2. Asker

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Müde blickte ich an die schwarze Decke und folgte mit den Augen den kunstvollen Verzierungen im Obsidian. Es war eine Gewohnheit, die ich mir über die Jahrhunderte angeeignet hatte, um wenigstens ein wenig vor der Realität zu fliehen. Gedankenverloren öffnete ich den Mund, atmete tief ein und blies eine Wolke aus schwarzem Rauch in die Luft. Sie nahm die Form eines Drachen an, der mit ausgebreiteten Schwingen nach vorn sauste. Ich griff in die Schüssel neben mir und nahm einige Weintrauben heraus, warf sie in die Höhe zu dem Drachen und sie verwandelten sich in eine Armee aus Rauch. Bewaffnet mit Schwertern versuchten sie, den riesigen Lindwurm zu erstechen. Ich nahm mir noch eine Traube und steckte sie in den Mund. Sie glitt meine Kehle hinab, ohne dass ich etwas schmeckte. Dies war eines der Dinge, die ich vermisste an meinem früheren Leben. Meinen Geschmackssinn, obwohl ich wusste das ich ihn verloren hatte, probierte ich es immer wieder aus, ebenso fragte ich mich wieder einmal, wie es sich angefühlt hatte, weder zu hungern noch zu dursten. Ich hatte es vergessen, denn beides plagte mich seit Jahrhunderten. Ich warf einen Apfel nach oben und ein Katapult stand auf der Seite der Magier. Ich zog die Mundwinkel nach oben, doch für ein Lächeln reichte es nicht. Ich war zwar zu solchen Spielereien fähig, seit ich unsterblich war, doch es war kein Trost, zu dem was ich verloren hatte. Ich blickte auf mein kleines Kunstwerk und beobachtete, wie der Drache einige Soldaten verspeiste. Er war mächtig, so mächtig wie ich es hatte sein wollen. Ich dachte an die Anfangszeit als Unsterblicher zurück. Die Macht, die meinen Körper durchströmt hatte, der Wille die Welt zu verändern. Was war daraus geworden? Keine Sekunde hatte ich mit dem Gedanken an Schmerz verschwändet, schließlich konnte ich ihn ja nie wieder spüren, doch auf den psychischen Schmerz, der auf mich eingedroschen hatte, war ich nicht vorbereitet gewesen. Immer noch sah ich die Menschen, die ich liebte, vor meinem inneren Auge sterben. Meine Freunde, getötet von Magiern. Meine Familie, dahin gerafft von Krankheiten. Die folgende Einsamkeit hatte jeden Funken, des einmal in mir lodernden Feuers erstickt. Nun fühlte ich nur noch die Leere, die nach den vergangenen Wunden geblieben war. Ich schob eine der langen schwarzen Haarsträhnen aus meinem Gesicht und löste vorsichtig ein einzelnes Haar heraus. Ich wickelte es um meinen Finger und sofort verwandelte es sich in eine weitere Armee Magier aus Rauch, doch diese hatten schneeweiße Rüstungen. 

"Das Licht im Dunkel", flüsterte ich und ließ sie über meine Hände, durch die Luft, bis hin zur Schlacht stürmen. Zuerst wirkte es, als würden sie ebenfalls gegen den Drachen kämpfen, doch sie versuchten ihn zu beruhigen und die Krieger aufzuhalten. Sie töteten nicht, sondern bemühten sich es auf anderem Wege zu beenden. Ein fataler Fehler. Gnadenlos wurden sie von den schwarzen Kriegern überrannt. So wie die Starken über die Schwachen siegten, egal wie Gut deren Wille war. Flüche waren nun einmal stärker als Gaben und selbst der Unbeteiligte wurde manchmal zum Opfer. Ich schluckte schwer, dieser Gedanke erinnerte mich an meinen Bruder, er war einer von ihnen gewesen. Einer Derjenigen, deren gute Absichten nicht über ihre Schwächen hatten siegen können. 

Die Szene flackerte, ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Kopf, doch ich schaffte es das Gebilde aufrecht zu erhalten. Frustration machte sich in mir breit, meine Magie schwand langsam, aber sicher. Das mir bereits diese simplen Tricks Probleme bereiteten, war erschreckend. Ich hasste diese Schwäche, hinterließ einen bitteren Geschmack in meinem Mund.

"Der Herr?", rief mich eine tiefe Stimme, sie hatte einen so unverkennbaren Klang, dass ich, ohne den Blick zu heben, erkannte wer da vor mir stand. Es war mein engster Vertrauter, der mir über die Jahrhunderte treu geblieben war, " Es gibt etwas, das sie sich vielleicht ansehen sollten" 

Gelangweilt sah ich auf, rückte die Maske meines kalten Selbst wieder auf ihren Platz zurück, es gab schon lange nichts mehr das ich "mir ansehen sollte", was nur ansatzweise meine Neugier weckte. Ich wollte schon ablehnen, doch Aeron blickte mich fordernd an, obwohl es Recht schwer war die Gesichtszüge eines Untoten zu lesen, meinte ich eine Spur von Besorgnis zu erkennen. Er war schon seit einer Ewigkeit tot und ebenso lange mein Vertrauter, doch solch ein Gesicht hatte er schon lange nicht mehr gezogen. Geduldig auf eine Antwort wartend, strich er sich eine der kurzen weißen Haarsträhnen aus der Stirn. 

"Was ist etwas?", hakte ich schließlich nach und löste die immer noch währende kleine Schlacht über unseren Köpfen mit einer Handbewegung auf. 

"Magie, Herr, dunkle Magie" 

Langsam erhob ich mich und strich meinen tintenschwarzen Frack glatt:" Zeig sie mir" 

Aeron salutierte, drehte sich um und schritt voraus. Ich folgte ihm geräuschlos über den blanken schwarzen Marmor Boden, in dem sich das Licht der Fackeln spiegelte. Wir durchquerten die riesige Halle stumm. Vor dem großen runden Fenster am Ende, blieb der Untote schließlich stehen. Er hob eine knöcherne Hand und legte die Fingerspitzen gegen das blaue Glas. Sofort würde es durchsichtig, sofort wurde es durchsichtig, Aerons Blick wurde konzentriert, als Bilder im Fenster erschienen, seine Augen nahmen ein dunkles Rot an, während die Szenen vorbeischossen. Plötzlich stoppte er abrupt. Nun war deutlich das Standbild eines jungen Mannes zu sehen, eine Untote hielt ihn im Würgegriff und er versuchte sich mit aller Kraft zu befreien. Doch das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit erregte, nein es war das violette Leuchten, welches von den Händen des Mannes ausging, was sich in meine Netzhaut einbrannte. Es züngelte wie Flammen und löste die Knochen der Frau in Asche auf. 

"Weiter" murmelte ich. 

Aeron bewegten die Finger und ich konnte zusehen, wie die Untote hinwegsprang, sich wieder auf den Magier stürzte und gleich darauf noch einmal verbrannt wurde. Aeron stoppte und wandte sich mit nun erwartungsvollem Gesichtsausdruck mir zu.

"Das ist in der Tat interessant", ich sprach langsam und bedacht, der Junge interessierte mich tatsächlich, "Warten wir ab, wie es sich entwickelt", ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, seit langem spürte ich wieder etwas wie Neugier. 

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Curses and Gifts [ONC 2024]Where stories live. Discover now