20) Die Wahrheit (2)

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Thorn wollte mir noch etwas zeigen. Er ging in den hinteren Teil des Zeltes und kam wieder, mit einer kleinen Flasche mir rotem Inhalt. Schweigend ließ ich zu, dass er einige Tropfen auf meine Hand fallen ließ. Danach nahm ich alles nur verzerrt war.

Was in den vergangenen paar Sekunden mit mir passiert war, war unbeschreiblich. Es war wie ein Rausch gewesen, eine Droge. Kaum war der letzte Tropfen der roten Substanz auf meiner Haut verschwunden, durchströmte mich ein Gefühl von Energie und Macht. Es war als würde neues Leben in mir aufgehen. Meine Sinne schienen geschärft. Ich roch die feinen Gewürze in der Tee vor mir, ich spürte wie der Wind sanft an mir vorbei strich und hörte die Männer vor dem Zelt reden. Mein Geist schweifte durch dieses Wunder und versuchte alle Eindrücke in sich aufzunehmen.

Viel zu schnell war der Rausch wieder vorbei. Mein Gehirn versuchte mühsam das Geschehene zu verstehen. "Aber das würde ja heißen.. ", murmelte ich halblaut ohne den Satz zu Ende zu führen Mein Gedanke war unmöglich. "... Die Legenden sind war.", vervollständigte Thorn. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Aber ich hatte es selber erlebt. Die Wahrheit brachte mir Grauen und Faszination zu gleich. Die Legenden erzählten von einem alten Alchimisten. Er lebte in den Erzählungen stets alleine auf einem hohen Turm. Nachts streifte er immer aus und griff Kinder an. Er zapfte ihnen Blut ab und experimentierte damit. In den Legenden heißt es, dass er das Blut weiter verarbeitete und dann darin badete, wodurch sich seine Kräfte steigerten. Er wurde süchtig nach dieser Substanz. Doch er schloss sich einmal aus versehen in seinem eigenen Turm ein. Die Tür war der einzige Ausgang. Getrieben von dem Verlangen nach der Substanz wurde er verrückt in dem Turm, bis er es nicht mehr aus hielt und sich vom Turm schmiss. Sein Geist treibt des Nachts immer noch durch die Straßen der Städte auf der nimmersatten Suche nach Kinderblut.
Es war ein Schauermächen, das man den Kindern erzählte, damit sich abends nicht zu lang draußen blieben. Noch immer weigerte sich mein Verstand zu akzeptieren, dass am der Geschichte etwas wahres dran war. Thorn hatte die ganze Zeit über geschwiegen, jetzt sprach er wieder. "Die Alchimisten des Königs haben es wohl echt geschafft Blut weiter zu verarbeiten. Seit ungefähr zwei Monaten kommen Wachen regelmäßig in die Dörfer und verlangen Blutspenden. Wer sich widersetzt wird verhaftet." Fassungslos blickte ich auf das kleine Fläschchen mit dem Blut. "Ruby, ich will mein Volk schützen." Ich verstand Thorn und nickte. Es handelte sich hierbei wohl an dem größten Verbrechen im Lande - ausgeführt vom König. Ich stand auf, das Messer welches Thorn mir gegeben hatte fest in der Hand. "Ich werde wieder kommen, wenn ich meinen Teil erledigt habe." Thorn musterte mich und zum ersten Mal verzog sich sein ernstes Gesicht zu einem Grinsen. "Du bist wild. Ich versteh nicht wie du es überhaupt am Hof aushälst." Ich zuckte die Achseln. Thorn begleitete mich vor sein Zelt. Bevor ich zur Kutsche ging drehte er sich zu mir, legte zwei Finger auf seine Lippen. Dann berührte er mit den beiden Fingern meine Stirn und flüsterte: "Mögest du gehen, mögest du wein', möge der Frieden mit dir sein."
Irritiert sah Thorn an unschlüssig was ich jetzt machen soll. Die Rebellen vor dem Zelt sah mich belustigt an. Loranne eilte zu mir. "Mach ihm die Geste nach und sprich
'Möge ich kommen, möge ich eilen,
Möge mein Herz stehts bei dir weilen.'"
Ich tat wie Loranne mir gehießen hatte. Als ich fertig war jubelten die Rebellen und zogen mich und Thorn zu einem großen Lagerfeuer. Funken sprühen in die Dunkelheit. Inzwischen war es schon dunkel geworden. In den Flammen sah ich Fleischspieße und die Männer reichten sich Bierkrüge umher. Links spielten einige Männer auf Trommeln einen treibenden Rhythmus. Gelächter war zu hören und das erste Mal seit langem fühlte ich mich völlig frei.

MylordWhere stories live. Discover now