Patrick

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,,Back ist im gelben Salon."
Ich nicke der mürrischen Frau dankbar zu und mache mich auf den Weg. Währenddessen lege ich mir meine Worte zurecht. Aber was soll ich schon sagen?
HEY! Ich weiß, warum du mich hasst! Ich habe dich und Theresa auseinandergebracht und das tut mir wirklich leid! Ich musste leider erst von einem Pferd erschlagen werden, um wieder klar bei Verstand zu sein! Willst du Theresa nicht nach einem Date fragen; sie steht nämlich noch immer auf dich!
Warum eigentlich nicht? Das wäre gerade heraus und die ganze, verdammte Wahrheit. Und was habe ich zu verlieren? Also reiße ich die Tür zum gelben Salon auf und zitiere die Worte aus meinem Dickschädel. Nicht mal das 'HEY' lasse ich weg.
Back drohen die Augen aus dem Kopf zu fallen. Er kratzt sich im Nacken und starrt mich an.
,,Was, um Himmels Willen, ist bloß in dich gefahren?", fragt Back, sobald er seine Stimme zurückerlangt hat.
,,Habe ich das nicht gerade gesagt? Ein Pferd!"
Back grinst. ,,Na gut."
,,Na gut: Du fragt Teresa nach einem Date oder Na gut: Ich freue mich, dass du von einem Gaul verdroschen wurdest?"
,,Ein bisschen was von beidem. Schließlich bist du dank deines 'Zusammenstoßes' wieder normal. Zumindest für deine Verhältnisse."
Er fährt mit beiden Händen durch seine in alle Richtungen abstehenden, schwarzen Haare. Back muss lange draußen durch den Regen gelaufen sein, denn noch immer, sammeln sich kleine Wassertropfen an seinen gegelten Spitzen.
In diesem Moment fällt mir auf, dass sein Blick über meine Schulter hinweg gerichtet ist. Ich drehe mich um, um zu sehen, wer plötzlich so interessant geworden ist... und erstarre.
Er trägt die Haare sehr kurz. Noch immer blond und gelockt, aber um einiges kürzer. Seine Augen sind blau. Nicht so ein türkis-blau wie meine, sondern tiefdunkel. Fast schwarz. Wie der Himmel um Mitternacht ohne Sterne. Wie der tiefste und stillste See, den nie eine Menschenhand berührt hat. Gefährlich, geheimnisvoll und... gebrochen. Seine Augen erinnern mich an die von Steve. Ein gebrochener Mann. Nicht traurig, weil gerade eben, etwas unbedeutend Tragisches passiert ist. Es ist eine ewig währende Wunde, die ihn schon so manches Mal fast aufgefressen hat. Schmerz, den er gut zu verstecken weiß, der in diesem Augenblick jedoch von neuem aufglüht.
Seine arrogante und stolze, aber aufgesetzte Fassade beginnt zu bröckeln, als er mich erblickt. Dahinter ein verletzter und verschlossener junger Mann.
Seine blassen Lippen bilden eine schmale Linie, seine perfekte Nase wirft rechts und links je eine, nicht ganz so perfekte, kleine Lachfalte und seine dunkelblonden Brauen zucken Wachsam.
An seinen geschwollenen Liedern sehe ich sofort, dass seine Nächte nicht ganz so erholsam sind, wie sie eigentlich sein sollten und dank seinen langen, gepflegten Fingern, die unaufhörlich zu zittern scheinen, ahne ich, dass er nicht nur nervös ist.
Seine schlanke Gestalt überragt mich um fast einen ganzen Kopf und seine Kleidung wirkt gut gewählt, gut geschnitten und dazu noch sehr bequem.
Es ist unerträglich still und die Luft zum zerreißen gespannt. Mein dummes Herz scheint sich daran nicht zu stören, denn es hüpft munter auf und ab.
,,Du siehst gut aus", lobe ich Patricks Aufzug.
Ein teures, hellblaues Hemd mit weitem Kragen, darüber eine leichte, schwarze Weste und eine, dazu passende, schwarze Hose. Nur seine Schuhe stören den guten Gesamteindruck. Dunkelgelbe Arbeitsschuhe zum Schnüren, wie mein Vater sie stets trug.
Patrick folgt meinem Blick zu seinen Schuhen, geht aber nicht weiter darauf ein.
,,Kein zickiger Kommentar, dass ich dich im Krankenhaus nicht besucht habe? Kein wütendes Schnauben, dass ich so ungebetenen hier hereinplatze? Keine Beschwerde, all der vielen Arbeit wegen?"
Da ist kein Lächeln, kein Zwinkern, kein einziger Gesichtszug, der seine Worte des Sarkasmus enttarnt hätte, also recke ich das Kinn und hebe empört die Stimme an.
,,Eine junge Frau, ohne Gedächtnis, in einem Krankenbett nicht ein einziges mal zu besuchen, das sind wahrlich nicht die Manieren eines Gentleman. Dazu kommt natürlich noch, dass jene junge Frau kaum einen Menschen kannte, der zu ihr ans Bett stieß, während der den sie widererkannt hätte, irgenwo in weiter Ferne auf einem breiten Sofa saß, importierten Tee trank und im Kopf die Frauen durchging die zu vögeln er gewillt ist.
Zum zweiten, muss ich ihnen beipflichten. Es ist nicht nur unerhört und ein Bruch der Privatsphäre, ohne anzuklopfen, einen geschlossenen Raum zu betreten, sondern zeigt auch ein gewisses Maß an Unkultiviertheit.
Beim letzten Punkt, kann ich nur eine verwirrte Mine zur Schau stellen, da sie bestimmt nur eine wage Vermutung von dem haben, was wir hier arbeiten und es trotzdem wagen mich zu erniedrigen. Woher sollten sie wissen was ich arbeite und was ich nicht arbeite? Wie viel ich arbeite und wie viel eben nicht?"
Weder Patrick noch Back unterbrachen mich. Sie ließen mich ausreden und fixieren mich nun mit einem gleichermaßen erstaunten und bewundernden Gesichtsausdruck, während mich nur die Frage quält, warum ich meinen lieben, alten und treu geschätzten Freund gerade gesiezt habe.
,,Dann entschuldige ich mich hiermit herzlich für den ersten, den zweiten und den dritten Punkt ihrer anmaßenden Liste, auch wenn ich gezwungen bin hinzuzufügen, dass sie, in meinen Augen, nicht dem Bild einer Jungfrau in Nöten entsprechen und ich leider, leider nicht auf den Gedanken von anderen hübschen Damen kommen kann, die 'zu vögeln ich gewillt bin', da ich verheiratet bin."
Das Wort 'verheiratet' bohrt sich durch meine blasse Haut, meine wenig vorhandenen Muskeln und meine porösen Knochen, um sich um mein Herz herum zu schlingen und es gewaltsam in die Knie zu zwingen.
Nur einen winzigen Moment der Schwäche gebe ich Preis, doch Patricks Adleraugen bemerken ihn sofort. Plötzlich sieht er geschockt aus. Als wollte er mich gar nicht verletzen, nur ein Stück weit aufziehen.
Ich fange mich ziemlich schnell wieder und suche in seinem Gesicht nach Anzeichen einer Lüge, einer Unwahrheit oder einem noch so kleinen Detail, welches er ausgelassen haben könnte, finde aber nichts. Nichts, als die reine Aufrichtigkeit. So schwer sie auch zu ertragen ist. Patrick war schon immer ehrlich. Lügner, Betrüger und Falschspieler gehören seiner Meinung nach in die Hölle; wenn nicht gar in den Tod. Wer einmal seinen Respekt verliert, der hat ihn auf ewig verloren.
,,Vielleicht bin ich in euren Augen keine Dame in Nöten, weil ich nun mal nicht in Nöten bin! Und selbst wenn ich so tief sinken würde, mich in halsbrecherische Gefahr zu begeben, nur um eure Aufmerksamkeit zu erfahren... Nein. Tut mir leid. Lieber würde ich dem Teufel persönlich entgegentreten!", fauche ich und wirbel an Patrick vorbei. Doch an der Tür, kann ich mir einen letzten Kommentar nicht verkneifen: ,,Eure Frau tut mir, vom tiefstem Punkt meiner Seele aus, aufrichtig leid, dass sie euch das Jawort erteilt hat."
Ohne Vorwarnung schnellt Patricks Hand nach vorne, packt mich fest am Oberarm und zischt mir ins Ohr: ,,Wie kannst du es wagen!"
Er kämpft und beschützt alles und jeden. Nicht Steve bezeichnete ich all die Jahre als Löwen. Von Anfang an, war es Patrick dem  dieses Tier mit all seinen Charakterzügen zugeschrieben bestand.
Seine Klugheit, seine List und seine Geduld. Sein stets wilder und wachsamer Blick. Sein fester Griff. Das sanfte Knurren in seiner Stimme. Der Drang seine Familie und Freunde mit dem Leben zu schützen. Sein schwerer, stolz erhobener Kopf und seine Bereitschaft sofort auf den Feind loszugehen. Ohne zu zögern.
Seine ganze Ausstrahlung ist die eines gewaltigen und mächtigen Löwen. Jeder in seiner Nähe verspürt den unbändigen Drang, sich ihm unterzuordnen. Einschließlich mir. Doch ich bin, war und werde mein ganzes Leben lang ein Dickkopf sein.
,,Wie kannst du es wagen!" Ich spucke Patrick den Satz vor die Füße.
,,Eigentlich sollte ich dir nun an den Kopf werfen, wie viel mehr leid mir dein Ehemann tut, aber..."
Er bricht ab. Auf einem Schlag lässt er mich los und scheint enttäuscht zu sein. Enttäuscht von sich selbst. Dass es so weit kommen konnte. Dass er sich nicht selbst im Griff hat.
,,Aber?", verlange ich zu wissen.
Patrick wendet sich ab.
Jetzt bin ich es die ihn am Oberarm packt, doch anstatt wütend zu werden, ist seine Mine die eines Trauernden.
,,Aber das wäre gelogen."
,,In welcher Form?"
,,Muss ich es dir aufmalen!?"
Seine Stimmung wechselt, wie das Wetter an den Steilküsten Englands. Von jetzt auf gleich, ist er auf 180 und versteckt sich hinter seinem antrainierten Pokerface.
Ich greife hinter mich, über einen weißen Stehtisch, reiße einen Spendenzettel vom Block und drücke ihm Patrick, samt Kugelschreiber, in die Hand.
Der Hauch eines Lächelns huscht über seine schönen Lippen und als er spricht, kann ich seine warme, ausgeatmete Luft auf meinen Wangen spüren.
,,Nicht du hast ihn nicht verdient, sondern er hat dich nicht verdient."
,,Du hole Nuss! Das ist mir doch auch schon aufgefallen!"
Ich schlinge meine Arme um ihn und grabe Fingerspitzen und Nase in seinen weichen Kragen. Er drückt mindestens so fest an sich wie ich ihn.
,,Ich hab dich vermisst, Cara", flüstert er und Back bedankt sich aus dem Hintergrund, dass wir endlich von unseren hohen Rössern abgestiegen und wieder Freunde geworden sind.
,,Hast du heute noch was vor?"
Ich lache. ,,Ich denke nicht, dass Back mich entbehren kann."
,,Oh. Ich denke er kann. Nicht wahr, mein Freund?"
Back murrt ein bisschen, stellt mich dann aber doch frei. Von dem blöden Fitnesstermin erzähle ich weder, ihm noch Patrick. Meine Lust darauf ist so groß, wie... irgendetwas, dass man eben nicht gerne macht.
Patrick führt mich aus dem Gebäude hinaus, wirft einen flüchtigen Blick auf mein Motorrad und geht schließlich voraus zu seinem Auto. Ein so dunkelblauer Ford, wie seine Augenfarbe.
,,Oh, nein! Da steige ich nicht ein! Nur über meine Leiche!"
Patrick runzelt die Stirn.
,,So schlimm ist er doch gar nicht", meint er bedrückt.
,,Darum geht's doch nicht! Du fährst wie ein Verrückter! Viel zu schnell! Ich möchte, während einer Autofahrt, nicht um mein Leben fürchten!"
Jetzt grinst er. ,,Hatten wir das Thema nicht schon mal?"
,,Wenn, kann ich mich nicht daran erinnern." Ich verschränke provozierend die Arme vor der Brust.
,,Weißt du was?"
,,Was?"
Er wirft mir die Autoschlüssel zu und steigt auf den Beifahrersitz.
Ich blinzel verwirrt und beuge mich ins Wageninnere.
,,Jetzt fahr endlich los, bevor ich es mir anders überlege."
Ich gehorche und fahre in gemäßigtem Tempo zu dem Cafe am Stadtrand, mit den vielen Ecken, Kanten und Nischen.
Als wir aussteigen, merkt Patrick an: ,,Siehst du? Ging doch auch ohne Leichen."
Ich ramme ihm spielerisch meinen Ellenbogen in die Seite und betrete das Cafe.

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