Kapitel 4

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Früher habe ich immer ein Spiel gespielt und versucht etwas an mir zu finden was mich überraschte. Ich versuchte mein Bein höher zu halten, oder meinen Punkt bei den Pirouetten nicht zu verlieren. Und wenn ich es geschafft hatte mich selbst von mir zu überzeugen schenkte ich mir ein kleines Lächeln. Es war ein lahmer Versuch jemand anderes im Spiegel zu sehen als man selbst war und vielleicht – auch wenn diese nur klitzeklein war - gab es die Chance sich selbst zu verbessern und eine bessere Ballerina zu werden. Ich bin Tänzerin. Selbstkritisch zu sein und immer nach neuen Fehlern zu suchen ist unser oberstes Gebot. Denn nur wenn du deine Schwächen kennst kannst du sie versuchen zu vertuschen. Deshalb ist es umso schwerer etwas zu finden was uns gefällt. Früher war es einfacher mit mir selbst zufrieden zu sein und abends mit der Hoffnung einzuschlafen das ich morgen alles besser machen würde.

Daran dachte ich als ich morgens vor meinem Frühstück saß und nicht sehr beherzt darin herumstocherte. Meine Füße waren blau und grün und an meinen Zehen hatte ich große entzündete Blasen die von dem langen Tanzen in den Spitzenschuhen herführte. Nicht mal meine Mutter hatte mich vorbereiten können für die Proben im Ballett. Unser Regisseur war sehr anspruchsvoll und besaß langjährige Erfahrung mit ausgebildeten Profitänzern. Das wir Tanzstudenten es noch nicht richtig machen konnten, weil uns die Erfahrung fehlte war ihm klar, aber dennoch hatte er Anforderungen an denen einige andere wahrscheinlich zerbrachen.

Mittlerweile liefen die Proben seit 4 Wochen täglich. Dabei wechselten wir zwischen dem Tanztraining und den Stunden an denen wir das Skript durchnahmen um uns besser mit unserer Rolle zu identifizieren. Alle die an der Inszenierung mitwirkten waren alte Mitglieder der ansässigen Tanzschule und selbstverständlich riesige Ballettliebhaber. Jeder von uns kannte das Stück und den Inhalt, aber die einzelnen Personen zu verstehen und ihre Handlungen nachzuempfinden war viel schwerer als man vorneweg dachte. Ich spielte den weißen und selbstverständlich auch den schwarzen Schwan. Odile und Odette waren zwei der anspruchsvollsten Rollen des gesamten Balletts weshalb ich an den Wochenenden Einzelunterricht bekam um den weißen und den schwarzen Schwan vollends verstehen und später auch verkörpern zu können. Insgesamt fielen mir die Proben zum schwarzen Schwan leichter, weil ich mich in die liebevolle und herzliche Odile nicht reinversetzen konnte. Odiles Hass, dass sie einfach nicht das bekam was sie immer schon haben wollte egal wie sehr sie es sich wünschte, erinnerte mich manchmal an mich selbst.

Denn tanzen war fliegen wie ein Schwan redete ich mir immer wieder ein, wenn ich nach einer langen Probe die Ballettschuhe auszog und das Blut bereits roch.

Mittlerweile – und durch einige viele Extrastunden – beherrschten Daniel und ich unsere Schrittfolge beinahe lückenlos. In einigen Momenten waren unsere Bewegungen nicht vollends synchron, oder eine Arabesque zu niedrig als die andere, aber André sah wenn es geschah geschickt beiseite. Ich hoffte im Laufe der Proben würde die Liebe von Odette auf mich überschwappen und die innere Wut von Odile Besitz von mir ergreifen, aber bis jetzt fühlte ich mich in keinster Weise mit den beiden Hauptpersonen verbunden.

Das Gefühl fehlte, darum sah ich immer kalt auf der Bühne aus. Nach einer anstrengenden Probe wartete ich auf Mom vor ihrem Büro. Die Tür stand ein klein wenig offen und ich konnte André und meine Mutter an einem Schminktisch gelehnt sehen. Die Beide hatten die Stimmen erhoben. Zuerst verstand ich es nur schlecht, weil sich alle beide immer wieder ins Wort fielen bis Mom sagte: „Claire tanzt die Odile und die Odette! Ob du es willst oder nicht. Sie ist kein „Eisblock" wie du es so nett ausgedrückt hast. Sie braucht nur Zeit um die Personen zu verstehen und für sie zu fühlen. Ich bin das Theater und meine Tochter tanzt die Hauptrollen!". André antwortete ohne Umschweife: „Du weißt selbst das in ihr keinerlei Gefühle stecken. Alles was wir bis jetzt mit ihr versucht haben ist schief gegangen. Sie ist gefühlskalt. Und für Schwanensee brauchen wir ein Mädchen mit Herzblut und nicht ein Mädchen mit dem Willen die aller Beste zu sein!". Wie verrückt geworden packte sie ihre Tasche um die Schulter und bewegte sich ohne einen Gruß zur Tür. Hastig machte ich einige Schritte nach vorn und beobachtete völlig interessiert die Wand. Hinter mir fiel (etwas zu laut) die Tür ins Schloss. Elegant wandte ich mich um während Mom ihren Arm um mich legte und sagte: „Na los Claire. Machen wir los nach Haus.". „Gibt es Ärger mit André, Mom?". „Ach wo. Du kennst diese Regisseure. Nie zufrieden mit dem was sie haben. Lass ihn ruhig ein bisschen wettern.", beruhigte sie mich.

Traumfänger - Tanz deinen TraumWhere stories live. Discover now