreh starten würde. „Gehen wir noch was trinken?", fragte Emily. „Super Idee", sagte Louis. „Sehr gern", schloss sich Harry an. „Ich hab keine Zeit", entschloss sich Louis sogleich, nachdem er Harry's Zusage hörte. „Ich spüre negative Spannung zwischen euch. Was ist da los?", fragte Emily irritiert, doch Louis winkte nur ab. „Wusstest du, dass Louis und ich uns seit der Schulzeit kennen?", fragte Harry sie, was Louis nur noch genervter werden ließ. Emily sah begeistert zu Harry, hoffte darauf, die ganze Geschichte zu hören. „Wir haben uns im Theaterkurs kennengelernt", fuhr er fort.

„Gut, euch einen schönen Abend. Ich geh jetzt schlafen", verabschiedete sich Louis. „Es ist 16:00 Uhr?", fragte Emily. „Jetlag", versuchte Louis sich rauszureden. „Du wohnst doch nur zwei Stunden entfernt?", fragte nun auch Harry. „Klugscheißer kann niemand leiden. Tschüss", sagte Louis und lief schnurstracks ins Hotel und wählte die Nummer seines besten Freundes. „Zayn, ich bin in der Hölle", sagte er zur Begrüßung. „Warum so theatralisch?", fragte er nach. „Harry ist mein Partner im neuen Film", sagte Louis. „Styles?", fragte er. „Wie viele Harry's, die mir das Herz gebrochen haben, kennst du denn?", fragte Louis genervt. „Zwei. Styles und den Harry, den du nur gedatet hast, weil er so einen schönen Vornamen hatte", sagte Zayn.

Louis bekam allmählich das Gefühl, doch nicht ganz drüber hinweg zu sein. Er wollte es sein, aber das Aufeinandertreffen mit Harry hat die alten Wunden unter Umständen wieder ein bisschen aufgerissen. Louis öffnete Harry's Profil auf Instagram und seufzte bei dem perfekten Anblick, der sich ihm bot. Er sah im Laufe des Abends noch zwei weitere Male auf sein Profil. Wie bei Bloody Mary, erhielt er eine Nachricht, gerade als er das dritte Mal auf seinem Profil war und jedes Einzelne der 1.716 Bilder angeschaut hatte.

Harry hatte ihm geschrieben.

„Können wir uns unterhalten? Zimmer 257."

Love On Screen | L.S.Where stories live. Discover now