...und Schatzi.

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Jade drückt ihren Daumen auf mein Display und öffnet den Kontakt Schatzi. Ihr Lächeln erstirbt.
,,Was ist?" Irritiert wiege ich mein Handy von rechts nach links.
,,Weißt du nicht wessen Nummer das ist?"
Ich schüttel den Kopf.
,,Das ist Patricks Nummer. Du weißt, dass er verheiratet ist?"
Ihre Worte versetzen mir einen Stich mitten ins Herz.
,,Ja." Mein Blick fällt auf den oberen Bildschirmrand, wo, in verschnörkelten Zahlen, die Uhrzeit steht.
,,Ist es wirklich schon so spät!?", rufe ich aus und springe auf die Füße. Durch die plötzliche Bewegung gerate ich einen Moment ins Taumeln.
,,Was ist denn los?"
,,Ich komme zu spät. Viel zu spät."
Ich bin schon im Türrahmen, als ich merke, wie unhöflich ich doch bin.
,,Möchtest du vielleicht mitkommen?"
,,Wohin?" Jade legt den Kopf schief.
,,Ehrenamtliche Arbeit. Du musst nicht, wenn du nicht willst."
Sie nickt begeistert. ,,Doch, doch."
,,Dann los jetzt", lache ich.
Jade hüpft vom Sofa, richtet dem Butler aus wo wir hinwollen und schnappt sich dann ihre Autoschlüssel.
Hinterm Haus steht, in einer schmalen Einfahrt, ein schwarzer und wahrscheinlich verdammt schneller Porsche. Er steht da, wie bestellt und nicht abgeholt... also noch nicht abgeholt.
,,Hast du keinen Chauffeur?", frage ich Jade, nachdem ich auf dem niedrigen Beifahrersitz Platz genommen habe.
,,Hast du denn einen?" Sie mustert mich amüsiert, wirft ihre glatten Haare zurück und startet den Motor. ,,Wie ein Kätzchen."
,,Ein Raubkätzchen", meine ich meinen Senf dazugeben zu müssen.

Mit dem Porsche und Jades Inkompetenz, ein Auto nach den Verkehrsregeln zu fahren, parken wir um 12.33 Uhr neben dem Zentrum in dem ich gemeinnützige Arbeit verrichte.
Meine Tante empfängt uns tadelnd, aber mit einem Lächeln im Gesicht.
,,Jade, das ist meine Tante Pam. Pam, das ist meine Freundin Jade", stelle ich die beiden einander vor.
,,Freut mich sie kennenzulernen. Ist Pam eine Abkürzung?"
,,Ja. Für Pamela."
,,Ein schöner Name", sagt Jade anerkennend.
,,Finde ich nicht."
Ich stoße meiner Tante den Ellenbogen in die Seite.
,,Was? Warum, glaubst du, bestehe ich darauf, dass man mich Pam nennt?"
,,Weil es kürzer ist?" Ich ziehe unsicher eine Augenbraue hoch.
,,Papperlapapp! Mach dich doch nicht lächerlich!", meint Pamela grinsend. ,,Ich freue mich auf jeden Fall, mindestens genauso sehr, dich kennenzulernen. Doch leider muss ich dir meine Nichte nun wegschnappen."
,,Aber Tante Pa-"
,,Nichts aber! Heute wird gearbeitet! Schon gestern hast du dich gedrückt!"
,,Das meine ich doch gar nicht-"
Pamela schiebt mich unnachgiebig vor sich her, ohne mich zu Wort kommen zulassen.
,,Madame Rose? Ich bin hier um ebenfalls zu arbeiten", erklingt nun Jades Stimme schüchtern.
,,Ach, so ist das! Warum sagt ihr das nicht gleich! Dann komm mit! Komm schon! Und übrigens bin ich nicht verheiratet, noch war ich es je. So gesehen, bin ich also eine Miss."
Das schallende Lachen meiner Tante bricht sich an den spiegelglatten Wänden und hallt als Echo durch den Raum.
,,Entschuldigen sie, Miss." Jade wird rot.
,,Ach, Süße! Lass doch dieses herumschawenzeln!" Meine Tante hebt bestürzt den Zeigefinger.
,,Pam? In Jades Haus wird sich so unterhalten. Mit 'Miss' und 'Madame', meine ich."
Sie starrt erst mich, dann Jade an.
,,Sag mal... bist du Backs Schwester?... Ach! Das erklärt einiges! Ich dachte schon, ich bräuchte eine Brille. Ihr seht euch sehr ähnlich. Seid ihr Zwillinge?"
Jade nickt.
,,Und... Ähm... Wie heißt die dritte im Bunde nochmal?"
,,Marian", antworte ich für Jade, dessen Wangen inzwischen die Farbe und Form von Tomaten angenommen haben.
,,DAS ist ein hübscher Name! Nein wirklich! Wie aus Robin Hood! Toll!" Euphorisch schwingt Pamela die Fäuste in die Luft.
,,Marian ist meine Stiefschwester."
,,Ach! Ist sie und deine Stiefmutter so schlimm wie in Aschenputtel?"
Ich denke darüber nach, ob Jade auch aufgefallen ist, wie oft meine Tante das Wort 'Ach' in den Mund nimmt, doch diese scheint völlig andere Probleme zu haben. Sie sieht aus, als würde sie am liebsten im Erdboden versinken.
,,Bitte verzeih ihr... Sie vergöttert die Welt der Märchen und der Fantasy", helfe ich meiner Freundin, ein Stück weit, aus der Klemme. ,,Zu Weihnachten haben wir damals bestimmt 30 mal Aschenbrödel gekuckt."
Pamela öffnet eine Tür und zerrt uns hindurch, in ein dunkles Arbeitszimmer.
Es ist karg eingerichtet. Ein Holztisch, mehrere Stühle ohne Bezug und ein alter Computer. Die weinroten Vorhänge sind die gleichen, wie die die ich im Gardinenladen gesehen habe. Sie sind zugezogen.
Zwei Stühle sind besetzt. Auf einem sitzt Back und zuckt unruhig mit den Fingerspitzen.
Auf dem anderen sitzt Patrick und zieht eine mitleidige Mine.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Als er mich erkennt, huscht ein Grinsen über seine Lippen.
,,Was macht der den hier?", frage ich meine Tante genervt.
,,Ich dachte mir, dass derjenige der dich vom arbeiten abhält, einmal hier arbeiten sollte, um zu sehen, dass man hier niemanden entbehren kann, wenn eine Spendengala vor der Tür steht."
Erst jetzt wird mir klar, dass Pam wirklich sauer, über meinen Abflug von gestern, ist.
Ich schaue betroffen zu Boden.
,,Na dann... Jade, Back? Ihr müsst mir beim decken helfen. Jemand hat nämlich Dutzende von teuren Porzellantellern gestellt und möchte natürlich, dass wir diese auch nutzen. Also heißt es: umdecken!", trällert meine Tante. Sie ist mit den Auserwählten schon beinahe zur Tür hinaus.
,,Und was sollen wir machen?", räuspert Patrick sich. Er ist plötzlich ganz klein mit Hut.
,,Stimmt ja!" Pamela macht sich an dem Computer zu schaffen. Sie öffnet eine Liste und ihren Mail-Account.
,,Inventur!... oder so. Ihr müsst checken wer zur Spendengala kommt und wer abgesagt hat. Außerdem müssen die Bestellungen fürs Essen noch bestätigt werden. Bekommt ihr das hin?" Während sie spricht, zieht sie einen ausgebeulten Sack unter dem Tisch hervor und entleert ihn darauf.
Briefe.
Wir nicken artig, meine Tante zwinkert mir verschwörerisch zu und dann fällt auch schon die Tür ins Schloss.
Ich mache es mir vor dem Computer bequem und Patrick reißt den ersten Brief auf.
,,Amelie von Arthur, bestätigt ihr Kommen und bringt ihre Tochter mit."
Ich ziehe ihren Namen zu der 'Bestätigt' -Liste und tippe +1 dahinter.
,,Briefe! Mal ehrlich! Ist das nicht ein wenig altmodisch?"
Ich schweige und warte, dass Patrick mir weitere Instruktionen gibt.
,,Ist das jetzt meine Strafe? Schweigen?"
Ich beobachte noch immer den sanft flackernden Bildschirm.
Pat schnaubt. ,,Okay! Hey! Was auch immer ich getan habe: Es tut mir leid! Eigentlich müsste ich beleidigt sein! Schließlich wurde ich fast verhaftet."
Ich muss einfach nachfragen. ,,Wirklich?"
,,Aber Hallo! Der Typ war ernsthaft der Meinung wir hätten alles nur gespielt, um nicht bezahlen zu müssen! Nachdem ich ihm Extratrinkgeld zugesprochen habe, hat er die Polizei außen vor gelassen."
,,Tut mir leid", erkläre ich bedrückt.
,,Sollte es auch! Ähm, Tim Vladimir sagt ab. Sein Vater ist krank."
Ich schiebe Tim mit der Maus rüber in den kleinen, grauen Mülleimer.
,,Ich habe mich übrigens geirrt. Es gibt Leute die fahren noch bekloppter Auto als du", informiere ich meinen guten Freund.
,,Auf keinen Fall! Ich habe lange trainiert, um so schnell fahren zu können!", mault dieser spielerisch gekränkt.
,,Und dabei nicht von der Polizei gestoppt zu werden", füge ich hinzu.
Pat öffnet den nächsten Umschlag. ,,Noch so ein Ritter. Marcus von Daliburgh. Er kommt und bringt seine vier Geschwister mit."
Ich ziehe seinen Namen unter den von Amelie und setzte +4 dahinter.
,,Also? Wer ist es? Wer droht mich, um den Titel zu bringen?"
,,Was für ein Titel? Verrücktester-Schwachkopf-dem-sein-Leben-völlig-egal-ist?"
,,Coolster-und-schnellster-Autofahrer-vor-dem-sogar-die-Polizei-Respekt-hat."
Ich lache. ,,Jade."
,,Auch noch ein Mädchen? Wow! Das tut weh." Pat schlägt sich die Hand auf die Brust und zieht den nächsten Brief aus dem Haufen auf dem Tisch. ,,Alexander Hohenstein; kommt allein."
Auch seinen Namen setze ich auf die Liste.
So geht das eine Zeit lang hin und her. Namen wandern auf die Liste, Namen wandern in den Mülleimer. Während der Haufen an Briefen immer kleiner wird, ist der Haufen für den Schredder stetig am wachsen. Punkt 15.00 Uhr sind wir fertig.
Insgesamt kommen fast 500 Leute; über 200 haben abgesagt. Patrick hat mehr als 400 Briefe geöffnet, ich mehr als 400 Mausklicks getan.
Ein wahrer Trost war es, dass die Bestätigung der Bestellung des Essens ziemlich schnell vonstatten ging.
Wir verlassen das Haus und warten auf den Treppen auf Back und Jade. Sie kommen keine zwei Minuten später, Arm in Arm und fröhlich lachend, auf uns zu.
Jades Augen strahlen und Back klammert sich an seine Schwester wie an einen Rettungsring.
,,Wollen wir noch was essen gehen? Ich kenne ein gutes Restaurant hier in der Nähe", erzählt er uns.
,,Au ja! Ich habe einen Bärenhunger! Darf ich noch wen einladen?", frage ich.
Wie sich aber herausstellt, habe ich Theresas Nummer nicht und Back muss sie anrufen. Er sagt ihr wo wir uns treffen und gibt mir anschließend ihre Handynummer, damit ich das, das nächste mal, selbst machen kann.
Als ich dann noch eine SMS von Joshua erhalte, in der er sich danach erkundigt wie es mir geht, wird er kurzerhand auch eingeladen.

Das Restaurant heißt forGIVEness. Mit dem Namen spielen sie darauf an, dass die Getränke keinen festen Preis haben und man soviel Geld geben soll, wie man selber für richtig hält. Ein sehr lokratives Geschäft, besonders da man im forGIVEness für eine kleine Portion Pommes das dreifache bezahlt als in einer einfachen Imbissbude.
Joshua und Theresa warten bereits am hintersten Tisch auf uns.
Der Tisch liegt in einer Ecke und hat an drei von vier Seiten mit dunkelgrünem Samt bezogene Sitzbänke.
Jade schubst Back neben Theresa und nimmt neben den beiden Platz, während ich mich an das Kopfende zu Joshua setze. Er kichert, wie ein kleines Mädchen, als Patrick sich zu mir an die Ecke gesellt; ihm gegenüber Theresa.
,,Hey Tess!", grüßt er sie.
,,Hey Pat!"
Ich beuge mich etwas vor, um Jade, die am weitesten von mir entfernt sitzt, richtig sehen zu können.
Theresa greift nach meinem Arm und zischt mir ins Ohr: ,,Ist das nicht Jade?"
Ich nicke und wende mich der besagten Person zu, um ihr Theresa vorzustellen.
,,Freut mich dich kennenzulernen" Jade hält meiner Freundin die Hand hin, welche sie widerwillig schüttelt. Ich ziehe sie noch näher an mich heran.
,,Jade ist in Ordnung!", versichere ich ihr.
,,Wenn du das sagst", flüstert Tess zurück.
,,Meinen Bruder kennst du ja. Und Patrick?"
Jade schaut erst zu Joshua, dann zu meinem guten Freund.
,,Ich denke schon." Sie grinst ihn an.
,,Patrick, das ist meine Freundin Jade."
Höflich, wie er eben ist, schüttelt er auch ihre Hand.
,,Kennst sich jetzt jeder?", frage ich lachend in die Runde.
Eigentlich ist Jade als Einzige etwas unbekannt. Was kein großes Wunder ist, wenn ich sie nie irgendwohin mitgenommen habe.
Die Bedienung tritt an unseren Tisch und nimmt freundlich unsere Bestellungen auf.
Die eine Hälfte unserer Runde bestellt Steak, die andere Fisch. Die eine Hälfte bestellt Bier, die andere Coca-Cola.

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