✗ K a p i t e l E i n u n d z w a n z i g ✗

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„Wenigstens kannst mich nicht unterbrechen. Ach, genau, da fang ich an. Bei deiner Behinderung...". Ich bin erstaunt, dass ich, trotz meines eigenen Alkoholkonsums, die Fahne des anderen so deutlich wahrnehmen kann.
„Dein Bruder, Jack, er war bei uns dabei", beginnt er zu erzählen, während ich einfach nur versuche ihm zu folgen. "Das heißt, er war in unserem Kreis... Und nein, Sekte ist nicht der Begriff für uns! Wir bevorzugen Kreis, kapiert! Wir sind eben eine Gruppe, die für andere den Müll erledigt, wenn du verstehst was ich meine. Wir leben unter uns und...". Was, was, was?! Was faselt der Mann da?! Was für ein verdammter Kreis?! Jack war nie und nimmer bei so etwas Mitglied! Und warum schwitze ich so? Verdammt noch mal, warum ist es so heiß hier?! „Ach, das ist jetzt auch nicht so wichtig. Auf jeden Fall war dein Bruder bei uns und als er einen Auftrag nicht erledigte... Mussten wir ihn erledigen. Falls du zu dumm bist, um zu folgen, und das bist du sicherlich... Du warst sein Auftrag. Du solltest gar nicht existieren, es wurden einfach zu viele Fehler und Verrate begangen... Endlich werde ich, mit dir, die Vergangenheit los. So... Ich denke, dass reicht. Ich wünsch dir noch ein schönes Leben. In der Hölle!". Was für ein verdammter Auftrag?! Sein Lachen bricht meine Mauern, sodass ich wild um mich schlage. Er wird mich töten, kacke, er wird mich umbringen! Jasons Vater zieht mich auf die Beine und zerrt mich auf einen Stuhl in der Nähe. Mit einfachen Seilen und Klebeband fesselt er mich auf ihn. Aus der Küche sehe ich wie Rauchschwaden heraus kriechen. Ich schnaufe, als würde ich einen Marathon laufen und mein Herz pumpt, als würde es gleich zerspringen. Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen und ein bekanntes Piepsen breitet sich aus. Er will doch nicht etwa... Er will mich verbrennen?! Warum piepst der Rauchmelder nicht? Warum meldet keiner der Nachbarn den Rauch, der immer schneller auf mich zu kriecht. Nun sehe ich bereits Flammen in der Küche auflodern. Pure Verzweiflung erfasst meinen Körper und ich zittre wie schon lange nicht mehr. Nein! Das kann er doch nicht einfach so... Das darf er doch gar nicht! Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben! Ich fühle mich so ähnlich wie vor zehn Jahren, fast als wäre ich in der Zeit zurück versetzt worden. „Guten Tag", ist das letzte was ich höre, bevor ich in einen Hustenanfall ausbreche. Ich sehe die Flammen nun schon gefährlich nahe an der Türe lodern. Diesmal wird mir niemand helfen... Diesmal werde ich sterben. Na toll, wofür habe ich die ganzen Scherereien über mich ergehen lassen, nur um jetzt zu sterben?! Nicht mit mir! Trotz sengender Hitze, als wäre ich in der Sahara, ruckle ich an den Fesseln und dem Stuhl. Ein Ruck, noch einer und... ich falle. Mit einem dumpfen Aufprall lande ich auf den harten Boden und huste erst mal kräftig. Los, weiter!
Mit all meiner Kraft ziehe und zerre ich an den Fesseln, doch sie lassen sich nicht bewegen, weder die an meinen Armen, noch die an meinen Beinen... Tränen benetzen mein glühendes Gesicht und ich öffne meinen Mund aus altem Reflex. Ich möchte schreien, so laut das mich jemand hört! Das mich jemand rettet! Ich möchte das Vibrieren in meinen Stimmbändern spüren! Doch es passiert nichts, außer das sich noch mehr Tränen aus meinen Augen stehlen. Fast kotze ich, so sehr versuche ich zu schreien. Ich spüre, wie es immer wärmer wird. Ich höre förmlich die Flammen näher kommen, mich auslachend, weil ich zu schwach bin mich selbst zu retten. Ich spüre wie mich die Kräfte verlassen und ich beschließe aufzugeben. Ich sollte mich dafür Ohrfeigen, aber ich kann nicht mehr. Ich will das alles nicht mehr! Ich höre große Schläge, laustes Krachen...  Dann spüre ich Schmerzen wie ich sie noch nie gespürt habe! Ich versuche mich zu drehen, die Flammen zu ersticken, doch der Stuhl hindert mich daran... Man hat mir mal erzählt bevor man stirbt sieht man sein ganzes, bisheriges Leben vorbei ziehen... Aber das stimmt nicht. Ich sehe nur die Menschen die ich liebe... Mom, Dad, Oma, Opa, Jack, Harry... Und Jason...

*Harrys Sicht*

Ich glaube das alles nicht! Dave stellt nicht ernsthaft diesen Arschloch über mich?!
Mit schnellen, wütenden Schritten entferne ich mich von der braunen Haustüre, nachdem ich wohl Minuten lang verwirrt und verdutzt davor gestanden habe. Er hat mich tatsächlich rausgeschmissen! Wütend spucke ich auf den Boden. Dabei wollte ich ihm verdammt nochmal nur helfen! Ich wollte ihn schützen vor diesem... Vollidiot! Vor den Antworten, die ihn wieder herunter gezogen hätten. Dieses Arschloch nutzt Dave doch nur aus! Er wird ihn noch mehr kaputt machen, als mein Freund eh schon ist! Ich würde diesem Jason so gerne einfach in seine zugegebenermaßen hübsche Fresse schlagen! Er hätte es verdient... Wer macht schon so eine scheiß Fickwette mit einem Stummen?! Das ist mehr als anstandslos!
Und, wie ich so in meinen Gedanken über Jason herziehe, bemerke ich erst spät, dass ich in einem kleinen Park angekommen bin. Verzaubert von der Schönheit der Natur sehe ich mich staunend um. So einen schönen Park habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen! Auf meiner linken und rechten Seite befinden sich deckenhohe Hecken, aus welchen in regelmäßigen Abständen Holzbänke hervor ragen. Unter meinen Schuhsohlen knarzt der blau-grau-weiße Kies und hinter den grünen Hecken wechseln sich Blumen, Staturen aus Holz und Metall, Bäume und große Wiesen ab. Kaum jemand ist anwesend, ich sehe nur vereinzelte Grüppchen oder Paare auf einigen Plätzen sitzen. Kein Wunder, immerhin wird es langsam kälter! Als ich zwei Jungs auf einer ansonsten leeren Wiese sehe und den einen davon erkenne, laufe ich schnellen Schrittens durch eine Lücke der Hecke und auf die beiden zu. Mein Herz pumpt wie verrückt und meine Fäuste spannen sich an. Der innere Frieden und die Ruhe, die die Natur mir schenkte, ist wie weggeblasen. Ich will nur noch eins: Rache!
„Harry? Was machst du denn- Arg!". Ich lasse Jason nicht ausreden, sondern schlage sofort zu. Er hat es nicht anders gewollt! Gerade, als ich zu einem weiteren Schlag ansetzte, hält mich der andere Junge zurück. Wütend drehe ich mich zu diesem herum und schaue in dessen Augen. Äh? ... Wow...?! Wie? Verzweifelt versuche ich meine Gedanken zu ordnen und an etwas anderes zu denken, aber die braunen Augen des Jungen verpassen mir einen kompletten Black Out. Oh Gott, der ist ja... Nein, wunderschön beschreit ihn nicht mal ansatzweise! Seine Augen strahlen mir entgegen, als würden sie mir direkt in meine Seele sehen. Seine blonden Haare hängen ihm ein bisschen in die Augen, sodass ich einen kaum bändigendes Verlangen bekomme, es ihm aus seinem Gesicht zu streichen. Seine Nase ist süß und klein und seine Lippen sind einfach nur einladend! Ich hatte wirklich viele wunderschöne Liebhaber... Aber... So etwas?! Meine Güte, der liebe Gott sollte aufhören solche schöne Geschöpfe auf die Erde zu lassen... Was? Was, was, was? Was denk ich da nur für ein...
„... Weißt du! Äh? Hörst du mir eigentlich zu?", dringt plötzlich Jasons Stimme in mein Ohr. „Wie? Was?", meine ich, wende mich widerwillig von dem Blonden ab und schau in ein dunkles Gesicht. Jason scheint nicht wütend, ehr niedergeschlagen, traurig... „Harry, verdammt, wie geht's Dave?". Ich hätte gerne mein Gesicht gesehen... Ich war auf so ziemlich alles gefasst... Dass die beiden mich umbringen, mich verbrügeln... Aber, dass er mir so eine Frage stellt?!
„Äh... Naja, er hat mich rausgeschmissen", murmle ich und beobachte ihn dabei, wie er sich von mir wegdreht, seine rechte Hand in seine verstrubbelten Haare krallt und sich kurz im Kreis dreht. Vielleicht spielt er doch nicht alles? Vielleicht...
„Steve, wir reden später weiter, okay?", wendet er sich nun an den Blonden, hinter mir, und, als dieser sich umdreht und wegläuft, schaue ich ihm mit unterschiedlichen Gefühlen hinterher. Seufzend drehe ich mich wieder zu Jason, nur um festzustellen, dass dieser sich ebenso in Bewegung gesetzt hat. Ich drehe mich verwirrt im Kreis und schaue mich um.
Wie geht das? Beide sind weg! Einfach so! Mir läuft es kalt den Rücken hinunter und da es eh langsam anfängt, dunkel zu werden beschließe ich, zu meiner Wohnung zurück zu gehen...

The Mute || boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt