53 • Xavian

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"Die Montgomerys wollen den Gendarmen keine Waffen mehr zur Verfügung stellen, die Davis' haben ihre Lieferungen schon gestoppt und sämtlichen Offizieren stinkt es nun auch gehörig." Ich knalle die Kopie einer Akte auf den Tisch. "Vielleicht solltest du den Einsatz der Armee noch einmal gründlich überdenken."

"Was ist das?"
Mein Vater beugt sich vor, um einen Blick auf das Papier zu erhaschen.
"Das ist, was nun auch in der Main Town seine Runden macht. Du kannst dir vorstellen, dass die Gesellschaft wenig begeistert davon ist, von Mördern angeführt zu werden." Ungefragt lasse ich mich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder, greife nach seinem Weinglas und leere es vor seinen voller Entsetzen weit geöffneten Augen. "Also? Soll die Armee gleich ganz Snow Creek umwälzen?"

Mein Vater reibt sich mit dem Zeigefinger über die Stirn. Es ist das erste Mal, dass ich ihn dabei erwische, wie er auf den ersten Moment keine Lösung parat hat und sich dem Stechen stellen muss, das auch mich immer bei Druck plagt.
"Warum wird so viel Drama um etwas gemacht, was acht Jahre zurückliegt?"
"Vielleicht weil es sich um Mord handelt?"

Provozierend überschlage ich meine Beine auf dem Tisch und lehne mich genüsslich auf dem Stuhl zurück. Kaum betritt meine Mutter den Raum, wird ihr Gesicht noch bleicher, als es ohnehin ist.
"Was ist denn hier los?"

Mit ihren Blicken versucht sie, meine Beine vom Tisch zu taxieren, doch ich rege mich kein Stück. Mein Vater hat gerade völlig neue Probleme bekommen, dabei weiß er noch nicht einmal, dass ich eigenhändig den richtigen Hahn im Wasserwerk aufgedreht habe und danach sämtliche Spuren meiner Anwesenheit aus den Köpfen der Arbeiter vor Ort ausradierte, um der Sub Town sauberes Wasser zu garantieren. Mich für mein Verhalten abzustrafen, muss wohl auf morgen verschoben werden. Mein Oberkörper freut sich.

Es genügt, dass meine Brust bei dem Gedanken an Ciana völlig taub wird. Ich habe sie manipuliert. Ihr die Wahl genommen. Aber ich musste. Wenn die Armee nicht morgen einrollt, dann übermorgen. Sollte mein Vorhaben scheitern, sind die Sub Town und alle, die sich dort aufhalten Geschichte. Auch wenn ich zunächst enttäuscht war, dass Naomi es nicht geschafft hatte, alle Akten aus dem Lager zu schaffen, war ich letztendlich doch froh darum - sonst wäre ich nicht in der Firma meines Vaters gewesen und Ciana möglicherweise in ganz andere Hände geraten.

Anstatt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie ich noch vor ihm über die aufgewühlte Gesellschaft Bescheid weiß, tigert mein Vater wieder einmal auf und ab. Dass Naomi und ich von Anfang an unsere Finger im Spiel hatten und für die Vervielfältigung der Akten verantwortlich sind, wird er nicht erfahren. Es interessiert ihn gar nicht erst. Jetzt geht es primär darum, den Fehler zu beheben und alles wieder seinen Ansprüchen gerecht zu ordnen. Mal schauen, ob er dieses Mal mehr Einsicht zeigt.

"Wir reden hier nicht nur von der Sub Town", betone ich und schenke mir Wein nach. Zu meinem Glück können Blicke nicht töten - zumindest, solange der Wille uneingenommen bleibt. "Deine Geschäftspartner, unsere Nachbarn und Freunde sind verärgert. Aus gutem Grund."

Dass es ihnen dabei nicht um die nahende Gefahr der Armee oder tausende Leichen, sondern um die eigene Macht geht, muss ich nicht ausführen. Alles Mitleid und Sorge ist nichts als Heuchlerei, die nur darauf wartet, in ein gefährliches Bündnis umzuschlagen, das die Dawsons und uns um unsere Position und Besitztümer bringen will - natürlich. Egoismus und Gier sind in Snow Creek führend. Was mit den Menschen im südlichen Stadtteil geschieht, ist zweitrangig, solange sie ihren Profit daraus ziehen können.

"Wir haben nur Forschung betrieben! Signifikante Forschung!" Mein Vater krallt sich das Papier, zerknüllt es und schleudert es, gefolgt von der Weinflasche, in die nächstbeste Ecke. Ich zucke zusammen. Stände er nicht ohne jeglichen Plan da, hätten mich nun seine Fäuste getroffen. "Es war doch nur ein Test!"
"Der ausartete."
"Das war vor acht Jahren!"
"Die Menschen wollen dennoch eine Entschuldigung." Ich neige das Glas und schwenke den Wein merklich unbekümmert im Kreis. "Und vielleicht eine kleine Entschädigung."

Mein Vater schnellt zu mir herum. "Ich werde nicht mit dem Pöbel verhandeln!"
"Willst du die Proteste verstummen lassen, wirst du wohl keine andere Möglichkeit finden. Wenn die Menschen dort zufrieden sind, hast du einen immensen Rückhalt, um auch die Gesellschaft wieder zurückzugewinnen. Wir können sie nun einmal nicht alle manipulieren. Genauso wenig können wir ganz Snow Creek ausradieren."
"Das könnte ich durchaus."

Kopfschüttelnd lasse ich das Glas sinken. "Die Armee richtet sich nicht gegen die Gesellschaft. Das sind teilweise deren Familien."
Mein Vater schnalzt unzufrieden mit der Zunge. Dass die Soldaten keine anderen Adler, womöglich die eigene Verwandtschaft darunter, niedermetzeln, ist ein ungeschriebenes Gesetz - sie werden nur gerufen, um das Proletariat unter Kontrolle zu bringen. Um die Main Town gewaltvoll wieder in den Griff zu bekommen, müsste er schon den General persönlich manipulieren. Ich bezweifele jedoch, dass dieser sich dem geschlagen geben würde - er ist nun einmal nicht grundlos einer der mächtigsten Männer des Landes. Da müssen selbst die Dawsons und wir mit unserer Abstammung passen.

"Angenommen, wir bieten ihnen eine Verhandlung an: worauf soll das hinauslaufen? Sie haben ihre Familienmitglieder verloren, wir unsere Arbeitskräfte. Damit sind wir quasi quitt."
"Du spinnst ja wohl", fauche ich und pfeffere das Glas in meiner Fassungslosigkeit auf den Tisch. Meine Mutter quiekt erschrocken, als es zu einem Haufen Scherben verkümmert. "Dass du ein wenig Einbußen hattest, lag ganz allein an dir! Dass sie trauern mussten, lag ebenfalls ganz allein an dir!"

"Eine kleine Entschädigung wäre doch eine gute Lösung, Liebling", wirft meine Mutter von der Seite ein.
"Nicht auch noch du!" Mahnend hebt er den Finger in meine Richtung. "Reicht schon, dass mir mein eigener Sohn vorschreibt, was ich zu tun habe."
"Ich will nur helfen", verteidige ich mich und hebe abwehrend die Hände, als hätte nicht ich erst die Wut der Gesellschaft auf uns gezogen. "Wenn du nicht bald auch von der Main Town überrannt werden willst, solltest du dich diplomatisch und kompromissbereit zeigen. Hast du die Sub Town unter Kontrolle, freut sich hoffentlich die Main Town auch wieder genug über den Frieden, dass sie dir die Morde verzeihen."

Ich bezweifele es stark, doch auf das Scheitern vertraue ich - der Sub Town zuerst einen Gewinn verschaffen und meinem Vater dabei zu sehen, wie ihm die Macht über Snow Creek aus den Händen gleitet. Es ist die einzige Option, die mein Vater hat, selbst wenn er den Erfolg ebenfalls anzweifelt. Das oder die Flucht aus der Stadt, aber er würde niemals das Handtuch werfen. Die Soldaten wird er nicht auf die Gesellschaft hetzen können und alle zu manipulieren grenzt an das Unmögliche. Aber wer weiß, vielleicht reizt ihn das nur noch mehr, als sich der Sub Town stellen zu müssen?

Kraftlos lässt er sich auf den Stuhl sinken und reibt sich erneut über die Stirn. "Gut. Wir machen ihnen das Angebot zu einer Verhandlung."
Seinem Ton nach setzt er insgeheim darauf, dass das Angebot ebenso ausgeschlagen wird wie die Hilfsgüter, die vor acht Jahren beantragt werden konnten und nicht ein einziges Mal abgerufen wurden. Nachdem ich selbst lange Zeit Geduld mit Ciana haben musste, um mir ihr Vertrauen zu sichern, wäre es keine Überraschung, wenn der Argwohn in der Sub Town überwiegt und niemand aufkreuzen wird.

"Ich werde dabei sein", lege ich fest und schwinge meine Beine vom Tisch. "Ohne Wenn und Aber."
Immerhin muss einer sichergehen, dass mein Vater es nicht genialerweise schafft, all seine Interessen durchzusetzen. Oder sich kurzerhand am Willen der Anderen vergreift, sollte es knifflig für ihn werden.

"Ich lasse dir vorsorglich ein paar Wachen vor die Tür stellen", ruft mir mein Vater hinterher, doch ich winke nur ab.
"Du brauchst sie dringender. Und so viele, die nach deinem Willen tanzen, hast du nicht mehr auf die Schnelle parat, nachdem du sie alle gnädigerweise der Gendarmerie zur Verfügung gestellt hast."

Darauf erwidert er nichts. Besser könnte er mir nicht deutlicher machen, dass sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zuzieht. Selbst wenn er die Sub Town halbwegs beruhigen kann und die Armee wieder zurückschickt, habe ich mit der Main Town einen Konflikt vom Zaun gebrochen, bei dem er für seinen Machtmissbrauch zahlen muss. Zumindest, wenn sie ein wenig gesunden Menschenverstand haben und sich nicht mit Frieden begnügen. Ich vertraue auf ihre Gier. Es ist mir völlig egal, wie sehr ihm das gegen den Strich geht. Bis dato hat er nichts eingebüßt als ein zerbrochenes Weinglas. Er wird erst noch erfahren, wie sich Schreie der Verzweiflung anhören, wenn man alles verliert.

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