Kapitel 5

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Robin

Wie jeden Morgen sitze ich demotiviert an meinem Arbeitsplatz und suche in meinen Unterlagen nach Hinweisen darauf, was mit Maya passiert sein könnte... Versuche vergeblich herauszufinden, ob sie überhaupt noch am Leben ist. Meine Arbeit erledige ich seit zwei Monaten lustlos und nur nebenbei, auch wenn sie mir prinzipiell immer Spaß gemacht, mich von meinen Problemen abgelenkt und meine Fähigkeiten gefördert hatte - welche jedoch laut den Richtlinien der Gesellschaft nicht ausreichend gewesen waren, um mir einen höheren Posten einzubringen. Ich seufze.

Wie mein Leben wohl aussehen würde, wenn ich größeres Potential gehabt hätte?

Maya hatte Potential... Das hatten alle von Anfang an gewusst - bis auf sie selbst. Das war der große Unterschied zwischen ihr und den anderen Besonderen, von denen man wusste, dass sie eines Tages Großes vollbringen würden. Alle anderen hatten sich etwas darauf eingebildet, anders zu sein. Sie ist die einzige Person die ich kannte, die niemals überhaupt darüber nachgedacht hat. Ihr hat das komplette System der Gesellschaft nie etwas bedeutet, schon früher hat sie sich nicht an irgendwelchen Richtlinien oder Regeln orientiert.

Und jetzt war es zu spät, die Regierung hatte Maya verschleppt und allen Menschen, denen sie etwas bedeutet hatte, die Erinnerung an ihre Existenz genommen. Ihren Eltern, Freunden... alle verhalten sich so, als hätte es sie niemals gegeben.

"Liv?" Ich hebe die rechte Augenbraue und werfe meiner blonden Mitarbeiterin und momentan einzigen Vertrauensperson einen Blick zu, welche ihn aus ihren wachsamen blauen Augen erwidert - ehe sie nur bedauernd den Kopf schüttelt. Nervös sieht sie sich nach den überall im Büro verteilten Kameras um, von denen wir eigentlich nichts wissen sollten.

Die Arbeiterfraktion wird von allen Seiten beobachtet, da die Regierung uns am allerwenigsten vertraut. Egal aus welchen Fraktionen die vielen gesuchten Rebellen stammen -  in unseren Kreisen vermutet man sie am ehesten. Meine Miene verdüstert sich.

Dies ist nur so, weil wir diejenigen sind, die am meisten unter der Regierung leiden mussten... Ehe sie uns ihre scheinbare Perfektion aufgedrängt hat, nach der sich nach wie vor alle blind richten. Vollkommen perfekt ist sowieso nur das Leben derer, die etwas Besonderes sind. Das Leben und der Alltag derer, die es wert sind.

Und nun mal nicht das Leben, das wir Arbeiter führen müssen. Wir sind diejenigen, die zwar alle notwendigen Lebensbedingungen haben, jedoch nur dahinexistieren, um dafür zu sorgen, dass es den höher gesetzten Menschen besser geht.

So lange, bis wir am Ende unseres sinnlosen Lebens wie Blätter im Herbst verwelken und in Vergessenheit geraten, ohne jemals etwas in diesem System bewirkt zu haben. Wir sind wie eine graue, unscheinbare Masse, die im Hintergrund dafür sorgt, dass das System funktioniert.

Olivias Stimme ist kaum hörbar, als sie mir mit beunruhigter Stimme antwortet:  „Nichts, was Maya betrifft... aber das hier musst du dir ansehen..."

Sie presst beunruhigt die Lippen zusammen und hält mir eine DinA5 große Glasscheibe entgegen, ehe sie ein strahlendes Lächeln aufsetzt, welches auf jedem der Überwachungsmonitore wie ein offensiver Flirtversuch und somit völlig uninteressant aussehen würde. Doch aufgrund ihres zuvor so ernsten Tonfalls bin ich zu nervös, um wie gewohnt zu schauspielern.

Ihre vielen silbernen Armreife klirren leise, als ich ihr das Glasstück ungehalten aus der Hand reiße. Olivia zieht mahnend eine ihrer dünnen Augenbrauen hoch, sagt jedoch nichts und wartet regungslos darauf, dass ich endlich anfange zu lesen. Ich aktiviere mit dem Einscannen meines Fingerabdrucks hektisch die Lichter, welche sich auf der Glasfläche zu dunkelblauen Buchtstaben verformen und überfliege den erschienenen Text mit angehaltenem Atem, während in der unteren rechten Ecke ein kleines Video aktiviert wird.

Captured - Fehler des SystemsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt