Liebeskummer

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"Liebe tut nur dann weh, wenn sie nicht erwidert wird."

Wolf Dietrich von Raitenau

Langsam gehe ich auf ihn zu. Fast wie in Zeitlupe komme ich ihm näher. Er steht wie immer ganz lässig an der Tischtennisplatte auf dem Schulhof unserer Highschool. Um ihn herum stehen seine Freunde und unterhalten sich angeregt. Sie hängen immer alle zusammen ab und lassen keinen Anderen in ihre kleine Clique. Es ist fast so als gehörten sie fest zusammen. Sie lachen gerade über irgendeinen Witz den Louis anscheinend gemacht hat. Damiens Lachen ist rau und irgendwie kalt. Er wirkt immer sehr kalt und distanziert. Für mich ist er schon die ganze Schulzeit über unnahbar. Aber ich denke, dass er einen weichen Kern hat und ihn nur nicht zeigen will! Wie im Märchen. Wenn ich ihn besser kennenlerne, wird sich dieser schon zeigen. Er zieht an seiner Zigarette und tippt dann ab. Er raucht, genauso wie James, sein bester Freund. Dieser ist schon 17 Jahre alt, also zwei Jahre älter als ich und deshalb ist er auch eine Klassenstufe über uns. Nächstes Jahr macht er seinen Abschluss. Damien ist in meiner Klassenstufe und auch in den meisten von meinen Kursen. Ich bin sehr gut in der Schule, weshalb viele mich etwas ärgern oder belächeln. Es stört mich nicht wirklich, weil ich weiß, dass ich mir eine tolle Zukunft aufbaue und wenn sie mich deshalb ärgern wollen, kann ich nichts dafür. Ich bin sogar im Sportunterricht gut, früher ging ich immer zum Turnen, aber irgendwann habe ich das Hobby aufgegeben und mich lieber Büchern gewidmet. Langsam gehe ich weiter auf die Gruppe zu und stehe schließlich in ihrer Mitte. Das Lachen ist verstummt und Damien hat seine Augenbrauen arrogant hochgezogen. Mit einem Mal weiß ich nicht mehr was ich hier eigentlich zu suchen habe. Es grenzt schon an Selbstmord! Meine neue und, um ehrlich zu sein, einzige Freundin Sarah hat mich sprichwörtlich dazu gezwungen. Ich bin zu schüchtern um mich jetzt in eine Gruppe an unserer Schule anzuschließen. Irgendwie habe ich die Gruppenzuweisung in der ersten Klasse irgendwie verpasst. Sarah hat mich vor vier Wochen, ungefähr, angesprochen und ich habe mich gefreut eine Freundin gefunden zu haben. Ich bin schon lange heimlich in Damien verliebt und habe es Sarah irgendwie und irgendwann einmal erzählt. Sie hat es eigentlich eher erraten. Sie hat mich heute etwas panisch in seine Richtung geschickt, mit den Worten: 'Da ist deine Chance! Und jetzt los.' Und dann war ich auf mich allein gestellt. "Willst du was?", reißt mich die dunkle Stimme von James aus meinen Gedanken. Ich habe nun die Aufmerksamkeit aller. "Hallo.", bringe ich heraus und starre meinen Crush an. Seine dunklen leicht gelockten Haare fallen ihm ins Gesicht und seine braunen Augen strahlen fast schon gelb im Sonnenlicht. "Was möchtest du?", wiederholt er nochmal langsamer und ich löse mich aus meiner Schockstarre. Das wird jetzt wirklich passieren. "Ehm, ja, also... ich... ehm. Damien, ich, ehm, mag dich sehr.", höre ich mich selbst sagen. Ich habe mir diesen Satz schon hundert Mal gesagt und mir vorgestellt wie er reagiert. Damien sieht mich nur noch genervter an. Und ich, ich finde auf einmal den Fußboden sehr interessant. Er kommt einen Schritt auf mich zu und lehnt sich leicht vor. "Steck dir deine erbärmliche Liebeserklärung sonst wo hin!", flüstert er. Laut schreit er schon fast über den ganzen Schulhof: "Unsere kleine Streberin ist wohl in mich verliebt. Als ob dich jemand jemals wollen würde! Niemand. Will. Dich! Jetzt und in der Zukunft." Bei den letzten Wörtern legt er seinen Arm um meine Schulter und zucke ich immer wieder zusammen. So habe ich mir das nicht vorgestellt, aber wie hätte es anders kommen sollen. Der ganze Schulhof lacht. Ich drehe mich mit Tränen in den Augen um und entdecke Sarah. Sie lacht! Sie lacht mit am lautesten und schlägt mit einem anderen Mädchen ein, welches ihr auch noch zehn Dollar hinhält. Woher wusste sie es? War ich so auffällig in meiner Schwärmerei? Damien beugt sich zum mir herunter und ich spüre seinen heißen Atem an meinem Ohr: "Geh zurück in das Loch aus dem du her gekrochen bist. Du widerst mich an." Er sagt es ganz leise, doch jedes Wort ist ein Messerstich in mein Herz. Die ersten Tränen laufen mir die Wange hinunter. Schnell laufe ich zur Mädchentoilette. Nun höre ich nur noch entfernt das fiese Gelächter meiner Schulkameraden. Ich schließe mich in einer Kabine ein und weine mir die Seele aus dem Leib.
Die große Pause ist schon einige Minuten vorbei, als ich aus der Toilettenkabine trete. Im Spiegel sehe ich ein rothaariges, kleines Mädchen. Der rotblonde Pony von ihr, der sonst so gut gekämmt ist, ist zerstört und die Augen sind verweint. Leichte schwarze Schlieren hängen auf den Wangen. Die kleine Nase ist sehr rot angelaufen und aus ihrem Mund kommen immer wieder kleine Schluchzer. Alles in allem sehe ich nicht sehr gut aus. Ich sehe aus wie wer, dem gerade das Herz aus der Brust heraus gerissen, dann darauf herum getrampelt und zu guter Letzt drauf gespuckt wurde. Es ist ja auch wahr. Jedes Wort was er gesagt hat ist richtig. Niemand will mich. Noch nie hat sich ein Junge für mich interessiert. Und wahrscheinlich wird sich auch nie jemand für mich interessieren. Ich werde einsam sterben und die Katzen, die ich mir bis dahin geholt habe, werden mein Gesicht zerfressen. Und irgendwann wird der Postbote oder die Zeugen Jehovas mich finden. 
Ich verlasse die Toilette und gehe in Richtung Sekretariat. Ich möchte gerne nach Hause, und dort weiter weinen. Es sind nur noch zwei Wochen bis zu den Sommerferien, daher werde ich nichts mehr im Unterricht verpassen. Und auf ein Spiel oder einen Film kann ich jetzt auch verzichten. Es trennen mich nur noch wenige Meter von der Tür zum Sekretariat als ich Stimmen im nächsten Gang vernehme. "Es wäre echt lustig, wenn sie seine Mate wäre." "Ja, ich meine die Aktion von vorhin wird sie ihm nicht verzeihen." "Er ist zur Zeit so arrogant." "Ich weiß doch auch nicht was mit ihm los ist." Was ist denn ein Mate? Doch ehe die beiden Stimmen um die Ecke auf meinen Gang biegen, habe ich schon die Tür zum Sekretariat geöffnet und verschwinde darin. Das Gespräch der beiden schon fast vergessen. "Du liebe Güte, Amy, was ist den passiert?", fragt mich Frau Gardener, die Sekretärin, liebevoll. Unsere beiden Familien sind sehr eng befreundet. "Ich möchte wirklich nicht darüber reden. Könnte ich bitte nach Hause gehen?" "Aber natürlich, Kindchen.", sie lächelt mich an und ich verabschiede mich von ihr. Anrufen braucht sie nicht, da ich lieber den kurzen Weg laufe. Ich lasse die Luft in meine Lungen fließen und atme richtig durch. Wie konnte ich nur so dumm sein und dem coolsten Schüler der Schule meine Liebe gestehen. Ich schluchze wieder auf. Ich gehe langsam den Weg entlang und versinke in meine dunklen Gedanken. Ich schließe die Haustür auf und horche ins Haus. Es ist noch niemand daheim. Meine Mutter arbeitet in einem Büro in dem nächsten größeren Ort und mein Vater ist Arzt im örtlichen Krankenhaus. Geschwister habe ich leider nicht, denn schon ich war ein Wunderkind, da meine Eltern eigentlich schon aufgegeben hatten ein Kind zu bekommen. Ich bin glücklich, dass ich da bin, denn ich mache sie glücklich. Sie sind die besten Eltern der Welt. Neben uns wohnen meine Großeltern väterlicherseits. Die Eltern meiner Mutter sind schon vor langer Zeit verstorben. Ich habe sie nie richtig kennengelernt.
Ich renne in mein Zimmer und weine dort leise auf meinem Bett, bis ich langsam einschlafe und in eine traumlose, ruhige Welt versinke.

WolvesWhere stories live. Discover now