Kapitel 1

18 6 6
                                    

Ich spürte, wie der Wind an meinen Haaren zerrte und sie zerzauste.

Das Meer vor mir türmte sich unheilvoll auf und die Fischersboote zogen sich rasch an Land zurück.

Die Gischt schlug mir ins Gesicht, aber ich genoss dieses Gefühl, denn es kam von meinem Inneren. Den Sturm hatte ich eigenhändig herbeigerufen.

Eigentlich war es verboten in der Menschenwelt einfach so zu hexen, aber ich tat es einfach gerne.

Nicht um die Bewohner Floridas zu ärgern, sondern um meine Gedanken zu sortieren und meine Ängste und Wut herauszulassen. Ein kleiner Sturm kam da gerade recht.

Die Möwen ober meinem Kopf kreischten und ich schloss die Augen. All die Eindrücke des Windes und der See prasselten auf mich ein und gaben mir das Gefühl, sicher zu sein.

Vollendet öffnete ich nach einer Weile meine Augen.

Die dunklen Wolken am Himmel waren dabei zu platzen und ich ließ sie ihren Weg finden. Schon fiel der Regen wie aus Eimern vom Himmel herunter.

Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen. Jetzt konnte es erst richtig losgehen.

Mit einer kleinen Handbewegung schuf ich Blitze hervor, deren Donner krachend laut in meinen Ohren hallten. Zufrieden beobachtete ich das Schauspiel von meinen Felsen aus.

Die Kluft, in der ich mich befand, war gut versteckt so konnte ich ungestört meinen Kräften freien Lauf lassen. Dennoch musste ich immer auf der Hut sein und es nicht übertreiben.

Seufzend ließ ich meine Hände sinken und setzte mich auf die glatten Felsen.

Eine halbe Stunde später blitzen schon wieder die ersten Sonnenstrahlen durch die Gewitterwolken und erhellten die Küste in einer warmen Note.

Mein brünettes Haar war völlig verwüstet und ich versuchte es mit den Fingern durchzukämmen.

Schließlich stand ich auf und klopfte mir den Sand von den Klamotten und stieg nun hinunter auf den Strand.

Kurz blickte ich noch auf das Meer, was sich langsam wieder beruhigt hatte. Genau wie mein Kopf. Ich hatte meine Erinnerungen hervorgerufen und gemeinsam mit der See getrauert.

Jetzt ging es mir deutlich besser und ich fühlte ein reines Gefühl in meinem Herzen.

Florida war mein neues Zuhause und das war auch gut so. Hier konnte ich ein Leben als Mensch führen und meine Familie vergessen. Sie war für mich Geschichte und das musste ich endlich akzeptieren.

Plötzlich spürte ich ein Vibrieren in meiner rechten Hosentasche. Mein Handy. Mit zitternden Fingern las ich die SMS:

Hi, ich bin's!

Wollte fragen, ob wir uns morgen wieder beim Café sehen?

GLG Ran

Schmunzelnd tippte ich rasch meine Antwort ein:

Klar, gerne, ich bin morgen um zehn Uhr dort,

GLG Va

Ran war eine Teenagerin die ich gestern im Café nahe der Küste getroffen hatte. Sie war ein Stück kleiner als ich und hatte rabenschwarzes Haar.

Das Mädchen hatte mir sofort ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Ihre lustige, verrückte Art war besonders und wir hatten direkt Nummern ausgetauscht.

Ihr eigentlicher Name war Ranva, aber sie bestand darauf, dass man sie Ran nannte.

Mir hatte sie sofort den Spitznamen Va gegeben. Ich mochte diesen Menschen, auch wenn ich mich sonst nicht so gut mit Gleichaltrigen verstand. Teenagerin, vor allem weil ich es manchmal seltsam fand, welche verrückten Dinge Menschen in ihrem Alltag taten.

Vor einem Jahr hatte ich noch nicht einmal gewusst, was das Wort „Handy" überhaupt bedeutete. Mittlerweile benutzte ich es fast täglich. Lächelnd steckte ich das Gerät wieder zurück in die Hosentasche und wand mich dem Weg, der vom Strand wegführte, zu. Es war Zeit nach Hause zu gehen. Meine Füße führten mich wie automatisch an all den Eisdielen, Hotels und Restaurants vorbei, bis ich vor einem kleinen, hübschen Häuschen nahe der Küste stehen blieb. Die Farbe war cremeweiß, die Fenster und Türen waren mit pastellgelben Linien eingerahmt. Glücklich stieg ich die Treppen zur Haustüre hinauf. Einen Garten hatte mein Heim nicht, aber eine kleine Terrasse und die reichte mir vollkommen aus.

Ich konnte froh sein, mir überhaupt die Miete leisten zu können. Ein paar Wochen hatte ich in einer schäbigen Wohnung gewohnt und mithilfe eines Jobs in dem Café, in dem ich mich morgen mit Ran traf, konnte ich genug zusammenkratzen, um hier zu wohnen.

Das Café war wie ein guter Freund von mir geworden und an den Tagen, wo ich dort nicht arbeitete, war ich in meiner Freizeit gerne für einen Kuchen dort.

Als ich den Schlüssel herumdrehte und die Türe öffnete schlug mir sofort der Geruch von verbranntem in die Nase.

Oh nein!

Die Pizza die ich zu Mittag essen wollte! „Verdammt!", fluchte ich, als ich schnell aus meinen Sneakers schlüpfte und den Flur zur Küche entlangrannte.

Dunkler Qualm stieg mir entgegen, als ich das Backrohr öffnete.

Hustend schob ich die Thunfischpizza heraus und stellte fest, dass sie komplett schwarz war.

Eigentlich wollte ich heute einen entspannten Tag verbringen und nur schnell zum Strand gehen, was sich dann aber in mehr als einen kleinen Spaziergang entwickelt hatte und ich die Pizza ganz vergessen hatte.

Ächzend öffnete ich das Küchenfenster und ließ frische Luft herein. Der Rauch brannte mir in der Lunge und ich streckte das Gesicht aus dem Fenster. Nachdem ich schließlich die Pizza in den Mülleimer geworfen hatte, machte ich mir ein Schokoladenbrot.

Irgendetwas brauchte ich schließlich zu futtern.

Matt setzte ich mich an den Küchentisch und betrachtete das vergilbte Foto, das ich eingerahmt hatte. Nun hing es an der Wand über dem Esstisch.

Darauf war ein lächelnder Charly mit mir und meinen Eltern zu sehen. Das Haar meines Bruders war genau wie meins brünett und seine Augen ebenfalls grün.

Das Foto schossen wir an Charlys dreizehnten Geburtstag. Damals war ich selbst zehn.

Nun waren seit diesem Augenblick sieben Jahren vergangen.

Ich spürte, wie mir heiße Tränen in die Augen stiegen, die ich jedoch schnell wegwischte. Mir war nicht nach Weinen zumute und ich sah schnell wo anders hin.

Charlys Tod war noch nicht lange her, vielleicht neun Monate. Die Wunde in meinem Herzen war also noch frisch und ich versuchte Alles um wieder glücklich zu werden.

Letztendlich war ich zu dem Schluss gekommen, dass es besser wäre, aus meinem alten Dorf zu fliehen und ein ganz neues Leben zu beginnen. Hier in Florida wusste niemand, dass ich eine Hexe war und ich konnte ganz normal leben.

Vielleicht hatte ich sogar schon eine neue Freundin gefunden. Ranva war nett und offen, ich konnte mir gut vorstellen, dass ich und sie noch gute Freunde wurden.

Entschlossen aß ich mein Brot auf und gab dann den Teller in die Spüle.

Nachdem der stinkende Rauch fast vollständig verschwunden war, schloss ich das Fenster wieder und sah dann auf die große, hölzerne Wanduhr.

Kurz nach dreizehn Uhr.

Es blieb also noch genug Zeit für ein Eis in einer der Dielen am Strand. In meinem alten Dorf gab es so etwas wie Eis nicht und ich wurde, seit ich hier wohnte geradezu süchtig nach dem süßen, ungesunden Zeug.

Schnell zog ich mir frische Sachen an und schlüpfte wieder in meine Schuhe.

Mit einem Lächeln im Gesicht ging ich mit großen Schritten zur nächsten Eisdiele.

Mit dem Tüteneis in der Hand spazierte ich durch die Küstenstadt und bewunderte zum hundertsten Mal dieses wunderbare Küstenstädtchen.

Hier würde ich für den Rest meines Lebens als Mensch leben. Seit meine Familie tot war, war ich ein anderer Mensch geworden. Die alte Vaja war mit ihnen gestorben. Nun hieß es anpassen. Die Zeiten als Hexe waren für mich endgültig vorbei. 

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: May 09 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Witch of the NightWhere stories live. Discover now