Kapitel 19 - Zu perfekt

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Mir war kotzübel. Ich war so nervös, dass meine Hände zitterten. Ich starre mein Spiegelbild an und konnte mich nicht bewegen. Irgendwann ging die Tür auf und Vito trat ein. Er lächelte mich an. Wie konnte er jetzt lächeln?!

„Bist du soweit?", fragte er mich und trat hinter mich. Ich trug das schwarze Kleid und hatte mir die Haare hochgesteckt. Er legte seine Arme um meinen Bauch und ich lehnte mich an ihn. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen und sog seinen Duft ein.

„Nein", gab ich dann ehrlich zu. Ich war absolut nicht bereit. Wenn ich an mein Solo dachte, waren alle Noten wie aus meinem Kopf gewischt. Ich würde das nicht schaffen.

Vito legte seinen Kopf auf meine Schulter und unsere Blicke trafen sich im Spiegel.

„Hey, das kommt schon gut, Süsse", flüsterte er zärtlich und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich versuchte ihm zu glauben, seine positive Einstellung zu übernehmen, aber es gelang mir nur gering.

Vito liess mich los und schob seine Hand in meine. Er nahm meine Tasche und zog mich aus meinem Zimmer. Unten an der Treppe stand Chris und schaute uns entgegen. Als ich ihn erreichte, nahm er mich kurz in den Arm.

„Du wirst das klasse machen, glaub mir", raunte er mir überzeugt zu. Ich versuchte mich mit einem Lächeln, aber es glich wohl eher einer Fratze. Chris streichelte meinen Rücken. „Du packst das, keine Angst!"

„Danke", krächzte ich. Meine Nervosität steigerte sich von Minute zu Minute. Langsam wurde es unerträglich. Schon wieder meldete sich das mulmige Gefühl in meinem Magen und ich hatte das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen. Mein Herz raste in meiner Brust und dachte nicht daran, sich zu beruhigen. Je mehr ich mich darauf konzentrierte, desto schneller schlug es. Glücklicherweise tauchten in dem Augenblick Bria und Michael aus der Küche auf. Beide schlossen mich kurz in eine herzliche Umarmung.

„Wir werden da sein, ganz vorne", versprachen sie mir. Ich nickte nur. Vito drückte meine Hand und ich spürte ihn in meinem Rücken. Ich war unglaublich froh um seine Nähe.

„Wir sollten gehen", meinte er leise und reichte mir meine Jacke. Ich nahm sie entgegen und schlüpfte hinein. Danach schnappt er sich die Autoschlüssel und wir verliessen mit einem letzten Blick zurück auf Chris, Bria und Michael das Haus. Ich liess mich neben Vito auf den Beifahrersitz fallen und er startete den Wagen. Schweigend fuhren wir nach Bern, wo das Winterkonzert im grossen Konzerthaus stattfinden würde. Ich legte meine Hände auf meinen Bauch, um die Übelkeit in den Griff zu bekommen.

„Geht's dir nicht gut?", fragte Vito und warf mir einen prüfenden Blick zu.

„Das ist die Nervosität", winkte ich ab. Sein Blick verweilte noch kurz auf mir, bevor er sich wieder der Strasse zuwandte. „Die wird vergehen, wenn du erst einmal angefangen hast zu spielen", versuchte er mich zu beruhigen. Tatsächlich brachte es etwas. Aus dem einfachen Grund weil er recht hatte. Das war bei mir meistens so. Kurz vorher starb ich beinahe vor Nervosität, konnte keinen klaren Gedanken fassen, hatte zitternde Hände und Schweissausbrüche, aber sobald ich zu spielen anfing, legte sich eine innere Ruhe über mich.

Vito steuerte den Wagen auf den Parkplatz vor dem Konzerthaus und stieg aus. Ich tat es ihm gleich. Er nahm wieder meine Tasche und wir betraten das imposante Gebäude. Es war ein altes Bauwerk mit grossen Säulen und einer breiten Eingangstreppe. Die Eingangshalle war hoch und an der Decke hing ein riesiger Kronleuchter. Ich drehte mich zu Vito um und griff nach meiner Tasche. Danach stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft.

„Ich werde genau vor dir sitzen", flüsterte er und lächelte mich an. „Viel Glück!"

Ich löste mich von ihm und sah ihm nochmals in die Augen, bevor ich die Tür zum Einspielraum aufstiess und darin verschwand. Ich packte meine Sachen aus und spielte mich kurz ein. Danach stimmten wir unsere Instrumente. Es waren junge Musiker aus der ganzen Schweiz anwesend. Einige waren aus dem Tessin, andere aus dem hintersten Graubünden angereist. Sie kamen von überall her. Es war eine bunte Mischung, bestimmt 100 Jugendliche. Und ich gehörte zu den Auserwählten, die ein Solo spielen durften. So langsam stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht.

Bis zum letzten AkkordWhere stories live. Discover now