10. Kapitel - Part I

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Er.
Schnell lief ich zu Michelle, bevor sie in die Pause ging, als ich sie erreicht hatte, zog ich sie an ihrem Arm.
"Was machst du da, Milad?", keifte sie.
"Wir müssen reden!"
"Ich muss gar nichts."
"Doch, müssen wir. Es ist wichtig man! Hör auf dich dagegen zu sträuben, nur ein einziges Mal." Sie sah kurz zu Nazile und sagte ihr, dass sie zu Selen gehen soll und sie nachkommen würde.
"Und worüber willst du sprechen?" Ich drückte sie gegen einer der Spinde und schlug gegen ihn. Doch sie zuckte nicht auf, sie zeigte mir gegenüber einfach keine Gefühlsregung und das sorgte dafür, dass ich den Verstand verlor. Wie konnte sie ihre kalte Fassade nur beibehalten? "War's das?" "Nein!", brüllte ich. Weswegen sie ihre Arme vor der Brust verschränkte und mir deutlich machte, dass sie wartete.
"Wieso bist du so? Wieso meinst du dauernd gegen mich hetzen zu müssen?"
"Wann habe ich das denn getan?"
"Ist das dein scheiß Ernst? Du hast mich mit deinen Worten im Unterricht doch angegriffen."
"Ach, das meinst du. Nein, ich habe nur über allgemeine Dinge gesprochen, aber wenn du dich angegriffen gefühlt hast, dann wird das schon seine Gründe haben." Es trieb ich in den Wahnsinn, dass sie so ruhig blieb, während ich kurz davor war den Verstand zu verlieren. Ich stützte meine Hände neben ihrem Kopf ab und sah in ihre Augen. Sie sollte aufhören mich so kalt anzusehen. Doch je länger ich in ihre Augen sah, desto mehr fror mein Herz.
"Hasst du mich wirklich so sehr?", wisperte ich.
"Nein. Du bist mir egal. Wenn ich dich hassen würde, könntest du es in meinen Augen lesen, doch das kannst du nicht, weil da keine Gefühle sind. Nicht mal Hass." Ich haute mit meinem Handinnenflächen gegen den Spind, ihre Worte trieben mich zur Weißglut!
"Kann ich jetzt gehen?" Sie war nicht mal genervt, ihre Stimme klang einfach nur monoton, mehr nicht. Als sie sich von mir lösen wollte, hielt ich ihr rechtes Handgelenk fest umschlossen.
"Lass los." Erst als sie diesen Satz aussprach, sah ich eine Gefühlsregung in ihr. Doch da sie sich in dem Moment aus meinem Griff befreite, konnte ich nicht ausmachen, was ich gesehen hatte. Verdammt!

Sie.
Während er die ganze Zeit vor mir stand, gab ich mein bestes um meine kalte Fassade beizubehalten. Es war wichtig. Denn diese körperliche Nähe machte mich verrückt. Während ich nach außen -auf ihn- wie ein Eisblock wirkte, hatte ich innerlich das Gefühl ein Vulkan zu sein. Die Lava in mir brodelte. Und ich hatte Angst, dass ich demnächst explodieren würde. Das passierte nur, wenn Milad mir so nah kam. Ich hasste seine Nähe, sie störte mich einfach.
Als er mein Handgelenk festhielt, durchzuckte es mich kurz. Den Grund verstand ich nicht und ich wusste, dass er die Gefühlsregung in mir gesehen hatte, auch wenn ich mich schnell abgewandt hatte. Er hatte es gesehen. Fuck, Fuck, Fuck!
Das alles war eindeutig zu viel für einen Montag. Viel zu viel!

"Was wollte mein Bruder von dir?", fragte mich Selen, als ich bei den Mädels ankam. Die halbe Schule hatte uns beobachtet. Natürlich, wie hätte es auch anders sein sollen?
"Hat sich nur aufgeregt, weil ich ihm heute in Ethik bisschen die Stirn geboten habe", murmelte ich nur Schulter zuckend. Nebenbei wünschte ich mir, dass der Tag so schnell wie nur möglich endete.

"Ich habe bis Morgen sturmfrei, komm doch einfach zu uns, dann können wir auch unser Bio-Projekt zu Ende machen." Der Montag war schon anstrengend genug gewesen, aber Herr Özcan musste uns in der Biostunde natürlich nochmal daran erinnern, dass wir unser Projekt beenden müssen.
"Würde es dir etwas ausmachen, wenn du zu uns kommen würdest? Meine Mutter will dich unbedingt kennenlernen. Sie ist ein bisschen... überfürsorglich", sagte sie, während sie verlegen mit ihren Fingern spielte. Ich musste kurz lachen, weil ihr die Sache unangenehm war und das total knuffig aussah. "Klar, kann ich gerne machen." "Danke Michelle!"

Während wir im Bus saßen und zu ihr fuhren, sprachen wir über die heutige -misslungene- Ethikstunde.
"Ich dachte auch, dass du Atheistin bist. Also verstehe mich nicht falsch, das hätte natürlich nichts an unserer Freundschaft geändert, aber hat mich einfach gewundert", gestand sie mir verlegen. Ich lächelte nur leicht und antwortete ihr: "Ist kein Problem, das denken die meisten über mich. Mein Vater ist Protestant, meine Mutter Katholikin. Meine ganze Kindheit habe ich damit verbracht von der einen Kirche zur anderen geschleppt zu werden. Auf jeden Fall hat mich dieses hin und her genervt, zumal es einfach Uneinigkeiten gab, also habe ich mich einfach dazu entschieden keine Religion zu haben, aber trotzdem an Gott zu glauben, weil ich ihn einfach spüre. Das hat vermutlich auch sehr viel damit zu tun, dass meine Eltern religiöse Menschen sind."
"Verständlich", sprach sie mit einem Lächeln und wir stiegen aus.

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